Staatsverbrechen gegen die Demokratie
Seite 2: Wer der Agenda des militärisch-industriellen Big Business in die Quere kommt, wird eliminiert
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Auch wenn sich eine Mehrheit der akademischen Historiker dieser These noch nicht anschließt, haben in den vergangenen Jahren doch etliche anerkannte Geschichts- und Politikwissenschaftler begonnen, sich von der offiziellen Legende des Einzeltäters und seiner magischen Kugel zu verabschieden, und die Tatsache einer Verschwörung zur Ermordung Kennedys ins Auge gefasst. Darunter David Wrone von der Universität Wisconsin mit einer Analyse des Zapruder-Films, Gerald McKnight mit einer Untersuchung über die (Nicht-)Ermittlung der Warren-Kommission, Michael Kurtz von der Universität Louisiana und David Kaiser vom Naval War College in Rhode Island. Zusammen mit den hervorragenden und solide recherchierten Arbeiten wie James Douglass' JFK and the Unspeakable (2010) und David Talbots Brothers (2008) deutet sich hier ein langsamer Paradigmenwechsel in der autoritativen veröffentlichten Meinung über den Kennedy-Mord an, der freilich auch zum 50. Jahrestag noch nicht in der Lage sein wird, die offizielle Propaganda und die faktenfreien Verlautbarungen der Glaubensgemeinschaft der magischen Kugel zu übertönen.
Es gibt keinen Zweifel, dass die Vereinigten Staaten und die Welt heute anders - gerechter, demokratischer, friedlicher - aussähen, wären die drei Reformer nicht gewaltsam daran gehindert worden, ihre Ziele umzusetzen. So aber wurde mit diesen drei Morden innerhalb von fünf Jahren ein neues, ganz anderes Paradigma für die amerikanische Politik gesetzt: Wer der Agenda des militärisch-industriellen Big Business in die Quere kommt, wird gnadenlos eliminiert. Schon dass der Mord an John F. Kennedy nicht aufgeklärt wurde, war dieser Angst geschuldet; dass Zeugen dutzendweise auf unnatürliche Weise ums Leben kamen, schürte sie weiter; und wer die Politik seiner Nachfolger bis hin zu Barack Obama betrachtet, kommt um die Schlussfolgerung nicht herum, dass die Schüsse in Dallas allen Präsidenten eine Lehre war. Seitdem bilden, wie Gore Vidal es auf den Punkt brachte, Republikaner und Demokraten "ein Einparteiensystem mit zwei rechten Flügeln".
John F. Kennedy war kein Heiliger, weder im öffentlichen noch im privaten Leben, doch er hatte den Mut, eine Entscheidung zu treffen: für den Frieden und gegen den Krieg, für eine globale Verständigung und eine ausgestreckte Hand, gegen das Schüren von Feinbildern und die militärische Faust. "Politik", diktierte er auf einem Tonband, das als Material für seine Autobiographie dienen sollte, "ist zu einer unserer am meisten missbrauchten und vernachlässigten Professionen geworden, doch es ist dieser Beruf, es sind diese Politiker, die die großen Entscheidungen über Krieg und Frieden treffen, über Wohlstand und Rezession und die Entscheidung, ob wir in die Zukunft oder in die Vergangenheit blicken". Von diesem Blick in eine friedliche Zukunft zeugte auch eine seiner letzten Entscheidungen, das National Security Action Memorandum 271 vom 12. November 1963, in dem er die NASA anwies, eine neue Kooperation auf den Weg zu bringen: die Umsetzung "meines Vorschlags vom 20. September für eine engere Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und der UdSSR im Weltraum, einschließlich einer Kooperation bei den Programmen der Mondlandung".
Nicht nur aus dem Kalten Krieg auf der Erde, auch aus dem "space race", dem Rennen um die Vorherrschaft im Weltraum, wollte Kennedy aussteigen, doch wie sein Memorandum zum Abzug aus Vietnam war auch diese Anweisung nach dem 22. November 1963 nur noch Makulatur. Auch wenn manche Historiker heute behaupten, sein Nachfolger Ronald Reagan hätte mit seinem "Star Wars" genannten SDI-Programm zwanzig Jahre später den Zusammenbruch der Sowjetunion und das Ende des Kalten Kriegs herbei geführt, reicht ein Blick auf die vergessene Politik John F. Kennedys, dass dieses Ende viel früher und anders erreichbar gewesen wäre - ohne den Wahnsinn der Kriege in Südostasien und ohne die Abermilliarden für Reagans Rüstungsprogramme.
Doch um eben diese Milliarden ging es, und um sie zu erreichen, musste die Bedrohung durch einen äußeren Feind, die "rote Gefahr", das "Reich des Bösen" (Reagan) weiter geschürt und am Leben gehalten werden, statt sie wie Kennedy in seiner großen Rede am 10. Juni zur Vergangenheit zu erklären. Diesen neuen Weg in die Zukunft hatte er schon eingeschlagen, in seinem geheimen Briefwechsel mit dem Kremlchef Chruschtschow, den beide hinter dem Rücken ihrer Generäle und ihrer Rüstungsindustrie geführt und damit nicht nur eine "Raketenkrise", sondern, wie wir heute wissen, einen desaströsen Nuklearkrieg verhinderten. Nach seiner Wiederwahl 1964 wäre Kennedy, so hatte er es Freunden schon angekündigt, nach Moskau gereist, um das Vertrauen, das sich zwischen ihm und Chruschtschow gebildet hatte, in neuen Verträgen und Kooperationen zu besiegeln.
Nach den Schüssen von Dallas aber blieb seiner Witwe und seinem Bruder nur, einen der besten Freunde der Familie, den Künstler und früheren Journalisten William Walton, Anfang Dezember 1963 in geheimer Mission nach Moskau zu senden, mit einer Botschaft an die russische Führung, die - von den Autoren und Forschern Aleksandr Fursenko und Timothy Naftali in sowjetischen Geheimarchiven entdeckt - erst 1997 veröffentlicht wurde. Walton teilte dem Journalisten und Agenten Georgi Bolschakow, der Robert Kennedy in Washington oft getroffen und als Kurier des geheimen Briefwechsels gedient hatte, die Einstellung der Familie zu diesem Attentat mit. Durch Walton und Bolschakow ließen die Kennedys den russischen Partei- und Regierungschef wissen, dass sie "trotz Oswalds Verbindungen zur kommunistischen Welt" nicht daran glaubten, dass die Sowjets damit etwas zu tun hätten, sondern dass ihrer Überzeugung nach "eine große politische Verschwörung hinter Oswalds Gewehr steckte". Der Präsident sei "von heimischen Gegnern getötet " und "das Opfer einer Verschwörung des rechten Flügels" geworden.
Walton fügte hinzu, dass der Nachfolger Johnson "nicht in der Lage sei, Kennedys unbeendete Vorhaben zu verwirklichen ", der neue Präsident sei "zu eng verbunden mit Big Business und würde viele weitere ihrer Vertreter in seine Regierung holen". Dass dies "zu einer Abkühlung des amerikanisch-russischen Verhältnisses" führe, müsse Chruschtschow verstehen, jedoch, so ist Waltons Konversation in den sowjetischen Archiven festgehalten, würde Johnsons Regentschaft "nicht für immer dauern" und der für den Senat kandidierende RFK würde dann in einen Wahlkampf um die Präsidentschaft einsteigen, denn nur er "könne John F. Kennedys Vision erfüllen". Als Robert Kennedy nach seinem Sieg in den kalifornischen Vorwahlen 1968 so weit war, schlugen die Mörder erneut zu.
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