Stammzellen sind instabiler als bisher angenommen
Auch wenn die Forscher daher vor dem reproduktiven Klonen warnen, würden die entdeckten epigenetischen Instabilitäten aber das therapeutische Klonen nicht betreffen
Eine neue Studie aus den USA, die in der aktuellen Ausgabe des Magazins Science veröffentlicht wurde, präsentiert neue Erkenntnisse über die genetische Instabilität von Klonen aus embryonalen Stammzellen. Aus politischen Gründen veränderten die Forscher in letzter Minute die Formulierung ihres Fazits.
Der Moratoriumsantrag der CDU/CSU-Fraktion für ein Importverbot embryonaler Stammzellen ist gerade gescheitert, erst im Herbst will sich der Bundestag dann voraussichtlich mit der Frage der Forschung an importierten Stammzellen unter Berücksichtigung von Stellungnahmen der Enquete-Kommission, des Nationalen Ethikrats (Dialogoffen und unabhängig oder Abnick-Gremium?) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) befassen. Die DFG hat sich verpflichtet, sich bis zu einer politischen Entscheidung nicht mit den entsprechenden Forschungsanträgen zu befassen.
Aus den USA kommen derweilen außer tiefgefrorenen menschlichen embryonalen Stammzellen auch neue beunruhigende Erkenntnisse. Die Träume davon, in absehbarer Zeit Menschen zu klonen, rücken erst mal wieder in die Ferne und die Schlagzeilen produzierenden Möchte-Gern-Kloner wie der Italiener Severino Antinori (Ein italienischer Wissenschaftler will Menschen klonen) oder die Sekte der Raelianer (Erstes Klonkind?) müssen ihre Vorhaben wohl nochmals gründlich überdenken. In Europa ist das Klonen von Menschen sowieso verboten (Europäisches Verbot des Klonens von Menschen tritt in Kraft), aber auch das therapeutische Klonen ist heiß diskutiert.
Eine neue Studie aus den USA zeigt jetzt, dass die Risiken der Stammzellen neu eingeschätzt werden müssen, denn Versuche mit Mäuse-Klonen haben erwiesen, dass aus ihnen hergestellte, normal aussehende Klone trotzdem abnormal sein können. Dass Klonen unzuverlässig und ineffizient ist, hat sich bei allen bisherigen Klonversuchen von Säugetieren gezeigt. Bisher ist es erfolgreich gelungen, Schafe, Rinder, Ziegen, Schweine und Mäuse zu klonen. Die meisten Klone sterben vor der Geburt, zudem ist bei denen, die zur Welt kommen, die Missbildungsrate sehr hoch.
Als das erste Klonschaf Dolly geboren wurde, lag die Überlebensrate bei 1 zu 100, d.h. nur eines von hundert überlebte. Dieses Verhältnis hat sich inzwischen verbessert, aber vieles wissen die Forscher schlicht noch nicht. Zu Telepolis sagte der Dolly-Schöpfer Ian Wilmut im Interview:
"Es gibt aber auch noch Tiere, die sterben Stunden vor der Geburt aus Gründen, die wir nicht genau verstehen. Es gibt noch viel zu viele Dinge, die wir nicht wissen. Zum Beispiel gab es da ein Lamm, dass kurz vor Weihnachten geboren wurde. Alles sah sehr gut aus, aber dann begann es zu hyperventilieren. Wir versuchten alles Mögliche dagegen zu unternehmen, aber ohne Erfolg. Daraufhin haben wir es eingeschläfert, denn es hätte diese Probleme sein Leben lang gehabt. Ähnliche Vorgänge bei Versuchen mit Menschen wären ein Alptraum." (Ein Klon von Saddam Hussein könnte ein richtig netter Kerl sein).
Klonen ist die Verdoppelung eines Lebewesens, die künstliche Schaffung einer genetisch identische Kopie. Die gesamte genetische Information eines Lebewesens, das Genom, wird in eine Zelle, die entkernt wurde, übertragen. Embryonale Stammzellen gelten dabei den adulten Stammzellen als überlegen, weil sie pluripotent sind, d.h. sie können sich theoretisch zu allen Zellen des Körpers entwickeln. Probleme, wie die große Zahl der nicht lebensfähigen Klon-Tiere, sah man bisher meistens als Resultat von Fehlern in der Klon-Technik.
Im Februar machten Wissenschaftler Schlagzeilen, die einen Grund für die Anfälligkeit der Klone gefunden hatten: die fehlende Methylierung des IGF2R-Gen, eine fehlerhafte chemische Modifizierung dieses Erbgutabschnitte (Gesundheitsschäden bei geklonten Tieren). Sie hatten das Phänomen des übergroßen Wachstums untersucht, das so genannte LOS (Large Offspring Syndrom), das bei Klon-Tieren oft auftritt.
Das IGF2R-Gen spielt also eine Rolle, aber wohl nicht die einzige und wahrscheinlich nicht die wichtigste, wie jetzt die neue Studie von US-Genetikern vermuten lässt. Das Team um Rudolf Jaenisch und Ryuzo Yanagimachi setzt sich aus 8 Experten vom Whitehead Institute for Biomedical Research, Cambridge Massachusetts, dem Department of Biology, Massachusetts Institute of Technology, und der John A. Burns School of Medicine, University of Hawaii) zusammen und untersuchte ebenfalls das Übergrößen-Syndrom LOS bei Klon-Mäusen. Jaenisch und Kollegen examinierten sowohl die geprägten Gene bei den Klons wie bei den Tieren, von denen die embryonalen Stammzellen stammten. Geprägte Gene wirken sich bei den Nachkommen unterschiedlich aus, je nachdem, ob sie vom Vater oder der Mutter stammen. Geprägte Gene weisen unterschiedliche Markierungen auf, die sich auf die Genaktivität auswirken. Bekannt ist, dass viele das Wachstum beeinflussen. Damit sich ein Organismus richtig entwickeln kann, muss sowohl der mütterliche wie der väterliche Gensatz richtig geprägt sein.
Das Forscher-Team entdeckte, dass der epigenetische Status des Erbguts der embryonalen Stammzellen sehr instabil ist und selbst gesund wirkende Tiere erhebliche genetische Defekte haben können. In der Entwicklung und Ausdifferenzierung des Organismus spielen viele Gene eine Rolle, deren Informationen nur zeitweise aktiviert oder deaktiviert werden. Dieses Regulations-Phänomen wird als Epigenetik bezeichnet. Epigenetik beschreibt ein komplexes Zusammenspiel zwischen Genen, Eiweißmolekülen und Signalen, die von außerhalb der Zellen kommen. Außer der grundsätzlichen Instabilität stellten die US-Genetiker auch fest, dass es Variationen in der Ausprägung der entsprechenden Gene auch unter den Klonen gab, deren Stammzellen vom selben Subklon stammten.
Das Team beobachtete die Aktivität der geprägten Gene bzw. die Markierungen. Sie wollten feststellen, wie diese Markierungen sich verhielten, um zu sehen, ob Defekte aus Abweichungen in den Spenderzellen resultieren oder durch den Klon-Vorgang entstehen. Zu ihrer Überraschung stellten sie fest, dass das Problem bei den Stammzellen liegt. Die Klon-Zellen teilten sich, verloren dabei aber ihre Markierungen, wodurch es zu verschiedenen Prägungen kommt. Dennoch entwickelten sich einige der Embryos scheinbar normal, statt wie erwartet abzusterben. Das bedeutet, dass es in der Entwicklung der Säugetiere eine gewisse "Toleranz" (wie die Forscher es nennen) gegenüber abweichenden Gen-Prägungen gibt, die bei den geklonten Tieren nicht einfach erkannt werden können. Scheinbar gesunde geklonte Tiere können also abnormale Gen-Prägungen haben, die zwar nicht zu sichtbaren Schäden führen, aber subtile physiologische Defekte verursachen. Embryonale Stammzellen sind also unsichere Kandidaten.
Die Forscher stellen klar fest, dass reproduktives Klonen nach heutigem Wissenstand nicht nur ineffektiv, sondern auch nicht sicher ist. "Embryonale Stammzellen mögen einfacher zu reprogrammieren sein als erwachsene Zellen", erläutert David Humpherys, ein Mitglied der Arbeitsgruppe, "aber es könnten ganz andere Probleme durch die Kultivierung entstehen, die nicht durch den Klon-Vorgang gelöst werden können."
Diese neuen Ergebnisse sind besonders hinsichtlich des reproduktiven Klonens bedenklich. Jaenisch sieht als Fazit des Artikels keine Probleme hinsichtlich des therapeutischen Klonens und des Tissue Engineering, der Reproduktion hingegen erteilt er eine klare Absage:
"Auf jeden Fall ist wichtig zu betonen, dass embryonale Stammzellen trotz ihrer Instabilität gut funktionieren können, wenn sie mit normalen Zellen kombiniert werden, z.B. um Chimären herzustellen oder bei Einsatz für Transplantationen. In anderen Worten: Embryonale Stammzellen können als Zelltherapie gut funktionieren, aber wenn sie benutzt werden, um aus ihnen vollständige Tiere zu reproduzieren, werden wahrscheinlich abnormale Organismen entstehen."
Angesichts der aktuellen Diskussion um Stammzellen und die Förderung der Forschung mit ihnen auch in den USA sind diese neuen Erkenntnisse natürlich politischer Sprengstoff. Und wie die Washington Post berichtet, änderten die Wissenschaftler wenige Tage vor der Veröffentlichung ihre Formulierungen bezüglich des Fazits. Die Herausgeber des Wissenschaftsmagazins Science waren einverstanden, weil es die substanziellen Erkenntnisse nicht betraf. Ursprünglich waren die Wissenschaftler zu dem Schluss gekommen, dass durch weitere Forschung abzuklären sein, ob die genetische Instabilität der embryonalen Stammzellen ihre Nutzung in der klinischen Anwendung limitiere. Dieser Satz wurde gestrichen und durch die positive Einschätzung bezüglich der therapeutischen Potenzials ersetzt.
Selbstverständlich könnte die Instabilität die klinischen Nutzen zumindest einschränken, aber die Genetiker hatten plötzlich Bedenken, dass ihre Äußerungen von politische Gruppen, die die Forschung an Stammzellen aus religiösen oder ethischen Gründen ablehnen, überbewertet werden könnten. Jaenisch erklärte dazu:
"Ein Nicht-Wissenschaftler hätte diesen Satz falsch verstehen können. Es muss abgeklärt werden, ob menschliche embryonale Stammzellen auch derartig instabil sind. Aber selbst wenn sie es sind, denken wir nicht, dass das ein Problem sein wird."