"Sprung nach Europa schaffen, damit die Anschläge aufgeklärt werden"

Seite 2: Fehler auf allen Ebenen: Erziehung, Vorbeugung und die gesamte Polizeiarbeit

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Ist es nicht erstaunlich, dass die drei mutmaßlichen Zellenmitglieder nicht wegen Mordes angeklagt werden, sondern nur für Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung?

Javier Martínez: Wissen Sie warum? Das gehört dazu, warum man auch keinen Zugang zu den Jungs bekommt, sich mit ihnen nicht unterhalten kann. Mir wurde das genauso verwehrt wie Mitgliedern der katalanischen Polizei. Für mich ist klar, dass man diese Jungs nur als Unterstützer oder Mitglieder einer Vereinigung zu acht Jahren verurteilen will. Dann würden sie sehr bald rauskommen, weil sie nach dem Prozess schon fast vier Jahre abgesessen haben.

Deshalb sollen sie schweigen, da ihnen sonst 20 Jahre oder mehr drohen. Zudem müssten sie, würden sie als Mörder verurteilt, auch die Opfer entschädigen. Aber klar ist, dass auch sie morden wollten wie die anderen. Mohamed Houli hat doch zum Beispiel die Explosion in Alcanar nur aus Glück überlebt, da er kurz das Haus verlassen hatte. Der hat übrigens mehrfach ausgesagt, als er verletzt im Krankenhaus lag, dass fünf Mitglieder der Zelle im Haus waren. Doch nach Angaben der Polizei sollen es nur drei gewesen sein.

Stimmt es, dass der Ermittlungsrichter Fernando Andreu sich bei Ihnen und David Torrents dafür entschuldigt hat, dass die Informationen, die spanische Sicherheitskräfte über den Imam hatten, nicht an die Mossos übermittelt wurden?

Javier Martínez: "Ich bitte Sie um Entschuldigung dafür Herr Martínez, dass die Mossos d’Esquadra keine Informationen erhielten", sagte er uns. Aber dieser Mann wurde abgesägt, in seinem Fall wurde er weggelobt.

Glauben Sie, die Mossos d'Esquadra hätten die Anschläge verhindern können, wenn sie die Informationen von der spanischen Polizei über den Imam erhalten hätten?

Javier Martínez: Das ist möglich. Die Mossos haben auch ohne Informationen aus Spanien die Zelle in nur drei Tagen ausheben können. Als man in Madrid noch erklärte, man wisse nicht, wie viele Mitglieder die Zelle hatte, erklärte der Mossos-Chef schon, dass alle getötet oder gefangen sind.

Klar ist, dass die Bombenwerkstatt in Alcanar nicht in die Luft geflogen wäre, hätte man den Verkauf der Ausgangsstoffe für den Sprengstoff kontrolliert. Ich kann Ihnen schon jetzt voraussagen, dass der Prozess vor allem dazu genutzt werden wird, um den Mossos die Schuld zuzuschieben, um erneut auf sie einzuprügeln.

Hat man aus den Anschlägen und den Fehlern etwas gelernt?

Javier Martínez: Ich habe jedenfalls gelernt zu leiden. Nein. Dabei ist doch klar, dass hier etwas auch in der Erziehung schiefgelaufen sein muss, wenn Jungs aus einem Ort wie Ripoll bereit sind, solche Anschläge auszuführen. Es gibt Fehler auf allen Ebenen: Erziehung, Vorbeugung und natürlich auch die gesamte Polizeiarbeit. In den letzten drei Jahren wurde wenig getan und das bestätigen mir alle.

So haben die Mossos noch immer keine Langwaffen, keine Munition, keine Liste der Imame. Wir wissen also nicht, ob weitere Leute wie Es Satty predigen. Die katalanische Polizei wird auch weiterhin nicht besser geschult, ist nicht mit Europol verbunden und Interpol will nicht mit ihnen sprechen, sagen sie mir. Ich weiß, dass die Mossos derzeit drei Zellen im Blick haben. Drei Zellen in Katalonien. Aber wie viele gibt es hier noch, von denen die katalanische Polizei nichts weiß?

Der Prozess und die politischen Zwecke

Wird der Prozess für politische Zwecke missbraucht werden? Was will die ultrarechte Vox als Nebenkläger? Mit deren Positionen haben Sie ganz offensichtlich nichts gemein. Sie haben nach den Anschlägen die Moschee in Rubí aufgesucht und wurden auch vom Imam umarmt.

Javier Martínez: Vox will vor allem Aufmerksamkeit auf sich lenken, das machen sie immer. Das ist ein Teil ihrer Propagandastrategie, auch um ihren Rassismus zu verbreiten. Das ist für sie sehr billig, mit ihrem Diskurs, alle "Moros" rauswerfen zu wollen. Jetzt diese Leute aus Marokko für die Anschläge verantwortlich machen zu können, nutzen sie für ihren Rassismus.

Ich habe damit nichts zu tun. Ich will mit allen Menschen gut zusammenleben, egal woher sie kommen, egal welche Hautfarbe sie haben. Ich habe Freunde mit verschiedensten Hautfarben und Glaubensrichtungen. Ich habe absolut nichts gegen Moslems, mein Sohn hat mit ihnen auf dem Spielplatz gespielt. Das sind Leute wie Sie und ich. Wir leben zusammen, arbeiten zusammen. Ich kann doch nicht alle Moslems oder Marokkaner für die Anschläge verantwortlich machen, denn das war eine Gruppe ganz bestimmter junger Leute, die getan haben, was sie getan haben.

Der Imam in Rubí hat beim langen Gespräch mit mir geweint und beteuert, dass die Anschläge das Gegenteil von dem darstellen, was der Islam bedeutet und dass die, die unschuldige Menschen umbringen, in der Hölle landen. Ich habe dem Imam in Rubí aber auch gesagt, dass sie sich mehr öffnen sollten, sich besser integrieren, damit nicht solche Probleme mit der Ghettobildung entstehen wie in Frankreich, wo es ernsthafte Probleme gibt.

Haben Sie noch etwas hinzuzufügen?

Javier Martínez: Ja, ich muss Sie nun etwas fragen. Diese Fragen stelle ich Journalisten bei Interview immer, einige sind regelrecht empört darüber. Kennen Sie den Namen des Imams von Ripoll?

Ja, Abdelbaki Es Satty.

Javier Martínez: Kennen Sie die Namen der 16 Opfer der Terrorzelle?

Ich kann mich jetzt nur an den Namen Ihres Sohns Xavi erinnern.

Javier Martínez: Da liegt das Problem. Die Opfer geraten in Vergessenheit, alle erinnern sich an die Namen der Täter, aber nicht an die Opfer. Bei anderen Anschlägen wie 2004 in Madrid mit 191 Opfern ist das noch schwerer. Es ist komisch, dass es bis heute zum Beispiel keine Reportage über die 16 Opfer hier gibt. Niemand will das machen. Wer waren sie, wie haben sie gelebt, woher kamen sie…

Ich will aber, dass man sich an die Opfer erinnert, nicht an die Täter. Ich zeige deshalb überall auch Bilder meines Sohns, der für mich ein Engel ist. Ich will, dass man das Gesicht meines Sohnes sieht.