Staaten, Völker, Nationalitäten
Seite 3: Norditalien - unterschätzte Sprengkraft
- Staaten, Völker, Nationalitäten
- Zentralstaaten als Bremser
- Norditalien - unterschätzte Sprengkraft
- Enttäuschte "kleine Völker"
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Außerhalb Italiens werden die Unabhängigkeitsverlangen im Norden des Landes meist unterschätzt und zumindest in der Wissenschaftspublizistik weitgehend ausgeblendet. Die politische Klasse in Rom muss hingegen angesichts regionaler Erosionserscheinungen befürchten, dass Bestrebungen, sich von Italien zu lösen, an Boden gewinnen.
So beteiligten sich im März 2014 im Veneto 2,36 Millionen Wahlberechtigte (63,2 % der regionalen Wählerschaft) an einem Online-Referendum zum Thema Unabhängigkeit Venetiens, von denen 89,1 % - das waren immerhin 56,6 % aller Wahlberechtigten - auf die Frage "Willst Du, dass die Region Veneto eine unabhängige und souveräne Republik wird?", mit einem klaren "Ja" antworteten. In unmittelbarer lombardisch-"padanischer" Nachbarschaft zündelt die Lega Nord immer wieder mit Unabhängigkeitsverlangen und strebt ein aus der Lombardei, Piemont und Venetien zu bildendes Unabhängigkeitsbündnis an.
Nebenan, in der mit Sonderstatut, wie sie die Lega für die Lombardei anstrebt, versehenen Region Trentino-Alto Adige, ist in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol (520 000 Bewohner; davon 62,3 % Deutsch(sprachig)e; 23,4 % Italiener; 4,1 % Ladiner und 10,2 % Personen, die sich bei der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung nicht den genannten Autonomiestatuts-Ethnien zugehörig erklärten) seit zwei Landtagswahlperioden die verstärkte Hinwendung von deutschtiroler Wählern zu den deutschtiroler Oppositionsparteien zu registrieren.
Dies rührt, neben unübersehbaren Abnutzungserscheinungen der seit 1945 dominanten Regierungspartei SVP und deren Aufgabe ihrer gut sechs Jahrzehnte gewahrten Äquidistanz zu den römischen Parteien, auch von den vielfältigen Maßnahmen Roms seit einigen Jahren her, sozusagen scheibchenweise die ansonsten international als Vorbild gerühmte Autonomie auszuhöhlen und damit zu entwerten. Dies könnte sich mit der anstehenden, auf noch mehr Zentralismus hinauslaufenden Staats- und Verfassungsreform, welcher die SVP-Kammerabgeordneten - wider die Warnungen der Opposition und von ehedem langjährigen politischen Verantwortungsträgern der eigenen Partei - zustimmten, noch weiter verstärken.
"Los von …."
Angesichts dessen ist es nicht allzu verwunderlich, dass die Befürworter des "Los von Rom" in Südtirol Zulauf erhalten. Und sich, wie der 2014 in Meran sowie im Mai 2016 in Bruneck vom Südtiroler Schützenbund initiierter "Unabhängigkeitstag" erwies, mit den politischen Kräften jener Bewegungen verbünden, welche das "Los von London, Madrid, Paris, Brüssel ….." für sich beanspruchen sowie die Gewährung und Ausübung des Selbstbestimmungsrechts verlangen.
Man kann daher der EU den Vorwurf nicht ersparen, dass sie es verabsäumt hat, sich auf eine vernünftige Politik zugunsten nationaler Minderheiten einzulassen und einen verlässlichen kollektiven Rechtsrahmen zum Schutz der "kleinen Nationen" und Volksgruppen zu schaffen. Warum hat die EU keine wirklich substantiellen Volksgruppen-Schutzmaßnahmen ergriffen? Weil zentralistisch organisierte Nationalstaaten wie Frankreich, Italien, Spanien, Rumänien, um nur die ärgsten Bremser zu nennen, deren Begehr prinzipiell ablehnend gegenüberstehen.
Hinsichtlich Rumäniens ist beispielsweise darauf zu verweisen, dass das Verlangen der ungefähr 1,4 Millionen ethnischen Ungarn - und insbesondere der ca. 700.000 Szekler - nach Autonomie von der gesamten politischen Klasse des Staatsvolks sofort als Sezessionsbegehr (Stichwort: Trianon) gebrandmarkt wird. Ein anderes Beispiel: Frankreich (am 7. Mai 1999) und Italien (27. Juni 2000) haben zwar die am 5. November 1992 vom Europarat verabschiedete und - bezogen auf die realen Auswirkungen für die jeweiligen Staatsnationen - relativ "harmlos" bleibende "Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen" unterzeichnet; ratifiziert und inkraft gesetzt wurde sie bis zur Stunde von beiden Staaten nicht.
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