Staatsfern? Staatsfunk?

Ex-Mister-heute Steffen Seibert und Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bild: European People's Party, CC BY 2.0

Vom Star-Journalisten zum Regierungssprecher mit Rückkehroption. Warum die Karrieren von Steffen Seibert, Ulrich Wilhelm und anderen stärker thematisiert werden sollten

Steffen Seibert verlässt dieser Tage sein Amt als Regierungssprecher – seit dem 11. August 2010 hat er es inne und damit einen Rekord in dieser Rolle aufgestellt. Niemand vor ihm war so lange Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung und damit als beamteter Staatssekretär Chef von knapp 500 PR-Profis im Auftrage der Bundesregierung.

Hauptstadtjournalist Steven Geyer vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) publizierte gerade einen Artikel, wie es derzeit viele zum Regierungswechsel gibt: Der Langzeit-Rekord, den Merkel nicht ganz schaffte – Helmut Kohl war einige Tage länger Kanzler–, gelang ihrem Sprecher, Steffen Seibert.

Ein paar lapidare Worte über berufliche Aussichten für den 61-Jährigen. Aber: Kein Wort darüber, dass Steffen Seibert ein allgemeines Rückkehrrecht zum ZDF hat, worauf jüngst der Branchendienst quotenmeter hingewiesen hatte.

Dabei sollte ein Strukturproblem zwischen Journalismus und PR gerade in Deutschland wieder viel mehr in den Blickpunkt geraten können: Inwiefern ist Journalismus hierzulande unabhängig von Interessen Dritter? Und insbesondere: Wie nah stehen sich, strukturell und persönlich, öffentlich-rechtliche Anstalten und Exekutive? Inwiefern gilt die Norm der größtmöglichen "Staatsferne" jener Medien?

Dieses Problem wurde schon mal auf der Ebene der Gremienvertreter bis hin zum relativ ZDF-kritischen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Jahr 2014 debattiert.

Seitdem sollte die Zahl der Leute, die ausdrücklich auf einem regierungs- oder sonst parteipolitischen Ticket in den beiden wichtigsten ZDF-Aufsichtsgremien tätig sind, begrenzt sein auf jeweils ein Drittel.

Ein anderer Aspekt dieser Unabhängigkeits-Debatten: Wer wechselt zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit die Seiten? Und womöglich zurück? Es ist ja kein Geheimnis, dass die Ressourcen auf Seiten der expliziten Auftragskommunikation deutlich größere sind als im Journalismus ...

Abschied nach 1.058 Auftritten vor der Bundespressekonferenz

Es war ein ziemlicher Coup damals im Hochsommer des Jahres 2010: Für viele überraschend wechselte "Mister heute" Steffen Seibert, als Moderator das bekannteste Gesicht der ZDF-Nachrichtenformate, von seinem bisherigen öffentlich-rechtlichen Amt direkt auf den Posten des Regierungssprechers.

Angela Merkels Stab hatte vieles, wenn nicht alles richtig gemacht: Ein äußerst "glaubwürdiger" Mann in der Öffentlichkeit, bundesweit einer der bekanntesten und wohl auch beliebtesten Medienvertreter. Kritik gab es eher am Rande, wie vom Satiremagazin Titanic.

In der Rubrik Briefe an die Leser hieß es dazu:

Gut, Steffen Seibert, Sie werden nun also vom Moderator des Heute-Journals zum Regierungssprecher. Was wir nicht verstehen: Wo ist denn da die "neue Aufgabe", die Sie laut Ihrer ersten Stellungnahme gereizt hat?

Satirisch wird hier das Strukturproblem der (womöglich mangelnden) Staatsferne nicht zuletzt öffentlich-rechtlicher Top-Journalist:innen auf- und angegriffen.

Doch die Karawane zog weiter, bis sich schließlich Steffen Seibert im Dezember 2021 nach 1.058 Auftritten vor der Bundespressekonferenz verabschiedete. Nicht, ohne erneut auf etwas Wichtiges zu verweisen, das auch Berichterstatter Geyer aufschreibt: Die Regierungspressekonferenz in dieser Form sei weltweit einzigartig und "ein gutes Stück Demokratie" – aber gerade deshalb verstehe er, Seibert, nicht, warum inzwischen nur noch wenige Vertreter der Hauptstadtpresse regelmäßig teilnehmen.

Dabei sei das allein schon deshalb wichtig, damit die Veranstaltung "keine Schlagseite" bekomme: Schließlich nutzten Staatsmedien autoritärer Staaten hier journalistische Freiheiten, die bei ihnen zu Hause unterdrückt würden.

So weit, so erwartbar. Was Kollege Geyer leider nicht thematisiert, ebenso wenig wie viele Vertreter:innen reichweitenstarker etablierter Medien: Steffen Seibert hat seit 2010 ein "allgemeines Rückkehrrecht" zum ZDF. Die medienpolitische Plattform quotenmeter schreibt zwar, es stehe fest, dass Seibert nicht zum ZDF zurückkehren werde. Das kommt laut quotenmeter "durchaus überraschend", schließlich habe Steffen Seibert seinen Vertrag mit dem Mainzer Sender nie aufgelöst.

Genauer gesagt: Seibert sei zwar ein "allgemeines Rückkehrrecht" eingeräumt worden. "Eine Rückkehr in eine journalistische Funktion wäre aber nicht möglich", habe ein ZDF-Sprecher quotenmeter gesagt.

Weiter habe das ZDF mitgeteilt, dass es beim Sender "keine entsprechenden Planungen" für eine Rückkehr Seiberts gebe. Dass aber solch ein allgemeines Rückkehrrecht für einen "beamteten Staatssekretär" als Problem etwaiger struktureller und personaler Parallelen zwischen Regierung und ZDF kritisiert werden sollte, scheint hierzulande öffentlich kaum zu interessieren.

Stattdessen Emotionen und Storytelling: Steffen Seibert also nicht mehr vor der Kamera im ZDF? Das wurde in manchen Medien unterhaltsam bedauert, gleichsam mit einer Träne im Auge.