Sputnik-Schock bei Hyperschallraketen?
Pentagon will mit einem neuem Auftrag an Lockheed Martin den mit "Avangard" entstandenen Rückstand gegenüber Russland aufholen
Schnelligkeit ist in der Militärtechnologie seit je her ein entscheidender Faktor. Auch bei Raketen. Um sie schneller zu machen, forscht und bastelt man bereits seit den frühen 1960er Jahren an so genannten "Scramjet"-Staustrahltriebwerken, die Geschwindigkeiten von mehr als 29.000 Stundenkilometern ermöglichen. Russland sieht solche Zusatzantriebe bereits als serienreif an und ließ am 26. Dezember eine Avangard-Rakete mit 27-facher Schallgeschwindigkeit in einer Plasmawolke fliegen.
Für Erich Moechel vom ORF ist das die "militärische Nachricht des Jahres 2018". Der Grund dafür liegt seiner Ansicht nach darin, dass die USA dieser Waffe "derzeit nichts entgegenzusetzen haben", weil ihre Hyperschallraketenexperimente mit der X-47 und der X-51A "nicht den erhofften Durchbruch" brachten und Anfang der 2010er Jahre "auf Eis gelegt" wurden. Stattdessen konzentrierte man sich beim Finanzieren von Forschung und Entwicklung auf Drohnen und Laser - zwei Technologien, die man für vielversprechender hielt. Erst am 30. November 2018 - also zu einem Zeitpunkt, als die offizielle Verkündung des russischen Erfolgs kurz bevorstand - erhielt der amerikanische Rüstungskonzern Lockheed Martin vom Pentagon einen knapp 30 Millionen Dollar schweren neuen Auftrag zur "Abklärung von Optionen für die Entwicklung eines Hyperschallantriebs speziell für Mittelstreckenraketen".
Kühlprobleme
Der russischen Nachrichtenagentur RIA zufolge können die Avangard-Hyperschallraketen sowohl mit konventionellen als auch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden. Technische Details dazu fehlen bisher, weshalb nicht alle Beobachter davon ausgehen, dass man die damit verbundenen Kühlprobleme wirklich schon gelöst hat. Sind sie gelöst, haben sich die militärischen Gewichte zwischen den Mächten tatsächlich verschoben, weil man eine Rakete mit herkömmlichen Raketenabwehrsystemen um so schlechter abfangen kann, je schneller sie ist. Das ist um so wichtiger, je weiter entfernt das Ziel ist, das man treffen möchte. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass die russische Avangard-Rakete auf einer UR-100-Interkontinentalrakete sitzt, die in den NATO-Ländern als SS-19 oder "Stiletto" bekannt ist.
Auch China forscht an Hyperschallraketen - und ist dabei wahrscheinlich nicht nicht so weit wie die Russen, aber weiter als die Amerikaner (vgl. Wettrüsten bei Hyperschall-Raketen und -Fluggeräten). Eine der Entwicklungen dort ist die CH-AS-X-13, mit der seit 2018 die H-6X1/H-6N-Bomber bestückt sein sollen. Im Juli vermutete Hans Kristensen vom Nuklearwaffeninformationsprojekt der Federation of American Scientists (FAS) außerdem, dass ein modifizierter Mittelstreckenbomber Xian H-6K eine Hyperschallrakete testete.
Abrüstungsabkommen und der Stand der Technik
Der Think Tank Rand Corporation warnte bereits im Jahr davor vor einer "neuen Bedrohungsklasse", für die neue Abkommen nötig seien. Solche neuen Abkommen könnten ein nicht offen kommuniziertes Ziel der im letzten Jahr ausgesprochenen US-Drohung sein, den INF-Abrüstungsvertrag zu kündigen. Er wurde während des Kalten Krieges geschlossen und lässt nicht nur das damals noch nicht zum Kreis der Supermächte gehörige China außen vor, sondern wird auch dem mittlerweile fortgeschrittenen Stand der Technik nur mehr bedingt gerecht (vgl. INF-Streit zwischen Russland und NATO).
Bisher zeigen die Chinesen allerdings wenig Interesse an neuen Abrüstungsverträgen, die ihnen Beschränkungen auferlegen würden. Auch bei der Wiedereingliederung von Taiwan in den chinesischen Staatsverband behält man sich das Ergreifen "aller erforderlichen Maßnahmen" vor, wie der chinesische Staatspräsident Xi Jinping heute früh erneut betonte. Man strebe zwar eine gewaltfreie Wiedervereinigung an, werde aber keine "separatistischen Aktivitäten" hinnehmen, weil diese dem "Trend der Geschichte" widersprächen und "in eine Sackgasse" führten.