INF-Streit zwischen Russland und NATO
USA setzen Zwei-Monats-Frist, China lehnt Beitritt ab
US-Außenminister Mike Pompeo hat Russland dazu aufgefordert, Verstöße gegen den 1987 geschlossenen INF-Atomabrüstungsvertrag bis zum 2. Februar abzustellen, wenn der Rechtsnachfolger der Sowjetunion vermeiden will, dass die Amerikaner - wie im Oktober angekündigt - einen Ausstieg aus dem Abkommen einleiten (vgl. Zurück zum Wettrüsten?). Einen russischen Verstoß gegen den INF-Vertrag sieht Pompeo vor allem in der Entwicklung des sowohl für konventionelle als auch für nukleare Sprengköpfe geeigneten Marschflugkörpers Novator 9M729.
Die Entwicklung dieses Marschflugkörpers verstößt dem US-Geheimdienstdirektor Daniel Coats zufolge über den Umweg einer Kombination mit Daten aus Tests für see- oder luftgestützte Raketen gegen den im INF-Vertrag ausgehandelten Verzicht auf landgestützte Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern. Das, so, Coates, habe man schon unter Barack Obama so gesehen und bemängelt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dessen Bündnis die Novator 9M729 "SSC-8" nennt, sieht das genauso. Kehre Russland nicht zur "vollen Vertragstreue" zurück, so der Norweger, könne die NATO darauf mit einem Ausbau der Raketenabwehr in Europa reagieren.
China kann atomare Mittelstreckenwaffen entwickeln, ohne dabei durch das INF-Abkommen eingeschränkt zu sein
In der russischen Staatsführung ist man dagegen nicht der Ansicht, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen und wirft stattdessen den Amerikanern Verstöße gegen das Abkommen vor, weil sie unter anderem Kampfdrohnen mit entsprechenden Reichweiten entwickeln. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow beschuldigt die USA darüber hinaus, mit den Vorwürfen die "wahren Ziele zum Austritt aus dem INF-Vertrag durch die USA zu tarnen".
Diese "wahren Ziele" könnten südöstlich von Russland liegen: In China, das in den 1980er Jahren nicht zu den damaligen Supermächten gehörte. Deshalb kann das Reich der Mitte atomare Mittelstreckenwaffen entwickeln, ohne dabei durch das INF-Abkommen eingeschränkt zu werden, dem es auch nicht nachträglich beitreten will. Die Amerikaner könnten deshalb darauf spekulieren, dem INF-Vertrag einen neues Abkommen folgen zu lassen, das auch China bindet und dem mittlerweile fortgeschrittenen Stand der Technik besser gerecht wird.
Auch in der Kertsch-Krise vermutet die russische Staatsführung andere Hintergründe
Andere als die öffentlich behaupteten Motive vermutet die russische Außenministeriumssprecherin Maria Sacharowa auch hinter dem Handeln der ukrainischen Staatsführung in der Kertsch-Krise. Eine bei genauerer Betrachtung bemerkenswert kompatible Sicht auf diese Krise hat Stephan Blank, ein Senior Fellow am American Foreign Policy Council (AFPC)in Washington.
Er veröffentlichte einen Tag nach dem Zwischenfall an der Meerenge im Ukraine-Blog des Atlantikrats eine Handlungsempfehlung, in der er der ukrainischen Staatsführung unter anderem rät, sie solle "sorgfältig in Betracht ziehen, eine Spezialoperation durchzuführen, welche die Brücke, die Moskau über die Straße von Kertsch baute, zu unterbrechen". Außerdem solle Kiew "die USA und NATO einladen, mit einer Flotte bewaffneter Schiffe [mit Luftunterstützung] nach Mariupol zu kommen, der größten Stadt am Asowschen Meer, und Russland herausfordern zu schießen, oder die NATO davon abzuhalten ihr Recht auszuüben, ukrainische Häfen anzulaufen" (vgl. Politik der Reflexe statt der Reflexionen).
Wie weit oben Blanks Ratschläge in der ukrainischen Staatsführung wahrgenommen wurden, ist unklar. In jedem Fall äußerte sie tatsächlich den Wunsch nach NATO-Schiffen im Schwarze Meer, was Generalsekretär Stoltenberg jedoch ablehnte.
Die nach dem G20-Gipfel in Buenos Aires gemeldeten Kertsch-Gespräche zwischen Moskau, Kiew, Berlin und Paris hat der Kreml inzwischen dementiert. Dieses Normandie-Format, so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, beschäftige sich "mit der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen", wozu "die Provokation der ukrainischen Seite in russischen Territorialgewässern […] kaum gehör[e]". Das dürfte vor allem der französische Staatspräsident Emmanuel Macron bedauern, der eine außenpolitische Ablenkung von seinen innenpolitischen Schwierigkeiten gut brauchen könnte.
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