Spannende Physik im Babyuniversum

Was der kosmische Mikrowellenhintergrund dem Kosmologen Stefan Hofmann verrät

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Ausmessungen eines kosmischen Temperaturfeldes verraten Kosmologen etwas über die Genese des Universums. Kürzlich haben amerikanische Wissenschaftler Ergebnisse veröffentlicht, an denen sie drei Jahre gerechnet haben. Sie sehen damit die Inflationstheorie bestätigt, der nach sich das Universum an seinem Anfang in einer Billionstel Sekunde auf astronomische Größe ausdehnte.

Welche Schlüsse aus den Messungen gezogen werden, erläutert der deutsche Kosmologe Stefan Hofmann vom kanadischen Perimeter Institute. Beim Gespräch über winzige Temperaturschwankungen, Dunkle Materie, Dunkle Energie und das Vakuum stellt sich heraus: die winzige Quantenwelt ist der riesigen Welt des Kosmos gar nicht so unähnlich.

Was ist der kosmische Mikrowellenhintergrund?

Stefan Hofmann:Der kosmische Mikrowellenhintergrund ist ein Photo des Universums, als es etwa 300.000 Jahre alt ist – bei gegebenem Alter des Universums von etwa 14 Milliarden Jahren. Es ist also ein Photo des Babyuniversums. Im Prinzip ist es ein Photo von dem Zeitpunkt, an dem die Photonen frei werden. Man muss sich das so vorstellen, dass das Universum zu dieser Zeit aus einem sehr dichten und heißen Gemisch aus Ladungen und Photonen besteht, und diese Ladungen haben die Eigenschaft, dass sie die Photonen festhalten. Das Universum expandiert jedoch und diese Expansion verdünnt das Gemisch so, dass nach etwa 300.000 Jahren die Photonen diesem Griff entkommen können und anfangen, quasi frei zu uns zu strömen.

Neueste Aufnahme des kosmischen Mikrowellenhintergrunds (Bild: NASA)

Jetzt hat dieser Hintergrund eine durchschnittliche Temperatur von 2,75 Grad Kelvin. Was sagt Ihnen das?

Stefan Hofmann:Das ist die Temperatur der Photonen, die wir heute messen. Sie ist sehr gleichmäßig verteilt. Das heißt, unabhängig davon, in welcher Richtung im Universum Sie diese Temperatur messen, aber auch an welchem Ort Sie das tun, Sie würden immer im Mittel diese 2,75 Grad Kelvin messen. Wir sagen, das Hintergrundfeld ist „isotrop“. Das Spannende ist aber meistens nicht das Messen von irgendwelchen Mittelwerten, sondern die Abweichungen davon.

Sie meinen die Temperaturschwankungen des Hintergrundfeldes, die zuletzt vom WMAP-Experiment gemessen wurden. Wie sind die theoretisch entstanden?

Stefan Hofmann:Der Standardtheorie nach gab es ganz am Anfang die „inflationäre Phase“, in der das Universum in kürzester Zeit extrem groß wurde. In diesem damaligen Universum entkoppelt die so genannte Dunkle Materie, jene ominöse Materieart, die wir noch nicht direkt nachweisen konnten, vom Rest der Materie, wirkt aber noch gravitativ mit ihr. Insbesondere zieht sie unsere Ladungen an, und an denen hängen ja die Photonen. Wenn ein Photon in so eine Mulde reinfällt, dann wird es beim Reinfallen blau verschoben. Dabei gewinnt es Energie. Wenn es die Mulde hochklettern muss, wird es rot verschoben. Dabei verliert es Energie. Und genau dieses Gewinnen und Verlieren an Energie relativ zu dieser mittleren Energie sind die Temperaturschwankungen. Aus diesen Abweichungen von den Mittelwerten können wir sehr viel lernen über die Parameter, die den Kosmos oder das Universum global beschreiben.

Wir wissen heute, dass Sternensysteme sich zu Galaxien gruppieren. Und die größten Strukturen im Universum sind Gruppen von Galaxien – die so genannten Galaxienhaufen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen kosmischen Strukturen und den Schwankungen des Hintergrundfeldes?

Stefan Hofmann:Gehen wir dazu ganz zum Beginn des Universums zurück. Wie gesagt, beschreibt die Inflationstheorie seine anfängliche gigantische Expansion. Angetrieben wird dieses inflationäre Wachstum von einem Feld – dem Inflaton –, und dieses Feld sitzt nicht in seinem energieärmsten Zustand. Nun gibt es ein sehr mächtiges Prinzip, das ist das Unschärfeprinzip der Quantentheorie. Es besagt: So richtig zur Ruhe bringen können Sie nie etwas, Sie haben immer eine kleine Zappelbewegung. Das heißt, das Inflaton schwankt um seinen energetisch günstigsten Zustand herum – die Temperaturschwankungen auf unserem Photo des Babyuniversums. Einige dieser so genannten Quantenfluktuationen schaffen es, ein bisschen schneller zu wachsen als die Raumzeit, und frieren ein. Sie überstehen also die Expansion und werden schließlich zu makroskopischer Größe gedehnt. Deswegen brauchen Sie auf jeden Fall eine expandierende Raumzeit, damit Sie aus so etwas winzigen wie der Quantenwelt eine Brücke bilden können zu dieser riesigen Welt, die wir heute beobachten.

Das heißt, die kosmischen Strukturen, die wir beobachten, lassen sich aus Quantenfluktuationen erklären, wenn man diese per Inflation aufbläht?

Stefan Hofmann:Das ist absolut korrekt – und faszinierend, hoffe ich – wenn Sie sich überlegen, wie viel Größenskalen zwischen diesem Quantenuniversum und dem heute beobachtbaren Universum bestehen!

Zurück zum Modell der Weltenentstehung. Demnach ist Materie durch Einfrieren von Vakuumschwankungen entstanden. Ist das Vakuum ein Träger von Energie?

Stefan Hofmann:Tatsächlich stellt man sich allgemein unter dem Vakuum einfach ein Nichts vor. Die Lehre aus den modernen Quantenfeldtheorien ist aber, dass das Vakuum in Wirklichkeit ein sehr komplexer Zustand ist, ein unglaublich aktiver, lebendiger Zustand. Die Unschärfe, über die wir eben gesprochen haben, erlaubt es sozusagen, wenn ich mal kurz weggucke, Teilchen aus diesem Nichts zu produzieren. Ich kann also Teilchen und Antiteilchen erzeugen, und wenn ich wieder hingucke, sind die wieder weg. Das ist ein Bild, das aus unseren sehr abstrakten Theorien heraus kam. Die Frage war lange Zeit, ob dies ein Artefakt unserer Theorien ist oder aber physikalische Realität? Dazu hat man Experimente gemacht. Es gibt den so genannten Casimir-Effekt. Das heißt, man nimmt zwei Kondensatorplatten und stellt die in ein Vakuum. Das ist unglaublich aufwändig, weil so ein Vakuum herzustellen sehr schwer ist; Sie müssen da alle Teilchen rausbekommen. Und was man dann eben misst, ist, dass je nach Geometrie der Platten diese sich anziehen oder abstoßen, obwohl überhaupt nichts zwischen denen ist. Was zieht die denn an oder stößt die ab? Es sind diese Fluktuationen! Man kann also durch ein makroskopisches Experiment nachweisen, dass es diese Quantenfluktuationen im Vakuum tatsächlich gibt. Und damit ist das Vakuum alles andere als ein ruhiger, friedlicher Zustand. Sondern es ist eigentlich ein unglaublich wildes und unverstandenes Objekt – gar nicht langweilig!

Es gibt die Beobachtung, dass sehr weit entfernte Galaxien eine anomale Rotverschiebung haben. Das wird so interpretiert, dass das Universum nicht nur expandiert, sondern dieses auch noch immer schneller. Wie erklären Sie das?

Stefan Hofmann:Wir denken ja immer in Budgets, also fragen wir uns mal, wie die gesamte Energie des Universums budgetiert wird. Das Bild des Babyuniversums sagt uns, was wir sehen können, wenn wir in den wunderbaren Nachthimmel schauen, ist absolut vernachlässigbar im Energiebudget. Das Energiebudget im Universum besteht zu etwa 20 Prozent aus so genannter Dunkler Materie. Das sind Teilchen, die nicht im Standardmodell der Teilchenphysik auftauchen und die wir jetzt mit dem so genannten Large Hadron Collider suchen, der am CERN gebaut wird. Und jetzt kommt die erschreckende Tatsache: 76 Prozent liegt vor in Form einer mysteriösen Energie. Diese Dunkle Energie ist deswegen mysteriös, weil sie dafür verantwortlich zu sein scheint, dass das Universum beschleunigt expandiert. Expansion heißt immer, dass beschleunigt Raumzeit produziert wird. Normalerweise führt Energie dazu, dass Sachen sich klumpen – rein gravitativ. Aber hier haben wir genau das Gegenteil. Deswegen sagen viele – das Bild ist nicht ganz korrekt, aber ich sage es trotzdem –, dass diese Energieform eine antigravitative Wirkung hat. 96 Prozent der Gesamtenergie im Universum liegt also in Formen vor, die uns vollkommen unbekannt sind! Da soll mal einer sagen, dass die Physik im Prinzip schon alles erklären kann.

Lässt sich die Dunkle Energie mit den Quantenfluktuationen verbinden?

Stefan Hofmann:Wenn man ganz ehrlich ist, muss man sagen, dass wir von der Dunklen Energie bis auf ihre Existenz eigentlich nichts wissen.

Jedenfalls scheint sie aufgrund ihrer abstoßenden Wirkung den Charakter einer Wechselwirkung zu haben?

Stefan Hofmann:Ja, das ist wirklich ein sehr seltsamer Charakter dieser Energieform. Man könnte diese Dunkle Energie quasi als das Benzin sehen, mit dem das Universum seine Raumzeit vergrößert, ohne es zu verbrauchen. Wir stehen da wirklich vor einem großen, aufregenden Problem, und das wird uns sicherlich auch noch die nächsten Jahrzehnte beschäftigen.

Ist es richtig, dass die Dunkle Materie herangeführt wird, um zu erklären, warum Sterne im Außenbereich einer Spiralgalaxie sich schneller bewegen, als das eigentlich erklärbar wäre?

Stefan Hofmann:Vollkommen korrekt. Die Idee, dass es so etwas wie Dunkle Materie geben soll, geht bis ins letzte Jahrhundert zurück. Das lag daran, dass man Sterne gemessen hat, die sich sehr weit außerhalb vom Zentrum ihrer Galaxie befinden. Man hat deren Rotationsgeschwindigkeit gemessen, mit welcher Geschwindigkeit die sich also um das Zentrum ihrer Galaxie bewegen. Und es gibt da eine große Diskrepanz zur Theorie. Also hat man gesagt, da muss es irgendeine Materieform geben, die so schwach mit aller anderen Materie wechselwirkt, dass wir sie sozusagen nur gravitativ „sehen“ und nicht optisch. Und es ist jetzt wieder das Photo des Babyuniversums, das uns mit viel schönerer Physik und auch viel zweifelsfreier sagt, dass diese Dunkle Materie so etwa 20 Prozent vom Energiebudget des Universums ausmacht.

Wir hatten eben die Brücke gespannt zwischen dem beobachtbaren Universum und dem Quantenuniversum. Das bietet sich auch an dieser Stelle wieder an: Die Dunkle Materie ist eine Antwort auf die Frage, woher die Energiezufuhr kommt, die die äußeren Sterne genießen, um bei der Galaxierotation mithalten zu können. Im Bohr’schen Atommodell kreisen die Elektronen um den Atomkern, genießen also auch eine Energiezufuhr, die verhindert, dass sie in den Kern stürzen. Eine weitere Brücke?

Stefan Hofmann:Klassisch würde genau das passieren, was Sie sagen: Das Elektron kreist um den Atomkern, dabei verliert es Energie, und das führt dazu, dass es sich dem Kern immer weiter nähert. Doch wenn man so ein Atom richtig verstehen will, muss man Quantenmechanik betreiben. Diese besagt, dass ein Elektron nur noch bestimmte – wir sagen „diskrete“ – Abstände vom Kern einnimmt. Dafür gibt es klassisch einfach kein Analogon. Wenn wir hingegen gravitative Wechselwirkungen nehmen: Diese klassische Kraft sieht der elektrostatischen Kraft sehr ähnlich. Einen Kometen können Sie zum Beispiel einfangen, dass heißt, der kann in eine Bahn kommen, wo er sich der Erde kontinuierlich nähert. Aber im Atom funktioniert das zum Glück nicht. Sonst wären ja solche Bindungszustände wie Wasserstoff nicht möglich, und das ist ja Voraussetzung für Leben.

Die Ähnlichkeit der elektrostatischen Kraft und der Newton’schen Schwerkraft ist ein interessantes Stichwort. Die Formeln sind ja praktisch gleich, nur beim einen ist es die Ladung, beim anderen ist es die Masse. Sind sich die beiden Skalen doch ähnlicher als wir denken?

Stefan Hofmann:In gewisser Weise ist die Beobachtung sehr gut. Die elektrostatische Kraft als abgespecktes Grundgesetz der Elektrodynamik hat dasselbe Abstandsgesetz wie die gravitative Kraft, gilt aber auch nur im klassischen Bereich. Wenn Sie tatsächlich im subatomaren Bereich schauen, dann gilt ja die klassische Physik nicht mehr, dann würden Sie auf ein anderes Kraftgesetz kommen. Es ist bisher überhaupt noch nicht gelungen, die Gravitation mit der Quantenmechanik in Einklang zu bringen. Das spricht dafür, dass auf einer fundamentalen Verständnisebene die Physik der Photonen und die der quantisierten Raumzeit doch sehr unterschiedlich sind.