Spezifisch deutsche Kultur vs. Integration

Seite 2: Das Konzept der Nationalkultur ist eine Kriegserklärung gegen die Integration

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Der vom Salonkonservativen zum Scharfmacher mutierte AfD-Mann wollte der Integrationsbeauftragten das Furchteinflößende, das Gewaltförmige, das Grauenhafte in der deutschen Kultur vorhalten. Gerade dieses Element hat er - versehentlich? - als spezifisch ausgegeben. Daher verdanken wir ihm die Auffrischung einiger nicht unbedeutender Erkenntnisse.

Kultur, die sich als National- oder Leitkultur versteht, neigt zwangsläufig dazu, sich selbst zu überhöhen und andere Kulturen zu erniedrigen. Das liegt ja schon der Definition zugrunde. Sich als Produkt und Teilhaber einer zweitklassigen oder minderwertigen Kultur zu erkennen, überfordert den Normalverbraucher und die Ordnung in seinem traditionellen Weltbild.

Darüber hinaus appelliert Gauland im Stil eines hundertprozentigen Populisten an das gesunde Volksempfinden festzulegen, was als Kultur zu gelten hat. Damit tut er dem Volk keinen Gefallen - er täuscht es. Denn das Volk besitzt das beträchtliche Privileg, kulturelle Werke zu kaufen oder es sein zu lassen. Sobald es aber die Definitionsmacht über die Ware beansprucht, verliert es sein Privileg und muss kaufen, was es bestellt hat. Dann erkennt man bald, dass man einem Hausierer auf den Leim gegangen ist. Man kann es aber auch vorher schon merken.

Drittens mobilisiert Gauland die bislang stillschweigende Übereinkunft, wonach die nationale Kultur (Leitkultur ist nur eine andere Bezeichnung dafür) immer mit Kampf verbunden ist. Unaufhörlich kämpft sie darum, ihren Untergang abzuwenden, ihre Reinheit zu bewahren, eine Vermischung zu vermeiden; von immer neuen Gefahren wird sie bedroht und muss sich ihrer erwehren, bis sie endlich irgendwann gesiegt hat.

Interessanter Weise ist dieser Kampf nie eine Auflehnung der Schwachen gegen die Starken. Sondern es ist definitionsgemäß ein Kampf der vermeintlich besseren Kultur gegen die vermeintlich schlechtere Kultur, des überlegenen Kulturvolks gegen seine kulturlosen Feinde, die deswegen so gefährlich sind, weil sie die überlegene Kultur nicht anerkennen wollen, so wie Frau Özuguz angeblich die deutschen Kultur bestreitet. Folglich wird der Kampf erst mit der Entfernung der Unterlegenen zu Ende sein. Das ist der Kontext, in dem der Begriff Entsorgen einen gewalttätigen und bedrohlichen Inhalt erhält. Das Konzept der Nationalkultur ist eine Kriegserklärung gegen die Integration.

Schließlich hat Gauland den Feind mit Bedacht gewählt. Name, Geschlecht und Amt bieten ihm geeignete Symbole für Generalisierungen. Es ist nicht ganz klar, welches Etikett sich der Kandidat aktuell an sein Revers heftet, nationalkonservativ, nationalliberal, rechtsnational, kulturkonservativ? Klar ist allerdings, dass es ein Nationalsozialist nicht besser machen könnte.

Das Bundesverfassungsgericht hat gewollt oder ungewollt nationalsozialistische Politik legitimiert

Mit seiner Weigerung, ein NPD-Verbot auszusprechen, weil die Partei zu unbedeutend sei, hat das Bundesverfassungsgericht gewollt oder ungewollt nationalsozialistische Politik legitimiert. Die Richter folgten damit deutlichen Vorgaben der Politik und der veröffentlichten Meinung, den nationalsozialistischen Untergrund der Gesellschaft nicht aus der Geborgenheit der Verfassung zu entlassen. In das freigegebene Terrain stößt weniger die NPD als vielmehr die AfD nun mit aller Macht hinein. Wie marginal das ist, lässt sich schon jetzt erkennen.

Es war aber vorhersehbar. Vor hundert Jahren begann eine Entwicklung, in deren Verlauf Nationalkonservative, Nationalliberale, Kulturkonservative und Rechtsintellektuelle scharenweise zu Hitler überliefen, dessen Aufstieg sie erheblich begünstigten. Das Augenmerk gilt also gar nicht mal so sehr dem rastlosen Rentner aus Potsdam, dessen persönliche Erfolge in Eichsfeld und anderswo nichts daran ändern können, dass ihn die Geister der Vergangenheit bis ans Grab verfolgen werden. Sie gilt den Schlägertypen in seiner Partei, die der Griesgram mit Argumenten aufrüstet.

Und sie muss sich auch auf jene Garde missratener Emporkömmlinge in den Unionsparteien richten, die das Stichwort von der deutschen Kultur begierig aufnehmen, um auf sich aufmerksam zu machen und von ihrer geistigen Unbedarftheit abzulenken.

So ist es ausgerechnet Karl-Theodor zu Guttenberg, der sein sogenanntes Comeback auf einer Wahlveranstaltung der CSU in Kulmbach dazu nutzte, Begeisterungsstürme beim Thema Leitkultur zu entfachen. Man dürfe nicht zulassen, dass "unsere gewachsene Kultur weichgekocht" werde. Die holzschnittartige Sprache und der plumpe Gedankengang sprechen dafür, dass ihm diese Formulierungen selber eingefallen sind. Dass sich der bekannteste Plagiator des Landes allerdings anmaßt, Lehren über Kultur zu erteilen, straft jede Annahme Lügen, er habe während seiner politischen Abstinenz etwas gelernt.

Wieder ist die Kultur etwas Hartes, das nicht verweichlichen darf, etwas Starkes, das nicht geschwächt werden soll, eine Waffe, der sich Andere beugen müssen. Ganz im Duktus der NSDAP oder, wenn man will, des Islamischen Staats, erscheint sie wie ein Schwert, das man schwingt und nicht wie ein Gedanke, den man aufschreibt, oder wie ein Ton, den man spielt. Nachdem wir schon wissen, wie der Freiherr mit Texten ringt, möchten wir lieber nicht erleben, wie er mit einem Klavier kämpft oder eine Leinwand pflügt. Obwohl es noch die beste Beschäftigung für ihn wäre.

Manche halten die Debatte über eine deutsche Leitkultur für schädlich und würden sie gern so schnell wie möglich beenden. Das ist verständlich, doch drängt es eben viele Landsleute, am Wettbewerb Deutschland findet seine Superkultur teilzunehmen. Das wird uns noch mächtig ärgern, aber auch viel Spaß bereiten, wenn sich Innen- und Verteidigungspolitiker, Polizisten und Soldaten bemüßigt fühlen, ihre Einsichten beizusteuern.

So oder so wird diese Debatte immer um den Nationalsozialismus kreisen. Welchen Anteil hatte die spezifisch deutsche Kultur daran, wer waren die Wegbereiter seiner Ideologie und wie konnte es geschehen, dass sich das, was an der deutschen Kultur wirklich Kultur war, im feindlichen Exil versammelte, während sich die Folklore beinah vollständig den Nazis ergab. Anders ist es nicht möglich, über eine deutsche Leitkultur zu reden. Wäre es anders möglich, hätten Alexander Gauland und andere Spin-doctors, ggf. auch falsche Doktoren, 50 Jahre Zeit gehabt zu erklären, wie das gehen soll. Aber das wollten sie vielleicht gar nicht.