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Seite 2: Doping als normatives Phänomen

Doping ist ein Phänomen des Sports, das unter bestimmten Bedingungen zu einem seiner wesentlichen Probleme werden kann, wenn nicht in einigen Bereichen schon geworden ist. Wissenschaftlich wird es vor allem in den Sportwissenschaften sowie ihr nahestehenden Disziplinen behandelt – der Psychologie, wenn es um die Beweggründe für Doping geht, der Pädagogik, schwerpunktmäßig hinsichtlich der Möglichkeiten für Prävention, mitunter den Rechtswissenschaften, was die Doping-Kontrollen betrifft.

Die Naturwissenschaften kümmern sich um die Nachweisverfahren und um die Wirkungsweisen von Medikamenten und Arzneien in den Körpern der Athlet:innen. Wenn diese als Drogen bezeichnet werden, befinden sich die Diskussion schon auf soziologischem und sozialpädagogischem Gebiet, denn der Begriff verweist auf soziale Konstruktionen abweichenden Verhaltens, die mit dem Gebrauch bestimmter Substanzen verbunden sind.

Sucht man nach einer Gemeinsamkeit vieler öffentlicher Debatten, aber auch wissenschaftlicher Diskurse und der Beschäftigung mit dem Thema, dann ist es ihr häufig normativer Charakter bezüglich der Einordnung des Untersuchungsgegenstandes.

Doping sei falsch, heißt es da, ein Problem, es zerstöre die Integrität des Sports, sei gegen seinen "Geist", ohne dass diese Attribute weiter ausgeführt würden. Dem gegenüber wird der Kampf gegen das Doping, auch bezeichnet als Anti-Doping, grundsätzlich positiv gesehen.

Diskutiert wird über unterschiedliche Wege, über die richtigen Präventionsmaßnahmen, Messmethoden für Prävalenzen, weniger häufig, ja fast nie, darüber, ob diese Annahmen stimmen und tatsächlich einen derart normativen Charakter haben können oder sollten.

Die Idee, dass Doping ein grundsätzlich kriminologisches Problem ist, kommt in der Diskussion kaum vor. Das hängt mit den maßgeblichen Akteuren der Diskurse zusammen und der Verortung des Phänomens Doping im Sport, welcher mit den Sportwissenschaften eine eigene akademische (Querschnitts-)Disziplin besitzt, in welcher das "abweichende Verhalten" nur als negatives, zu sanktionierendes Vorkommnis behandelt wird.

Was könnte also eine kriminologische Sichtweise auf das Problem selbst beitragen und wie könnte sie die bestehenden Diskussionen bereichern?

Betrachtet man Doping als eine besondere Form des Drogendiskurses, dann ließe sich darüber recht einfach eine kriminologische Beschäftigung mit dem Thema rechtfertigen. Jedoch auch als eigenes für sich stehendes Problem, eingebettet in einen weiterreichenden Sportdiskurs, bietet sich eine genuin kriminologische Betrachtung geradezu an, denn Kriminologie bedeutet die Wissenschaft vom law making (Gesetze machen), law breaking (Gesetze brechen) und den reactions to law breaking (Reaktionen auf den Gesetzesbruch), eine Definition, die auf den Kriminologen Edwin Sutherland zurückgeht.

All diese Aspekte sind auch im Phänomen Doping virulent, denn auch jede Diskussion über Doping beschäftigt sich mit einem dieser Aspekte, wenn nicht allen gleichzeitig: law making: die aufgestellten Dopingregeln; law breaking: Doping selbst; sowie den reactions to law breaking: die Dopingkontrollen und die mögliche Sanktionierung von Verfehlungen.2

Diese Perspektive erlaubt es, nicht länger allein auf die Ursachen und Häufigkeiten von Doping zu schauen, über die richtigen oder weniger erfolgversprechenden Präventionsmaßnahmen zu spekulieren oder über die rechtlich adäquate Maßnahme zu diskutieren.

Vielmehr geht es jetzt um die Hintergründe der Regeln, die Bedingungen ihrer Entstehung, ihre Geschichte und auch die damit verbundenen sozialen Konstruktionen. Das Gleiche gilt für das als abweichendes Verhalten bezeichnete Doping, also die Einnahme von durch Regeln verbotenen Substanzen und der Anwendung ebensolcher Methoden.

Die zentralen Fragen hier lauten dann, was ist Doping? Wie wird es von wem definiert? Und wie von den Athlet:innen selbst erlebt? Und schließlich geraten mit dieser Sichtweise auch die Maßnahmen des Anti-Dopings in den Blick und können einer kritischen Analyse unterzogen werden.

Sind die Strafen eigentlich der richtige Weg, um Doping zu verhindern, sind sie angemessen, ist der Kontrollaufwand verhältnismäßig oder werden möglicherweise Athlet:innen mit einem Aufwand kontrolliert, der auf Kosten von anderen Rechten und Freiheiten geht? Wie sieht eine solche Perspektive in der wissenschaftlichen Praxis aus und welche Erkenntnisse kann sie liefern?

Anhand der drei Kategorien – Regeln machen, Regeln brechen, Reaktionen auf den Regelbruch –, die eine knappe, aber sehr griffige Definition von dem Gegenstand bieten, mit dem sich Kriminologie, zumal eine kritische, beschäftigt, möchte ich das mit ein paar Beispielen ausführen.

Meine Hoffnung ist, dass damit den Diskussionen über Doping eine zusätzliche Dimension hinzugefügt werden kann. Damit soll, um das einmal hier vorwegzunehmen, weder ein Plädoyer für eine Freigabe des Dopings geführt werden, noch will ich eine Pauschalkritik an den bisherigen Forschungen zum Thema üben.

Vielmehr halte ich diese Perspektive für dringend nötig, um Ansätze für einen reflektierten Umgang mit dem Thema innerhalb des organisierten Sports, in den ihn begleitenden Medien sowie in der für den Sport zuständigen Politik zu schaffen. Dieser fehlt nämlich bisher fast vollständig.

Es existiert das Paradox, dass sich einerseits kritische Journalisten wie Hajo Seppelt oder Ralf Meutgens den Unmut ihrer Kollegen, des Sportjournalismus generell, der Verbände und der Politik zuziehen, wenn sie aussprechen, was dringend notwendig erscheint.

Zudem wird eine Kritik am Anti-Doping-System oft gleichgesetzt mit einer Befürwortung des Dopings selbst (hier verstanden im traditionellen Sinn). Beides ist absurd, aber die übliche Abwehr gegen jede Kritik an den normativen Auffassungen von Doping und seiner Kontrolle.

Law making – Regeln machen

Ein viel benutztes Argument in der Dopingdebatte ist das der Regeln. Und es ist kaum bestreitbar, dass Sport Regeln braucht, um als das, was als fairer Wettbewerb zu bezeichnen ist, anerkannt zu werden. Ein Doping-Verbot ist demnach nichts weiter als ein Satz Regeln, der über Disziplinen und sportartenspezifische Regeln hinweg für alle Athlet:innen gelten soll.

Dem kann ich zustimmen. Nicht zustimmen kann ich dem Umstand, dass mit dieser Argumentation der Kritik an der Willkürlichkeit der Regeln, ihrem konstruierten Charakter und den darin befindlichen Widersprüchen begegnet werden soll.

Dass es Regeln gegen den Gebrauch von (vermeintlich oder tatsächlich) leistungssteigernden Mitteln gibt, ist weder aus sich selbst heraus erklärbar, noch selbstverständlich. Diskussionen über die Freigabe von Doping (was dann per definitionem keines mehr wäre) werden abgewiesen, mit dem Argument, dass man die Regeln nicht einfach aufheben kann, als wären diese Naturgesetzen ähnlich und hätten nicht eine historische Entwicklung durchlaufen, beeinflusst von Zeitgeist, gesellschaftlichen Strömungen und medizinischen Erkenntnissen, die sich nach und nach ergeben haben.3

Einmal da, so scheint es, verbietet sich jede Debatte über die Sinnhaftigkeit dieser Regeln. Angeführt werden dabei auch die Werte des Sports – auch sie in der Verwendung scheinbar entwicklungslos und schon immer da. Dabei werden sie nicht weiter definiert.

Ob und in welchem Umfang eine Integrität des Sports, Ehrlichkeit, Fairplay und Respekt4 in gleichem Maße zu jedem Zeitpunkt und überall gegolten haben, ist dabei vollkommen unklar.

Es lassen sich Hinweise dafür finden, dass dies eher nicht der Fall war und der organisierte Sport, wie wir ihn heute kennen, sich erst zu dem entwickeln musste, was er heute ist, damit derartige Ansprüche an ihn gestellt werden können5.

Die Verschleierung seiner eigenen, wohl eher weniger edlen Wurzeln und Entwicklungsstufen sind dabei ein Teil der eigenen Geschichte und seines heutigen Selbstverständnisses.