Stärken die Anti-AfD-Proteste die Demokratie?
- Stärken die Anti-AfD-Proteste die Demokratie?
- Gemeinsam gegen Rechts: Die Rolle der Zivilgesellschaft
- Auf einer Seite lesen
Aufstieg der AfD in Ostdeutschland kaum zu stoppen. Proteste gegen Rechts bundesweit wollen Gegenpol setzen. Aber können sie nachhaltig Einfluss haben?
Der prozentuale Aufstieg der AfD bis hin zur stärksten Partei – nach aktuellen Umfragen – in einzelnen ostdeutschen Bundesländern, etwa in Thüringen oder Sachsen, schien unaufhaltbar. Je rechtsradikaler sich die Partei entwickelte, desto größer war ihr Wahlerfolg.
Aufstieg der AfD: Trend nicht zu stoppen?
Dann outete sich die führende Partei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit mit einer völkisch-ethnischen Unterscheidung zwischen "Biodeutschen" und Menschen mit Migrationshintergrund bzw. Migranten durch ein geleaktes Geheimtreffen in einer Potsdamer Villa.
Zur zusammenfassenden Rückschau: Dort nahmen – laut dem Recherche-Zentrum Correctiv – rechtsnationale Politiker von der AfD, der Werte-Union und zwei CDU-Politiker sowie rechtsextreme Unternehmer und Influencer an der Tagung teil. Ein Correctiv-Mitarbeiter nahm verdeckt teil und sicherte die Vorgänge.
Masterplan zur Remigration: Wahrheit oder Fiktion?
Im Fokus des u. a. mit führenden AfD-Mitgliedern besetzten Treffens stand ein sogenannter Masterplan zur Rückführung von Millionen Migranten ("Remigration"), auch Deutscher mit Migrationsherkunft, "nicht assimilierter Personen" sowie von unbequemen Menschen, die sich gegen die Deportationspläne sperren.
Insbesondere der Redebeitrag des rechtsradikalen Aktivisten und Autors, Martin Sellner, dem langjährigen Sprecher der "Identitären Bewegung Österreich", überschritt deutlich die bisher immer noch viel zu häufig akzeptierten roten Linien des rechtspopulistischen Diskurses – so Correctiv über Sellners verfassungsfeindlichen Redebeitrag:
Sellner ergreift das Wort. Er erklärt das Konzept im Verlauf des Vortrages so: Es gebe drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, "um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln". Er zählt auf, wen er meint: Asylsuchende, Ausländer mit Bleiberecht – und "nicht assimilierte Staatsbürger". Letztere seien aus seiner Sicht das größte "Problem". Anders gesagt: Sellner spaltet das Volk auf in diejenigen, die unbehelligt in Deutschland leben sollen und diejenigen, für die dieses Grundrecht nicht gelten soll.
Einerseits sollten Migranten deportiert werden und andererseits alle diejenigen, die sich dieser "Remigration" widersetzen würden:
Eine Idee ist dabei auch ein "Musterstaat" in Nordafrika. Sellner erklärt, in solch einem Gebiet könnten bis zu zwei Millionen Menschen leben. Dann habe man einen Ort, an dem man Leute "hinbewegen" könne. Dort gebe es die Möglichkeit für Ausbildungen und Sport. Und alle, die sich für Geflüchtete einsetzten, könnten auch dorthin.
Sellners "Masterplan" wurde von den Teilnehmern positiv aufgenommen und weitere Redebeiträge wurden hierauf ausgerichtet.
Massenprotest als Zeichen gegen Rechtsextremismus
Nach dem Bekanntwerden der Recherchen von Correctiv kam es zu einem öffentlichen Aufschrei in Deutschland und zu einem Einsetzen von Massendemonstrationen gegen den organisierten Rechtsextremismus und insbesondere der AfD: Innerhalb von drei Wochen fanden Proteste mit mehreren Millionen Teilnehmern statt, in Berlin mit 500 veranstaltenden Organisationen und Hamburg mit 180.000 Teilnehmern.
In München demonstrierten 100.000 Teilnehmer. Die TAZ berechnet die Teilnehmerzahl der bis zum Veröffentlichungszeitpunkt (9.2.2024) erfolgten Anti-AfD-Demonstrationen mit rund drei Millionen Teilnehmern, nach Veranstalterangaben: vier Millionen.
Erinnerungen an die 68er-Zeit und den damaligen Kampf für mehr Demokratie werden wach. Die Menschen gehen erstmals seit 1989 wieder massenhaft auf die Straße und setzen sich für die Grundwerte des Grundgesetzes ein, die eine diskriminierende Unterscheidung der Bevölkerung verbieten.
Lesen Sie auch
Bundestag ringt um AfD-Verbot: Das letzte Gefecht vor der Neuwahl
Treffen der AfD in Potsdam: SWR stolpert über Correctiv-Berichterstattung
Die Angst der Parteien vor dem Wahlvolk
Corona-Aufarbeitung abgesagt: Das Wahlkampfgeschenk an AfD und BSW
TV-Duell: Wagenknecht, Weidel und der schwache Mann von Springer
Dies wird in den Leitmedien als längst fällige symbolische Handlung dargestellt, die ein Ausdruck des Funktionierens der Demokratie sei.
Die AfD hingegen zeigt gefakte Fotos von halb leeren Plätzen, obwohl in der Regel der Platz für die demonstrierenden Menschenmengen kaum ausreichte. Auch will sich die AfD mit der Bezeichnung der Potsdamer Tagung im Landhaus Adlon als "privates Treffen" herausreden. Dennoch verliert der persönliche Referent von Alice Weidel umgehend seinen Job. Daher folgert Robert Pausch in Die Zeit:
Für eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die schweigende Mehrheit zu vertreten, stellt es eben doch ein ernst zu nehmendes strategisches Problem dar, wenn eine lautstarke Mehrheit dagegen aufsteht und auch rein zahlenmäßig die Verhältnisse einmal geraderückt: 25.000 Teilnehmer demonstrierten auf dem Höhepunkt der rechten Mobilisierung im Pegida-Jahr 2015, zwischen einer und anderthalb Millionen Menschen waren es, je nach Zählweise, allein am vergangenen Wochenende.
Pausch, Robert (2024): So viel Mitte war nie. In: Die Zeit, vom 8.2.2024, S.1.
Machtspiel oder Widerstand? Politiker bei Anti-AfD-Demos
Auf den Anti-AfD-Demonstrationen bzw. Demos gegen den Rechtsextremismus nahmen auch immer wieder Bundestagsabgeordnete und Regierungsmitglieder der Ampelparteien und Teilen der Opposition im Bundestag teil. Hierbei könnte deren Motivation auch im Ausschalten einer unliebsamen Parteienkonkurrenz und in der werbenden Anbiederung an die Demonstrierenden liegen.
Ebenfalls wird des Öfteren kritisch eingewendet, dass gerade ihre Entscheidungen doch oftmals auch Ursache der AfD-Wahlerfolge gewesen seien. Würden die verantwortlichen Politiker eine Politik entwickeln und umsetzen, die den Interessen der Bürger entsprechen würden, dann wäre auch der Aufstieg der AfD nicht möglich gewesen.
So der Journalist Philipp Fess bei Telepolis:
Das nahezu totale Tabu über dem Thema Migration hat dazu beigetragen, dass nur die politischen Randkräfte sich noch über den Horizont des gesellschaftlich Sanktionierten wagen. Die Rechten ergründen sozusagen im strammen Alleingang das Niemandsland hinter den Gedankenverboten.
Demonstrationen als Ausdruck einer revitalisierten Demokratie?
Die Frage ist nun, ob es sich bei den derzeitigen Anti-AfD-Demonstrationen um mehr als nur eine identitätswirksame Selbstvergewisserung progressiver Milieus handelt. Möglicherweise werden die Demonstrationen von Woche zu Woche kleiner, bis nur noch das Häufchen Aktivisten übrig bleibt, das auch ansonsten gegen die AfD demonstriere.
Der Mitarbeiter der Magdeburger Arbeitsstelle Rechtsextremismus, David Begrich, sieht in den Anti-AfD-Demonstrationen einerseits eine wichtige Klarstellung und Kontrastierung gegenüber rechtsextremer Politik, andererseits ist er der Auffassung, dass sich eine Brechung des ansteigenden AfD-Erfolgs nur durch eine längerfristige Aktivitätsperspektive erreichen lasse:
Ich glaube, man darf sich nicht die Illusion machen, dass diese Demonstrationen die rechten Dominanzräume aufbrechen. (…) Dafür bräuchte es die Überführung dieser Demonstrationen in ein kleinteiliges langfristiges Engagement vor Ort.
Rechte Trends in Ostdeutschland: Eine entscheidende Wahl
In jedem Fall müsse den Menschen klar werden, dass es mit den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und auch den Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2024 um das Ganze gehe – es stelle sich die Frage: "Gelingt es der AfD so etwas wie eine Initialzündung für eine autoritär formierte rechte Gesellschaftsordnung in Ostdeutschland vom Zaun zu brechen?"
Die extreme Rechte betrachte Ostdeutschland als Experimentierfeld für ihre gesellschaftspolitischen Konzepte und es müsse vorwiegend den Unentschlossenen jetzt klar sein, dass es "um alles" gehe.
Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt macht im gleichen Interview deutlich, dass es im Osten Deutschlands noch mehr Mut als in Westdeutschland benötige, um gegen die rechtsextreme Dominanz in vielen Orten auf die Straße zu gehen.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.