Sputnik-Shots, Wahlvorwürfe und Schadensersatzübernahmen
Russland, die USA und die EU beschreiten auf der Suche nach einem Corona-Impfstoff unterschiedliche Wege
Gestern starben in Russland 110 Menschen an Covid-19. Insgesamt teilten dort bislang 17.759 dieses Schicksal. Gleichzeitig gab der russische Gesundheitsminister Michail Muraschko bekannt, dass Phase 3 der Tests des am 11. August für Notfallsituationen zugelassenen Impfstoffs Sputnik V begonnen hat und dass die Regionen der Russischen Föderation "in naher Zukunft" Lieferungen dieses vom Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie entwickelten Serums erwarten können.
Russische Studien jetzt publiziert
Sputnik V arbeitet mit zwei künstlichen Adenoviren - Ad5 und Ad26. Diese "Vektoren" oder "Taxis" werden mit zwei Impfungen injiziert. Sie ähneln an der Außenhülle genetisch den Sars-CoV-2-Viren, können sich aber nicht vermehren. Dieses System ist eine Weiterentwicklung einer vor fünf Jahren im Kampf gegen Ebola entwickelten Impflösung, die in Afrika seit 2017 zum Einsatz kommt.
Die Ergebnisse der Phase-1- und der Phase-2-Tests von Sputnik V haben die russischen Forscher am 4. September in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht. Ihnen zufolge bildeten die Probanden eineinhalb Mal so viele Antikörper wie Personen, die eine schwere Covid-19-Infektion überstanden - aber bei keinem traten schwere Nebenwirkungen auf. Die T-Zellen-Immunantwort beinhaltete sowohl CD4+- und CD8+-Zellen, die für eine lang anhaltende Wirkung sorgen sollen.
Warten auf den 3. November
Der Name des russischen Impfstoffs spielt auf den Satelliten an, mit dem die Russen in den 1950er Jahren den Amerikaner bei der Erforschung des Weltraums technologisch zuvorkamen. Die Amerikaner zogen damals relativ zügig nach - und auch ihr aktueller Präsident Donald Trump stellte gestern in Aussicht, dass sie "sehr bald" einen "sehr sicheren und sehr wirksamen" Impfstoff haben werden - "vielleicht sogar vor einem sehr speziellen Datum". Die meisten US-Medien gehen davon aus, dass er damit nicht auf den Thanksgiving-Tag oder auf Heiligabend anspielt, sondern auf den 3. November - dem Tag, an dem er sich zur Wiederwahl stellt.
Dass Donald Trump dieses Datum für eine Notfallzulassung im Auge hat, glauben auch die Demokraten, die ihn durch Joseph Biden ersetzen wollen. Kamala Harris, die Ersatzfrau für diesen oft gesundheitlich angeschlagen wirkenden Kandidaten, warnte am Wochenende auf dem demokratischen Haussender CNN, sie würde "Donald Trump nicht trauen", wenn er einen Impfstoff präsentiert, sondern auf "eine glaubwürdige Quelle" warten. Damit implizierte sie, dass der Präsident Bedenken wegen der Wahlwerbewirksamkeit einer Präsentation vor dem 3. November hintanstellen könnte.
Trump warf den Demokraten daraufhin vor, deren "Anti-Impf-Rhetorik" sei "gefährlich für unser Land", weil manche Amerikaner nun zögern könnten, sich impfen zu lassen, obwohl in den USA bereits mehr als 189.000 Menschen an Covid-19 starben. Damit impliziert er seinerseits, dass der politische Gegner taktische Erwägungen zur politischen Macht vor den Schutz der Gesundheit der Amerikaner stellt.
Welchen Impfstoffkandidaten er konkret als Hoffnungsträger im Auge hat, lässt der US-Präsident bislang offen. In Frage kommen hier unter anderem der der amerikanischen Firma Moderna (die mit dem National Institute of Allergy and Infectious Diseases zusammenarbeitet) und der des amerikanisch-chinesisch-deutschen Konsortiums aus Pfizer, Fosun Pharma und BioNTech. Beide arbeiten - anders als Sputnik V - mit der noch nicht so lange erprobten mRNA-Methode und befinden sich derzeit in der Testphase 3.
In der EU hofft man auf Impfstoffe der deutschen Firma Curevac (die auf ein inaktiviertes Virus setzt und der man 400 Millionen Dosen abkaufen will) und des britischen Pharmaunternehmens AstraZeneca (mit dem die Kommission Ende August einen Vertrag über 300 Millionen Dosen schloss). Daneben kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gestern an, Bill Gates' Covax-Initiative 400 Millionen Euro zukommen zu lassen.
AZD1222 - das Serum, das AstraZeneca entwickelt, befindet sich ebenfalls in der Testphase 3. Es arbeitet - ebenso wie Sputnik V - mit nicht replizierenden viralen Vektoren, hat aber noch keine Notfallzulassung. Einem Bericht der Berliner Zeitung nach fordert das Pharmaunternehmen eine staatliche Übernahmegarantie von Schadensersatz, falls es negative Spätfolgen geben sollte. Ruud Dobber, der Senior Executive von AstraZeneca, hatte vorher verlautbart, in dieser "einzigartigen Situation", so ein Risiko "einfach nicht eingehen" zu können, weshalb Verträge entsprechend gestaltet würden.
Drei weitere Seren, die derzeit in der dritten Phase getestet werden, kommen aus China: Das inaktivierte Virus der Firma Sinovac hat dort bereits eine Notfallzulassung. Zwei andere Impfstoffe, die auf dieselbe Methode setzen, sollen von der Firma Sinopharm hergestellt werden: Einer davon entstand an einem Biotech-Institut im Seuchenausbruchszentrum Wuhan, der andere in der chinesischen Hauptstadt Peking.
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