Litauen beunruhigt: Russland stationiert dauerhaft Iskander-Raketen in Kaliningrad
Die schon lange angekündigte Reaktion auf das US-Raketenabwehrsystem an der russischen Grenze wird von Litauens Präsidentin als "Bedrohung für halb Europa" dargestellt
"Am Montag wurden Iskander-Raketen in Kaliningrad dauerhaft installiert", sagte die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaitė gestern just während der Feier der einjährigen Stationierung der tausend Mann starken Kampfgruppe Nato Enhanced Foward Presence (eFP) in Litauen, die von der Bundeswehr angeführt wird. Die Präsidentin gab sich nicht nur besorgt für Litauen, sondern das sei "eine Bedrohung für halb Europa". Kreml-Sprecher Dmitry Peskov bestätigte am Dienstag die Verlegung. Er erinnerte daran, dass es das alleinige Recht Russlands sei, auf eigenem Territorium Waffen oder Militäreinheiten zu stationieren. Russland habe auch niemals jemand bedroht oder tue dies jetzt.
Die Absicht, die seit 2006 produzierten Kurzstreckenraketen des Typs Iskander-M in der russischen Enklave Königsberg oder Kaliningrad zu stationieren, geht über 10 Jahre zurück. Die russische Regierung hatte dies als Reaktion auf den Raketenabwehrschirm angekündigt, den die Bush-Regierung nach dem einseitigen Ausstieg aus dem ABM-Vertrag in Nato-Staaten an der Grenze zu Russland errichten wollte. Die USA und die Nato hatten immer gesagt, der Raketenabwehrschild richte sich nicht gegen Russland, sondern gegen Nordkorea oder den Iran, was aber berechtigterweise in Moskau auf Unglauben stieß. Die USA hielten zudem an Stützpunkten an der russischen Grenze fest und erweiterten die Nato.
Ursprünglich war neben Polen die Tschechische Republik vorgesehen, als dort der Widerstand zu groß wurde, verlegte man das Raketenabwehrsystem Aegis Shore mit den SM-3-Abfangraketen nach Rumänien, wo es seit 2016 betriebsbereit ist. In Polen soll das Raketenabwehrsystem im Laufe dieses Jahres einsatzbereit sein. Die Iskander-Raketen wurden so entwickelt, dass sie angeblich von einem herkömmlichen Raketenabwehrsystem nicht abgeschossen werden können. Sie sind auch im Sinkflug noch manövrierbar, können angeblich zum Ausweichen ihren Flug beschleunigen und führen zahlreiche Täuschkörper mit sich. Die Raketen können je nach Ziel mit unterschiedlichen Sprengköpfen ausgestattet werden, auch mit nuklearen. Ihre Reichweite beträgt bis zu 500 km.
Weil die Weiterentwicklung der Iskander möglicherweise die Reichweite vergrößert, wirft Washington Moskau eine Verletzung des aus dem Kalten Krieg stammenden INF-Vertrag vor, nach dem landgestützte Raketen mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometer verboten sind. Umgekehrt wirft Moskau den USA vor, dass die in Rumänien und Polen installierten Mark-41-Abschusssysteme für die SM-3-Raketen auch Tomahawk-Marschflugkörper abfeuern können, was gleichfalls das INF-Abkommen verletzen würde.
Vor kurzem hat das russische Verteidigungsministerium bereits Iskander-M-Raketensysteme nach Syrien gebracht und dort unter Tarnnetzen versteckt. Das soll jedenfalls aus Bildern des israelischen Satelliten EROS B von iSi hervorgehen. Überdies soll nach derselben Quelle das russische Militär im Januar eine Rakete von Latakia aus nach Deir es-Sor abgefeuert haben. Das sind Vermutungen, die aber zutreffen können, weil sich die Lage in Syrien zuspitzt, nachdem neben Russland und den USA alle Parteien ihre Territorien sichern oder ausbauen wollen, wovon nicht zuletzt der Einmarsch der Türken in Afrin und der Kampf um Idlib Zeugnis ablegt.
Zuvor hatte Russland bereits für Übungen Iskander-M-Raketen in die Enklave Königsberg verlegt. Schon damals hatte die litauische Präsidentin gewarnt, dass die Raketen keine Verteidigungs-, sondern Angriffswaffen seien, und dass es sich um eine "aggressive, offene Demonstration der Macht und Aggression nicht nur gegen die baltischen Staaten, sondern gegen die europäischen Hauptstädte" handele.
Neben der Präsidentin erklärte auch der litauische Außenminister Raimundas Karoblis, es handele sich um eine permanente Installation mit der erforderlichen Infrastruktur. Litauische Geheimdienste sagten zwar, dass Iskander-Raketen nicht erforderlich seien, um litauische Ziele zu treffen, aber die Installation sei deswegen gefährlicher, weil sie Aktionen der Nato in der Region behindere. Aus Litauen kommt der Rat, die Stationierung der Iskander-Raketen bei der Suwalki-Lücke (Nato-Truppen übten die Verteidigung der "Suwalki-Lücke) "dadurch zu beantworten, weiter aufzurüsten, um die russischen Maßnahmen gegen die Ankunft von Nato-Alliierten im Falle eines Konflikts zu "neutralisieren". Auch die Präsidentin plädiert für ein Aktualisierung der Notfallpläne und eine Verstärkung der Luftverteidigung.
Derweilen wird weiter gestichelt. Zwei-Nato-Kampfflugzeuge sind am Donnerstag letzter Woche aufgestiegen, um eine russische SU-27 zu begleiten, die von Russland nach Kaliningrad flog, ohne angeblich zuvor die Flugroute bekannt gegeben und ohne einen Transponder eingeschaltet zu haben. Am selben Tag wollten Nato-Kampflugzeuge offenbar noch einmal die Russen provozieren. Sie fingen eine russische Transportmaschine AN-26 auf dem Weg von Kaliningrad nach Russland ab, obgleich ein Flugplan vorlag, der Transponder eingeschaltet war und eine Funkkommunikation möglich gewesen wäre. Zuvor hatte eine russische Su-27 ein amerikanisches überwachungsflugzeug EP-3 Aries über dem Schwarzen Meer begleitet, nach dem Pentagon gefährlich bedrängt. Russland sagte, die USA sollten entweder Flüge an der russischen Grenze einstellen oder die Regeln einhalten.