Zurück zum Wettrüsten?
Raus aus dem INF-Vertrag: Die USA wollen sich aus einer bedeutenden Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarung zurückziehen
Lieber wieder richtig aufrüsten? US-Präsident Trump will einen wichtigen Waffenverbots-Vertrag aus der Entspannungsphase des Kalten Krieges aufkündigen. Das Ende des INF-Vertrags würde den Rüstungswettlauf weiter anheizen. Europa wäre besonders betroffen, eine neue Friedensbewegung ist nicht in Sicht.
Der INF-Vertrag, 1987 zwischen Reagan und Gorbatschow geschlossen, regelt den Abbau und das Verbot bodengestützter Raketen und Marschflugkörper (sowie ihrer Abschusssysteme) kurzer und mittlerer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometer.
Ausgeschrieben heißt er Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty (INF) und ist laut Experten "extrem wichtig",1 da er der erste seiner Art war, nämlich ein Vertragswerk zur Abrüstung von bestimmten Waffensystemen, die nuklear bestückt werden können, und weil er auf Rüstungskontrolle setzte, und genau diese Art vertraglicher Regelung am Aussterben ist.
Der ABM-Vertrag über Defensivwaffen wurde unter Präsident George W. Bush aufgekündigt (vgl. Nato verstärkt atomaren Rüstungswettlauf weiter). Dem New-START-Vertrag zu den strategischen Atomwaffen, der 2021 ausläuft, blüht nach Einschätzung von sicherheitspolitischen Beobachtern ein ähnliches Schicksal.
Wenn auch dieser Vertrag im Februar 2021 ausläuft, haben wir erstmals seit 1972 keinerlei völkerrechtlichen Vertrag über die Begrenzung nuklearer und ballistischer Rüstung mehr.
Gerhard Mangott
Wie immer bei rüstungspolitischen Fragen geht es um enorme Summen an Steuergeld für die Militärmaschine, ein Aufwand, der wie stets damit begründe wird, dass der "russischen Bedrohung" etwas entgegengesetzt wird. Die Aufkündigung betrifft wegen der Stationierung von US-Raketenabschusssystemen in Rumänien und Polen Europa ganz speziell, auch wenn offiziell China als Grund gegen die Beibehaltung des Vertrags ins Spiel gebracht wird.
Sicherheitsberater Bolton auf Mission
Heute reist der Nationale Sicherheitsberater der USA, John Bolton, nach Moskau, um, wie Medienberichte nahelegen, dort mit dem russischen Präsidenten den Ausstieg aus dem INF-Vertrag zu besprechen. Wie die New York Times am vergangenen Freitag berichtete, bereite sich die Trump-Regierung darauf vor, der russischen Führung Bescheid zu geben, dass man aus dem INF-Vertrag aussteige.
Interessant ist die Begründung, die die Zeitung dazu wiedergibt: Laut ihren Quellen, US-Vertretern und ausländischen Diplomaten, erfolge der geplante Ausstieg aus dem Vertrag, "teilweise um es den USA zu ermöglichen, dass es der chinesischen Aufrüstung im Pazifik etwas entgegensetzen kann". Das halten einige für einen Vorwand.
In Deutschland ist es zum Beispiel Frank Sauer, von der Universität der Bundeswehr München, der die Begründung als Unsinn bezeichnet, da sich der INF-Vertrag nur um bodengestützte Raketensystem oder Marschflugkörper kümmert und das luft- und seegestützte Arsenal der USA ausreichend sein müsste, um China etwas entgegenzusetzen.
Schwankender Boden unter den Füßen
Europa werde erneut eine Raketendiskussion wie in den 1980er Jahren bekommen, so Sauer, der als Konsequenzen der INF-Kündigung durch die amerikanische Regierung ein "ungehemmtes Aufrüsten Russlands" und einen "dramatischen Reputationsverlust" der USA erwartet. In jedem Fall einen Rückschlag.
"Der Boden unter den Füßen wackelt", meint auch Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik2 zu am gekündigten Rückzug der USA aus dem INF-Vertrag. Er zitierte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk Trump mit der Äußerung "Wir werden die Vereinbarung beenden und neue Waffen entwickeln."
Wie Sauer geht auch Meier davon aus, dass Russland als Reaktion aufrüsten wird. Der meist einseitige Blick auf Russlands Rüstung war Thema der Raketendiskussion in Deutschland in den 1980ern und es finden sich auch gegenwärtig viele Stimmen, die den Schwarzen Peter auf russischer Seite suchen, etwa bei den Raketen 9M729 (SSC-8). Diese würden den INF-Vertrag verletzen, so der Vorwurf, der schon seit einiger Zeit kursiert.
Gleiches mit Gleichem vergelten
Das Spiel, meist "Aufrüstungsspirale" genannt, ist bekannt. Der Vorwurf, dass die andere Seite Verpflichtungen aus dem Rüstungskontroll-Vertrag unterwandert, dient anderseits als Rechtfertigung für Gegenmaßnahmen. Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit wies im Januar dieses Jahres auf US-Budgetpläne hin, die ein Programm zur Entwicklung eines "konventionellen, landgestützten Marschflugkörpersystems mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern" vorsahen.
Nassauer verweist auf alte Mechanismen - dass in politischen Kreisen der USA davon gesprochen werde, "Gleiches mit Gleichem zu vergelten" und dass man dort auf ein landgestütztes Marschflugkörpersystem deute, das Russland bereits entwickelt habe.
Seit Juli 2014, kurz nach der Krim-Krise, wirft die US-Regierung Moskau offiziell in ihren jährlichen Berichten zur Einhaltung von Rüstungskontrollverträgen vor, den INF-Vertrag zu verletzen. Darauf verweist auch das Haushaltsgesetz. Moskau habe bereits 2008 ein landgestütztes Marschflugkörpersystem verbotener Reichweite getestet, und - so der Stellvertretende Generalstabschef der US-Streitkräfte im März 2017 vor einem Kongressausschuss - inzwischen sogar außerhalb eines Testgebietes stationiert.
Washington bezeichnete den fraglichen Marschflugkörper lange als SSC-8. Vor drei Jahre kamen zivile Experten zu dem Schluss, damit müsse wohl der Flugkörper 9M729, eine Entwicklung der Firma Novator, gemeint sein und nicht der Flugkörper 9M728 (SSC-7), der als vertragskonforme Zweitbewaffnung des Raketensystems Iskander eingesetzt wird. Im Dezember 2017 bestätigte auch das Weiße Haus diese Analyse. Man habe Moskau bereits detaillierte Hinweise gegeben, um die anderen Komponenten des fragwürdigen Systems zu identifizieren. Russland leugne jedoch, dass es überhaupt ein Problem gebe.
Otfried Nassauer
Auch Russland wirft den USA vor, dass sie den INF-Vertrag verletzen.
"Es gibt ernsthafte Fragen in Bezug auf den INF-Vertrag verletzende Handlungen unserer US-Kollegen. Dies betrifft unter anderem die Bodenstationierung von Startvorrichtungen des Typs MK-41 auf rumänischem und polnischem Territorium", verlautbarte der Chef der Abteilung für Nichtverbreitung und Kontrolle von Waffen im russischen Außenministerium, Wladimir Jermakow, bei Diskussionen im UN-Ausschuss zu Abrüstung und internationaler Sicherheit.
Sputnik
Zu erkennen ist, dass die Auseinandersetzungen um den Raketenabwehrschirm, den die USA in osteuropäischen Staaten errichten wollen und teilweise schon aufgebaut haben, die Grundlage für die Diskussion liefert (vgl. dazu Iskander-Raketen in Kaliningrad).
Im Westen, und ganz besonders in der Nato, wird die russische Bedrohung herausgestellt und betont. In Russland beunruhigt die Aufstellung von Raketensystem in nächster Nähe. Das kann sich aufschaukeln. Seit 2014, seit dem vom Westen nachgeholfenen Regierungswechsel in der Ukraine und des von Russland unterstützten Referendums, welches die Krim der russischen Föderation zusprach, wachsen die Spannungen.
Es gibt auf jeder Seite einen großen Apparat, der mit der Unterstützung der Aufrüstung finanziell und politisch sehr viel Kapital macht - an Entspannungspolitik ist keiner wirklich interessiert.