Statistiken belegen eine historische Zäsur der US-Geldpolitik
Die 1,355 Billionen Dollar an zusätzlichen Fed-Dollars des Vorjahres brachten der Realwirtschaft nur 307,5 Mrd. USD an neuen Krediten ein
Das abgelaufene Jahr war von monetären Umwälzungen geprägt, die zweifellos als historische Zäsur in die Geschichtsbücher eingehen werden. Schon im April hatte Paul Volker, der letzte "konservative" Notenbankchef der USA, der vorübergehend als nächster Finanzminister im Gespräch war, der Fed vorgeworfen, den "Point of no Return" überschritten zu haben. Das sei einerseits durch Kredite außerhalb des Geschäftsbankensektors an die Investmentbanken der Wall Street erfolgt; zudem habe die Fed das eherne Prinzip durchbrochen, im Fall eines Bank-run zwar unbegrenzt Notenbankgeld zur Verfügung zu stellen, dies aber ausschließlich gegen erstklassige Sicherheiten.
Was die zweifelhaften Sicherheiten im Eigenbestand der Fed angeht, empörte Volker sich im Frühjahr freilich nur über die Kleinigkeit von rund 28,8 Mrd. USD, die die Fed im Zuge der Übernahme von Bear Sterns durch JP Morgan in die Bücher bekommen hatte. Inzwischen hat sich dieser Bestand durch die Rettung von AIG mehr als verdreifacht. Immerhin ist Volkers Problem des Moral Hazard, dass durch die staatliche Rettung von Bear Sterns nur die ohnehin zu hohe Risikoneigung verstärkt werde, inzwischen verringert. Denn die einst so stolzen Investmentbanken, deren Manager sich noch für 2006 mehr als 30 Mrd. US$ an Boni auszahlen ließen, sind inzwischen entweder insolvent, wurden durch Notübernahmen gerettet oder sind zu normale Geschäftsbanken konvertiert.
Im Frühjahr war zudem noch nicht die Rede davon, dass die Fed bald auch den Unternehmenssektor direkt finanzieren werde. Aber nachdem auf die erste globale Blase das erste globale "Deleveraging" folgte, wurde die Fed für immer weitere Teile des Finanzsektors sowohl zum "Lender of first resort" als auch zum wichtigsten Darlehensnehmer, der seit kurzem auf die Einlagen der Geschäftsbanken sogar Zinsen zahlte.
Das zeigt sich am eindrucksvollsten in der Nutzung der diversen Diskont-Fazilitäten, bei denen Banken gegen Übereignung von Sicherheiten unbegrenzt Kredite aufnehmen können. So waren zum Jahreswechsel bei den Geschäftsbanken 450,2 Mrd. US$ über die Term Auction Facility ausständig; 332,4 Mrd. USD entfielen auf die Commercial Paper Funding Facility, die Schuldverschreibungen von Industrieunternehmen aufkauft. 38,5 Mrd. gingen an die Broker/Dealer und über die "money market mutual fund liquidity facility” wurden weitere 23,8 Mrd. direkt in Geldmarktfonds geschleust.
Sehr verwegen zeigte sich die Fed auch im Management ihrer Aktiva, wo sie vor einem Jahr noch rund 740 Mrd. USD an US-Staatspapieren verbucht hatte. Ein Jahr später, bei fast verdreifachter Bilanzsumme, entfielen samt der im Sommer verstaatlichten Hypothekenagenturen Fannie Mae und Freddie Mac nur noch rund 500 Mrd. US$ auf Staatspapiere, womit die traditionell als erstklassig geltenden Assets, auf die sich die Fed bisher beschränkt hatte, inklusive der nominell zwölf Milliarden an Goldreserven zuletzt, weniger als ein Viertel des Fed-Vermögens ausmachten, nach mehr als zwei Dritteln noch vor einem Jahr.
Was die Fed nun in erster Linie in den Büchern hat, sind einerseits Kredite aus den neuen Fazilitäten, über deren Besicherung die Fed zwar nicht detailliert Auskunft gibt, aber behauptet, adäquate Sicherheitsabschläge zu verlangen. Das sei auch angeraten, denn in einigen der Fazilitäten werden auch Non-recours-Loans vergeben, bei denen der Kreditnehmer statt zu tilgen auch einfach die Sicherheiten verfallen lassen kann.
Die Papiere mit den größten Verlustpotentialen finden sich ohnehin in drei mit "Maiden Lane" bezeichneten Fed-Vehikeln. Diese halten die nominell 73 Mrd. USD an derzeit nicht marktfähigen Papieren, die durch die Pleiten von Bear Sterns und AIG zur Fed gelangt sind und wofür die Fed nun alle Risiken trägt.
Diese enorme Ausweitung der monetären Basis wurde freilich nur bedingt in Kredite umgesetzt. So beläuft sich (H.4.1 Factors Affecting Reserve Balances) der von der Fed vergebene Kredit aktuell auf insgesamt 2,246 Billionen Dollar, nach 891,7 Mrd. US$ noch vor einem Jahr. Obwohl ein Großteil dieser Expansion aber in der 2. Jahreshälfte erfolgt ist, haben die Kredite, wie die aktuelle Z1-Flow of Funds Statistik zeigt, im 3. Quartal insgesamt nur noch um 587 Mrd. Dollar zugenommen.Denn die Haushalte hatten bevor die Finanzkrise so richtig zuschlagen konnte, erstmals seit mehr als 40 Jahren begonnen, ihre Schulden um 64 Mrd. USD (0,8 Prozent) auf 13,914 Billionen US$ zurückzufahren (alle Z1 - Veränderungen anualisiert und auf Jahresbasis). Dafür waren vor allem die Hypothekarkredite verantwortlich, die um 2,4 Prozent auf 10,542 Billionen US$ zurückgingen, während die Konsumkredite noch um immerhin 1,2 Prozent auf 2,615 Billionen US$ anstiegen.
Dass es überhaupt noch zu einer deutlichen Kreditexpansion gekommen ist, hat vor allem die Bundesregierung zu verantworten, die ihre Kreditaufnahmen um 39,2 Prozent auf 5,823 Billionen US$ ausgeweitet hat. Auch die Schulden des Finanzsektors zeigten mit 7,2 Prozent eine recht robuste Expansion auf 16,903 Billionen US$, während der Unternehmenssektor seine Gesamtverschuldung im 3.Quartal noch um 2,9 Prozent auf von 11,011 Billionen US$ steigern konnte.
Gelandet sind die Fed-Kredite hingegen als Einlagen bei der Fed, als "Fed-Balances". Diese dienen den Banken, um damit ihren gegenseitigen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen und ihre Mindestreservepflichten ("required reserves") zu erfüllen. Vor einem Jahr hatte die Fed gerade einmal 13,4 Mrd. USD an bei ihr veranlagten Reserven angegeben, zuletzt waren es stattliche 884 Mrd. USD - so dass von der Ausweitung der Fed-Finanzierungen des Vorjahres um mehr als 1,355 Billionen Dollar nur insgesamt 307,5 Mrd. USD für neue Kredite an die Realwirtschaft übrig blieben.