Stärken die Anti-AfD-Proteste die Demokratie?

Seite 2: Gemeinsam gegen Rechts: Die Rolle der Zivilgesellschaft

Durch die Demonstrationen gegen die AfD sei erstmals seit dem Eintreten der Corona-Pandemie die "rechtsextreme Dominanz im öffentlichen Raum" gebrochen worden. In Orten, wie in Zwickau oder Stralsund, hätten Tausende Demonstranten gezeigt, dass es nicht die extreme Rechte ist, welche die Mehrheit darstellt, und es auch demokratische Gegenbewegungen hierzu gäbe. Dies sei auch notwendig, für die Unentschiedenen, die sich bisher nicht trauen würden, ihre Meinung gegen eine rechtsextreme Hegemonie im Alltag zu äußern.

In diesem Sinne kann es sich also bei den derzeitigen Demonstrationen um eine Stärkung der Demokratie durch basisdemokratische Aktivitäten handeln. Der Schwäche der parlamentarischen Demokratie, fast keine Mitbestimmungs- und Aktionsformen auf Bundesebene im Sinne direkter Demokratie zu ermöglichen, werden die derzeit erlebbaren massenhaften Versammlungen und Kundgebungen gegen die extreme Rechte entgegengesetzt.

Und: Es geht nicht primär um die Kritik an einzelnen Politikern oder regierenden Parteien, sondern um ein Engagement für die Demokratie und der grundlegenden Verfassungsinhalte.

Die Frage ist allerdings, wie lange das Antisymbol AfD den brüchigen Zusammenhalt in der gesellschaftlichen Mitte stärkt. Wann schlägt die Entsolidarisierung in Zeiten gesellschaftlicher Anspannung und spaltender Ressourcenkämpfe wieder durch?

Die AfD und die Zukunft der Demokratie: Ein kritischer Blick

Der Einschätzung einer künftig auslaufenden Anti-AfD-Bewegung stehen allerdings der Fakt der im Jahr 2024 anstehenden Landtags- und Kommunalwahlen sowie natürlich die bereits im öffentlichen Fokus stehende nächste Bundestagswahl im Spätsommer bzw. Herbst 2025 entgegen.

Hier wird das Thema des Rechtsradikalismus und der AfD weiterhin in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Wenn es der AfD gelingt, in den Bundesländern oder gar auf Bundesebene in Regierungsverantwortung zu kommen, hat dies gravierende Kompetenzen für die Gerechtigkeit und die Lebensqualität in Deutschland. Da werden sich die Kritiker, die das aktuelle parlamentarische System als "Fassadendemokratie" bezeichnen, noch an die Republik vor einem etwaigen Siegeszug der AfD zurücksehnen.

1933 und die AfD: Parallelen und Unterschiede

Es stellt sich nun die Frage, ob die zahlreich gezogenen Parallelen und Vergleiche zwischen heute und dem Beginn der Nazizeit vor 1933 tatsächlich zutreffend oder eine unzulässige Überspitzung darstellen. Niklas Nelle zweifelt zu Recht an, dass es sich um eine identische Situation handele:

Dennoch stehen wir aktuell nicht "kurz vor 1933", dem Jahr der Machtübergabe, des Verbots der Gewerkschaften, der Bücherverbrennungen, der Gründung des KZ Dachau und der Einführung des "Ariernachweises".

Ab 1933 konnten Jüdinnen und Juden nicht mehr als Beamte oder öffentliche Angestellte arbeiten. Innerhalb weniger Wochen wurde damals die Opposition ausgeschaltet, Minderheiten drangsaliert und das deutsche Volk auf das nationalsozialistische Projekt eingeschworen. So weit sind wir 2024 nicht. Und trotzdem ist das kein Grund zur Entwarnung.

Debatte um AfD: Faschismus oder demokratische Herausforderung?

Zu klären und genau hinzuschauen ist allerdings zukünftig hierauf: Kann die Politik der AfD mit der Politik des Faschismus und seiner extremen Formen des deutschen Nationalsozialismus gleichgesetzt werden oder ist eine differenziertere Analyse notwendig? Handelt es sich bei der AfD um eine faschistische Partei oder um eine nationalchauvinistisch-bürgerliche Partei mit einzelnen rechtsextremen Mitgliedern?

Von der Beantwortung dieser Fragen hängt dann auch ab, inwieweit die AfD und auch ihre Jugendorganisation "Junge Alternative" uneingeschränkt weiterhin agieren dürfen oder einzelnen als faschistisch beurteilten Mitgliedern die Wählbarkeit entzogen werden sollte.

Denn: Aus der historischen Erfahrung von Weimar heraus ist das Konzept der "Wehrhaften Demokratie" sehr bewusst im bundesdeutschen Grundgesetz verankert worden, um die Demokratie gegen ihre erklärten Feinde zu schützen.

Konsequenzen aus dem Erstarken rechtsradikaler Kräfte und insbesondere der AfD Das Erstarken der extremen Rechten ist kein bundesdeutsches Phänomen, sondern lässt sich derzeit überall in Europa beobachten.

Die folgenden Konsequenzen hinsichtlich einer politischen Reaktion hierauf beziehen sich insbesondere auf eine "gute Politik" der verantwortlichen Regierungen, aber auch auf ein permanentes Engagement von unten.

Zunächst einmal gilt es, sich in der Öffentlichkeit und auch in Bildungsinstitutionen argumentativ – differenziert und faktengestützt – mit den recht simplen Forderungen der AfD auseinanderzusetzen, sodass deutlich wird, dass die AfD-Forderungen die vorhandenen nach wesentlich komplexeren Lösungsansätzen verlangenden Probleme nicht lösen können.

Die von der AfD geforderte Renaissance der fossilen Energieträger kann beispielsweise keinen Beitrag zur immer drängender werdenden Klimaproblematik bieten; die Forderung nach der Reaktivierung der Atomkraftwerke blendet die permanente Gefahr von Störfällen und die fehlende Entsorgungsmöglichkeit aus; der geforderte Abbau von Sozialleistungen verstärkt gesellschaftliche Spaltungen und geht zulasten von Benachteiligten und anderen.

Auch Demonstrationen gegen das Erstarken rechtsradikaler Parteien und Gruppierungen bilden eine basisdemokratische Gelegenheit, sich symbolisch Ausdruck zu verleihen und das Zusammengehörigkeitsgefühl in der noch demokratisch gesonnenen gesellschaftlichen Mitte zu stärken.

Zudem üben sie einen nicht zu unterschätzenden Druck auf regierende Politiker auf allen Ebenen aus, Koalitionen und organisierte Zusammenarbeit mit der AfD weiterhin abzulehnen ("Brandmauer"). Dennoch müssten Demonstrationen auch in ein systematisches und längerfristiges Engagement vor Ort überall und insbesondere dort münden, wo bislang rechtsradikale Gruppierungen noch die Deutungshoheit im öffentlichen Raum haben.

Es gilt allerdings vor allem für die gewählten Verantwortlichen auf allen Ebenen, eine "gute" Politik zu machen, die nicht den Bedürfnissen und Interessen der Menschen widerspricht – so die TAZ: "Es ist auch die von vielen Krisen bestimmte Weltlage, die Menschen dazu bringt, die AfD zu wählen.

Das Gefühl der Schwäche des Nationalstaats, die Klimakrise, die Angst der Mittelschicht, abzusteigen. All das führt ja nicht nur in Deutschland zu einem Aufstieg der Rechtspopulisten und lässt sich nicht einfach wegdemonstrieren."

Dies bedeutet also auch, sinnvoll, realisierbare und menschlich vertretbare Lösungen für die Migrationsproblematik zu schaffen. Denn in der langen Tabuisierung und Vernachlässigung dieser Thematik liegt das Erfolgsrezept der AfD begründet.

Vor allem gilt es, positive Zukunftsvorstellungen zu entwickeln, die konkret und nachvollziehbar sind und zeigen, wie eine multikulturelle Gesellschaft demokratisch und gerecht weiterentwickelt werden kann und Menschen unterschiedlicher Herkunft hierbei friedlich zusammen leben können.

Prof. Dr. Klaus Moegling i.R., Politikwissenschaftler und Soziologe, u. a. Autor von Neuordnung – eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich; 5. und erweiterte und aktualisierte Auflage, frei lesbar in https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/

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