Sprachverarbeitung ist kulturabhängig

Hofdamen wie Murasaki Shikibu trugen maßgeblich zur Entwicklung des ursprünglich vor allem als "Frauenschrift" genutzten Hiragana-Silbenalphabets bei

Erwachsenen Englisch-Muttersprachlern hilft der Blick auf den Mund beim Erkennen von Silben, bei Japanisch-Muttersprachlern ist das Gegenteil der Fall

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In einer in Scientific Reports veröffentlichten Studie zeigen die an der japanischen Kumamoto-Universität forschenden Wissenschaftler Satoko Hisanaga, Kaoru Sekiyama, Tomohiko Igasaki und Nobuki Murayama, dass Englisch- und Japanisch-Muttersprachler Silben, die von anderen Personen gesprochen werden, auf unterschiedliche Weise verarbeiten, sobald sie ein Alter von sechs bis acht Jahren erreicht haben.

Nach Erreichen dieser Altersgrenze richten Englisch-Muttersprachler ihren Blick automatisch auf den Mund eines Video-Gegenübers, während ihn Japanisch-Muttersprachler umherschweifenden oder auf Augen oder Nase ruhen lassen. Englisch-Muttersprachlern hilft dieser Blick offenbar, um ähnliche Silben wie "ba" und "ga" zu unterscheiden. Japanisch-Muttersprachler verlassen sich bei der Silbenerkennung dagegen ausschließlich auf ihr Gehör. Bringt man sie dazu, ihren Blick auf den Mund ihres Gegenübers zu richten, dauert die Identifikation sogar etwas länger.

Hirnscans zeigen neuronale Unterschiede

Um zu ermitteln, ob diese Unterschiede sich neuronal niederschlagen untersuchten die Forscher die Hirnaktivität der Teilnehmer während der Tests mit funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT). Dabei fanden sie heraus, dass bei Englisch-Muttersprachlern die primäre Hörrinde und bestimmte Bereiche im Temporallappen deutlich stärker gleichzeitig aktiv wurden als bei den Japanern, was auf eine engere Verknüpfung der Verarbeitung visueller und akustischer Informationen hindeutet. Bei Kindern unter acht Jahren konnten sie diesen Unterschied nicht beobachten.

Synchronfassungen und Silbenschriften

Welche kulturellen und linguistischen Faktoren den Unterschied hervorrufen zeigen die Tests nicht. Ein möglicher Faktor könnte sein, dass Englisch-Muttersprachler in Medien fast ausschließlich englischsprachige Produktionen sehen, bei denen die Lippenbewegungen perfekt zu den Lauten passen, was bei japanischen Synchronfassungen internationaler Produktionen nicht immer der Fall ist. In jedem Fall zeigten sich die Gehirne von Englisch-Muttersprachlern in den Tests deutlich stärker irritiert als die von Japanisch-Muttersprachlern, wenn man ihnen manipulierte Videos zeigte, in denen Laute und Mundbewegungen nicht zusammenpassten.

Eine andere mögliche Erklärung könnte mit den unterschiedlichen Schriftsystemen der beiden Kulturen zusammenhängen, die Kinder in Vor- und Grundschulen verinnerlicht bekommen: Während das Englische mit einem 26-Buchstaben-Alphabet geschrieben wird, das Silben in Vokale und Konsonanten trennt, lernen Schüler in Japan zuerst die 46-Zeichen umfassende Hiragana-Schrift, die nicht nur jedem Vokal, sondern auch jeder Silbe ein Zeichen zuweist. Später kommen die (vor allem für Lehnwörter eingesetzte) Katakana-Silbenschrift und die aus dem Chinesischen übernommenen Kanji-Wortzeichen hinzu.

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