Staatsschulden: Warum wir umdenken müssen
Seite 3: …und wollen die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen
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- Wir lieben einfach Märchen …
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Diese Kurven haben nämlich die dumme Angewohnheit, dass sie sich immer zu null addieren müssen. Niemand kann Schulden machen, also über seine Verhältnisse leben, wenn nicht jemand anderes unter seinen Verhältnissen lebt, also weniger ausgibt, als er einnimmt. Versuchen alle zu sparen, kollabiert die Wirtschaft und der Staat muss doch mit neuen Schulden und neuer Nachfrage einspringen, um das Schlimmste zu verhindern.
Was nichts anderes heißt, als dass es die Marktwirtschaft, von der sowohl die Neoliberalen wie die traditionellen Keynesianer träumen, schon eine ganze Weile nicht mehr gibt. In den USA und Europa spielt der Außenhandel keine große Rolle (für die Welt insgesamt gibt es gar keinen Außenhandel), sie können sich also nicht wie Deutschland darauf verlassen, dass, in Form von Leistungsbilanzdefiziten, das Ausland die Rolle des Schuldners übernimmt.
Wenn die Unternehmen fast auf der ganzen Welt systematisch die Seite wechseln, ist das Schicksal der staatlichen Finanzen besiegelt. Der Staat muss dann für immer und ewig neue Schulden machen, ganz gleich, in welche Größenordnung sich der absolute Schuldenstand bewegt.
Crowding-out gibt es schon deswegen nicht, weil der Staat und die Unternehmen gar nicht auf der gleichen Seite stehen. Kleine Merkantilisten wie Deutschland mögen sich noch eine Weile dieser zwingenden Logik durch noch höhere Leistungsbilanzüberschüsse entziehen, sie sind aber die berühmten Zwerge, deren Schatten nur deswegen so lang ist, weil die geistige Sonne in ihrem Land so tief steht.
Die Anleger müssen sich in dieser neuen Welt, anders als der Economist glaubt, keine Gedanken mehr darüber machen, wo sie ihr Geld hinschaffen, wenn ihnen in einem Land die staatliche Verschuldung zu hoch erscheint. Es gibt keine Alternative zu Staaten, die sich hoch verschulden. Wenn überall die Unternehmen sparen, werden die staatlichen Schulden überall dauerhaft steigen, und die wenigen Merkantilisten werden mehr und mehr unter Druck von denen kommen, die sie ausnutzen.
Man muss in dieser neuen Welt nicht mehr darüber philosophieren, ob und wie schnell der Staat "die guten Zeiten" nutzen sollte, um seine Verschuldung in Grenzen zu halten. Es gibt die guten Zeiten einfach nicht mehr, weil die Unternehmen so stark und so mächtig sind, dass niemand sich traut, sie durch höhere Steuern in die Rolle des Schuldners zurückzudrängen.
Die Stärke der Unternehmen ist die unmittelbare Folge der neoliberalen Revolution in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Das bedeutet nichts anderes, als dass es die Neoliberalen mit ihrem Kurs der Verhätschelung der Unternehmen unmittelbar dafür verantwortlich sind, dass die staatlichen Schulden ins Unermessliche steigen. Gratulation!
Das marktwirtschaftlich-kapitalistische System ist weltweit auf dem direkten Weg in den Kollaps, wenn die Staaten keine Schulden machen. Verbindet man die Macht der Unternehmen, ihre Seite der Spar-Medaille auszuwählen, mit der Forderung an den Staat, seine Verschuldung zurückzufahren, wählt man – bei der immer gegebenen Sparneigung der privaten Haushalte – eine Konstellation, die aus logischen Gründen unmöglich ist.
Klären unwissende Politiker die Bürger nicht rechtzeitig über die objektiv gegebene Notwendigkeit der staatlichen Verschuldung auf, werden früher oder später Scharlatane Wahlen gewinnen, die behaupten, sie könnten auch das Unmögliche möglich machen.
Der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck ist Herausgeber des Online-Portals flassbeck-economics.com. Zuvor war er Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Chef-Volkswirt bei der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung.
Vom Autor erscheint monatlich eine Kolumne zu Hintergründen wirtschaftlicher Entwicklungen und zur Wirtschaftspolitik.
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