Sport 1, Moral 0

Bild: freestocks.org

Sport als vermeintlich ethische-normative Kraft. Und Doping als kriminologisches Problem. Eine Betrachtung anlässlich der anstehenden Winterspiele in Peking (Teil 1)

Die denkwürdigen Olympischen Spiele von Tokio 2020/21 sind gerade erst beendet, da stehen die nächsten Spiele in Peking schon kurz bevor. Wurde in Tokio noch viel über die Pandemie gesprochen, die Verschiebung und die Gesundheit der Athlet:innen, so stehen in Peking die Menschenrechte auf dem Plan, zumindest zeitweise.

Es wird diplomatisch boykottiert, was immer das bringen mag. Der Sportzirkus zieht ein Land weiter, die Themen wechseln, manche bleiben allerdings, oder ziehen wieder eine gesteigerte Aufmerksamkeit auf sich – wie etwa das Doping.

Über Doping ist während der Tokyo-Spiele auch gesprochen worden, vor allem angesichts einiger Rekorde und Bestleistungen, die zumindest berechtigte Fragen aufwerfen angesichts einiger Skandale in den letzten zehn bis 20 Jahren.

Dass das Thema Doping nach wie vor ein schwieriger Begleiter des Sports ist und keine Sportler:in, schon gar nicht die vielen Funktionär:innen (und auch so manche Journalist:innen wie auch das Publikum) sich damit die Laune verderben lassen wollen, zeigt nicht nur die wellenhaft verlaufende Berichterstattung über das Thema – also immer, wenn was anfällt, wobei es hier wenige journalistische Ausnahmen gibt – sondern auch der Umgang und die Einstellung so mancher Funktionär:innen im Sport, auch abseits der großen Bühnen.

Um das zu verstehen, ein kleiner anekdotischer Rückgriff. Auf einer Tagung eines Deutschen Sport-Spitzenverbandes im Herbst 2019 hielt ich einen Vortrag zur Kritik des Anti-Doping-Systems. In der anschließenden Diskussion hielt einer der Teilnehmer, allesamt Trainer und Betreuer, den Vortrag unpassend für einen Anti-Doping-Tag und verwies, um seine Kritik zu untermauern, auf eine meiner Folien.1

Auf dieser hatte ich ein Ergebnis unserer entsprechenden Untersuchung mit einem Auszug aus dem statistischen Material wiedergegeben. Die Frage dort war, ob die Interviewten ihre Angaben in der Anti-Doping-Datenbank Adams fälschen würden, um ihre Privatsphäre zu schützen.

Insgesamt konnten sich das unseren Angaben zufolge zumindest rund zehn Prozent der Befragten vorstellen. Der Kritiker verwies darauf, dass dieser Gruppe wohl diejenigen angehörten, die auch im Dopingverdacht stünden.

Kritik am Doping-Kontroll-System, welches aus der Aussage herausgelesen werden kann, war für ihn gleichbedeutend mit dem Willen, illegale leistungssteigernde Mittel zu nehmen. Der Schluss ist zwar absolut unbegründet und aus dem empirischen Material nicht herauszulesen, verweist aber auf ein grundsätzliches Problem im Umgang mit Doping im Sport: Kritik an den Kontrollen wird häufig gleichbedeutend mit einer Akzeptanz von Doping gesehen.

Dies liegt auch darin begründet, dass Sport an sich grundsätzlich als gut und positiv bewertet wird, als Wert an sich, der durch den Regelverstoß des Dopings verletzt würde.

Zum Sport gehören bestimmte, aber in der Regel nicht näher bestimmte oder definierte Werte, deren Verletzung grundsätzlich moralisch verwerflich sei, so der sportinterne Diskurs, der auch in Regelwerken oder dem Wada-Anti-Doping-Code zu finden ist.

Eine Kritik an den Kontrollen sei deshalb abzulehnen, weil sie diese Werte und die positiven Aspekte des Sports infrage stellen würde. Eine kritische, wissenschaftliche Beschäftigung mit Doping als Phänomen im Sport, insbesondere mit den Kontrollmechanismen, ist unter diesen Bedingungen kaum möglich oder wird als Verletzung der Werte des Sports als solcher angesehen – wie das angeführte Beispiel zeigt.

Diese Setzung ist falsch und problematisch. Wissenschaftlich ist sie nicht haltbar und für den Sport ist es eine Sackgasse, wenn in der beschriebenen Weise oder auch subtiler auf Kritik reagiert wird.

Da es beim Phänomen Doping insgesamt und recht nüchtern betrachtet zunächst um Regeln und ihre Nicht-Beachtung geht, scheint es mir hilfreich, aus einer kriminologischen Perspektive drauf zu schauen, denn aus dieser stehen sowohl der Regelbruch als auch die Regel sowie ihre Entstehung im Zentrum des Interesses und weniger der Sport als ein Wert an und für sich.

Warum eine kriminologische Befassung mit dem Phänomen Doping im Sport wichtig ist und dem Sport selbst neue Erkenntnisse liefern kann, möchte ich im Folgenden ausführen. Dabei geht es vor allem um Widersprüche und den Vorschlag für eine andere Sichtweise auf Doping, die dem Sport mehr Möglichkeiten für Reflexionen über sich selbst ermöglichen könnte.