Sri Lanka: Staatskrise durch falsche Agrarpolitik
Domino-Effekte von außen und innenpolitische Fehlentscheidungen haben das Land ruiniert. Ein schrittweiser Umbau zur pestizidfreien Landwirtschaft könnte dennoch gelingen
Anfang Juli demonstrierten Tausende Menschen auf den Straßen von Sri Lankas Hauptstadt Colombo. In den Medien war zu sehen, wie sie in den Präsidentenpalast eindrangen und im Swimmingpool badeten.
Die Proteste, die sich gegen die Regierung richten, hatten bereits im März begonnen und seither nicht mehr aufgehört – häufig gab es hunderte Verletzten, oft sogar Tote. Am 9. Mai dieses Jahres war Premierminister Mahinda Rajapaksa zurückgetreten, sein Bruder, Präsident Gotabaya Rajapaksa, war jedoch im Amt geblieben – bis im Juli zehntausende Menschen auf den Straßen der Hauptstadt auch seinen Rücktritt erzwangen.
Ausgelöst hatte die Massenproteste eine jahrzehntelange schwere Wirtschaftskrise, die schließlich in einem Staatsbankrott mündete. Der südasiatische Inselstaat mit seinen 22 Millionen Einwohnern ist abhängig von Importen – unter anderem von Lebensmitteln, Benzin, Diesel und Gas. Die Inflationsrate liegt aktuell bei 55 Prozent. Ökonomen gehen davon aus, dass sie demnächst auf 70 Prozent steigen wird. Wegen der starken Abwertung der Landeswährung verteuerten sich die Importe.
So war das Land auch wegen steigender US-Zinsen zuletzt nicht mehr in der Lage, die wichtigsten Importe – Lebensmittel, Treibstoff und Medikamente – zu finanzieren. Wegen der Corona-Reisebeschränkungen brachen die Deviseneinnahmen im Tourismus ein. Zu Beginn dieses Jahres kam die globale Teuerung wegen des Ukraine-Krieges hinzu.
Die ungünstige Kombination traf auf eine höchst prekäre Finanzlage. Zwischenzeitlich hatte die Regierung den Internationalen Währungsfonds (IWF) und einige andere Länder, unter anderem auch Russland, um Hilfe gebeten.
Darüber hinaus schmälerten Steuersenkungen die Staatseinnahmen. Allein die Lebensmittel verteuerten sich um 80 Prozent. Mehr als zwei Drittel der Menschen sollen nicht mehr genug zu essen haben. In der Hoffnung, mit Großbauprojekten viel Geld zu verdienen, investierte die Regierung in gigantische Infrastrukturprojekte, wobei sie zum Teil mit China kooperierte.
Doch die meisten Bauprojekte blieben Investitionsruinen, so wie ein neu gebauter Hafen im Süden des Landes, der nie genutzt wurde, berichtet ARD-Korrespondentin Sybille Licht.
Zwar kündigte Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe Reformen an, aber offenbar zu spät. Der Unmut in der Bevölkerung wuchs zusehends – genau wie der Schuldenberg: Allein die Auslandsschulden sollen rund 50 Milliarden Euro betragen.
"Öko-Wende" ging nach hinten los
Im Mai 2021 kündigte Rajapaksa ein Einfuhrverbot für chemische Düngemittel und Agrochemikalien an. Erklärtes Ziel war es, die gesundheitlichen Schäden durch übermäßigen Chemie-Einsatz einzudämmen. Das Land sollte "globaler Vorreiter in Sachen ökologischer Landbau" werden.
Wie überall in Südasien setzen die Bauern auch in Sri Lanka massiv auf Agrochemikalien, um aus dem Boden der meist kleinen Äcker maximalen Ertrag herauszuholen. Die giftigen Pestizid-Cocktails sollen die Pflanzen vor Schädlingsbefall schützen. Denn Ernteverluste führen bei den zumeist mittellosen Bauern schnell in Existenznöte.
Das Importverbot von Agrochemikalien bedrohte die wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturen – vor allem den Tee-Anbau, in dem massiv Pestizide eingesetzt werden. Der Teesektor mit einer Wirtschaftskraft von rund 1,3 Milliarden US-Dollar ist stark auf den Export ausgerichtet und somit eine tragende Säule der sri-lankischen Wirtschaft.
Auch der Zeitpunkt der Ankündigung – zu Beginn der Reispflanzsaison – hätte ungünstiger nicht sein können. Die Landwirte reagierten auf die Reformen äußerst skeptisch. Ihnen bleibe zu wenig Zeit für die Vorbereitung, zudem müssten sie nun selbst organischen Dünger herstellen, verkündeten sie. Tausende Bauern protestierten auf den Straßen. Viele weigerten sich, ihre Äcker weiter zu bewirtschaften. Dies wiederum zog Engpässe in der Lebensmittelproduktion nach sich. Die Erntemengen brachen ein. Einige Nahrungsmittel verteuerten sich erheblich.
Laut einer Umfrage nutzen etwa 94 Prozent der Reisbauern und 89 Prozent der Tee- und Kautschukproduzenten synthetische Düngemittel. Um ihre Düngemittel länger nutzen zu können, rationierten die Bauern ihre Vorräte. Auch dies war vermutlich ein Grund für sinkende Reiserträge in der Anbausaison im Jahr 2020 im Mai bis August 2021.
Kehrtwende aus Angst vor finanziellen Einbußen
Der Widerstand und die Sorge, dass die Lebensmittelpreise in die Höhe schnellen könnten, zwangen die Regierung schließlich zu einer Kehrtwende. Im November, sieben Monate nach der Einführung des Importverbotes, wurde es wieder aufgehoben. Kunstdünger und Agrochemikalien sollten nun wieder so lange importiert werden dürfen, bis das Land in ausreichendem Umfang organischen Dünger herstellen kann. Dennoch bestand der Präsident weiterhin darauf, seine "grüne Revolution" in der Landwirtschaft umzusetzen.
Es war weniger die Sorge um die Landwirte, die die Regierung zurückrudern ließ, als der Mangel an Devisen: Das Land konnte die importierte Waren nicht mehr bezahlen. Allein im Jahr 2020 wurden 259 Millionen Dollar für ausländische Düngemittel ausgegeben, wie aus Statistiken hervorgeht. Das entspricht 1,6 Prozent der Gesamtimporte.
Aber auch der Importstopp wurde nicht wirklich eingehalten. Die Regierung unterlief ihre eigenen Anordnungen. So hatte die Regierung während dessen in Litauen 30.000 Tonnen Pottasche-Chlorid gekauft, die dann fälschlich als organischer Dünger deklariert wurden.
In einem anderen Fall bestellte die Regierung 3,1 Millionen Liter eines neuen Nano-Urea-Flüssigdüngers in Indien. Dessen Hersteller ist die Indian Farmers Fertiliser Cooperative, der größte Düngemittelhersteller des Subkontinents. Urea, der Fachbegriff für Harnstoff, der bei der Reaktion von Ammoniak mit Kohlenstoffdioxid entsteht, wird als Granulat auf die Böden ausgebracht.
Doch der enthaltene Stickstoff kann von der Pflanze nur zu 30 bis 50 Prozent für besseres Wachstum aufgenommen werden. Der Rest geht verloren, belastet Böden und Gewässer. Bei dem "umweltfreundlichen" Flüssigdünger handelte es sich um ein Chemieprodukt, das im Ökologischen Landbaus verboten ist. Ein typischer Fall von Etikettenschwindel.
Mit Schulungen und Anreizen auf Bio umstellen
Die Entscheidung, die Landwirtschaft von heute auf morgen umzustellen, sei nicht gut durchdacht gewesen, erklärt Christoph Studer, Professor an der Berner Fachhochschule BFH-HAFL. Die Bauern waren schlicht nicht fähig, sich so schnell anzupassen. Um die Praxis des Ökolandbaus umzusetzen, fehle es ihnen an Wissen und Erfahrung.
Der Biolandbau habe bei vielen sri-lankischen Bäuerinnen und Bauern seither einen schlechten Ruf. Behörden sprechen daher lieber von "umweltfreundlicher Landwirtschaft". Zwar war der Inselstaat während der letzten 60 Jahre auf eine hohe landwirtschaftliche Produktivität ausgerichtet.
Doch das vorhandene Ackerland reicht nicht aus, um die Bevölkerung zu ernähren. Das Land müsse sich nun an die neue Agrarpolitik anpassen und die Produktion von organischem Dünger vorantreiben, erklärt der Berater des bedeutendsten sri-lankischen Agrarunternehmens, das unter anderem chemische Düngemittel importiert.
Erwartungsgemäß werden im Ökolandbau die Erträge geringer sein, doch dieses Problem hält der Agronom Studer für lösbar. Man müsse vor allem ertragreiche Sorten für den Bio-Anbau entwickeln. Derzeit müssen Biobauern und -bäuerinnen zumeist konventionelle Pflanzensorten verwenden, die unter ökologischen Bedingungen nur geringe Erträge ergeben. Neben der Züchtung ökologischer Sorten muss auch genügend organischer Dünger bereits stehen.
Man müsse man den Bäuerinnen und Bauern gute Schulungsprogramme anbieten. Geeigneten Subventionen bzw. finanzielle Anreize könnte die Bereitschaft zur Umstellung fördern, betont auch der Schweizer Agrarexperte Adrian Müller.
Vor allem aber muss die Umstellung schrittweise erfolgen, zunächst zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft auf Grundlage der Agrarökologie: Hier werden mittels Kompostierung, speziellen Fruchtfolgen und dem Anbau von Zwischenfrüchten mit stickstoffbindenden Leguminosen Nährstoffe im Boden erhalten und gefördert.
Vor allem aber müssen sich die Ernährungsgewohnheiten ändern, Was konkret bedeutet: weniger Fleisch essen und weniger Lebensmittel zu verschwenden.
Kautschuk statt Palmölplantagen?
Sri Lanka gehörte bisher zu den führenden Herstellern von Kokosnussöl. Immer mehr Ölpalmplantagen wurden angelegt. Auch Palmölimporte hatten zuletzt zugenommen. Zwecks Palmölproduktion werden flächendeckend Wälder abgeholzt. Schätzungen zufolge importiert Sri Lanka jedes Jahr rund 200.000 Tonnen Palmöl, hauptsächlich aus Indonesien und Malaysia.
Anfang 2021 kündigte Präsident Gotabaya Rajapaksa ein Verbot von Palmölimporten an. Es durften keine neuen Palmölplantagen angelegt werden. Bestehende Plantagen sollten schrittweise (jährlich etwa zehn Prozent) gerodet und durch Kautschuk oder andere umweltfreundliche Pflanzungen ersetzt werden. Unternehmen, die Ölpalmen anpflanzten, sollen diese schrittweise entfernen, lautete die Forderung.
Ob diese Forderungen auch nach dem Sturz der Regierung weiter bestehen, ist fraglich. Allerdings wären Kautschukplantagen ohnehin keine ökologische Alternative zu Palmöl. Eine echte Alternative wären Agroforstsysteme, kombiniert mit Kulturen im Bio-Anbau ohne Entwaldung: Diese wären nicht nur ökologisch sinnvoll, die neuen Kulturen könnten dem Land auch nachhaltige Einnahmen bringen.
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