Steckt der Energiesektor hinter dem Lauschangriff?
Polens Premier Donald Tusk hat in der Nacht zum Donnerstag eine Vertrauensabstimmung im polnischen Sejm überstanden, doch die Regierungskrise bleibt bestehen
Die Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) unter Jaroslaw Kaczynski will ein Misstrauensvotum stellen und erneut abstimmen lassen.
Seit Montag vergangener Woche erschüttert die sogenannte "Abhöraffäre" das Land und im Besonderen die konservativ-liberale Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO).
Gespräche von Ministern und hohen Beamten wurden anderthalb Jahre lang von drei Kellnern in mehreren Restaurants von einem bislang unbekannten Auftraggeber heimlich aufgezeichnet und gelangten an das Nachrichtenmagazin Wprost. Polens Öffentlichkeit wurde so Zeuge von Mauscheleien, Schmähungen von Konkurrenten sowie Vulgarismen. Zu den brisantesten Veröffentlichungen gehört Außenminister Radoslaw Sikorskis Bemerkung, das polnisch-amerikanische Bündnis sei "wertlos".
Doch Donald Tusk argumentierte am Mittwochabend erfolgreich, dass "durch eine Gruppe von Verbrechern" der polnische Staat nicht destabilisiert werden dürfe, und lehnte jede Abberufung seiner Minister ab. Für den heute und morgen stattfindenden Energie-Gipfel in Brüssel brauche er eine Mehrheit im polnischen Sejm.
Die Abhöraffäre soll nämlich auch mit dem Thema Energie zu tun haben. Tusk nahm in seiner Rede konkret Bezug auf ein Projekt von Gazprom. Eine geplante Pipeline soll Gas durch Weißrussland, Polen und die Slowakei an der Ukraine vorbei leiten. Personen aus diesem Umfeld wären in die Belauschung verwickelt, die anderthalb Jahre lang dauerte und etwa hundert Personen beträfe, so Tusk.
Den Bau der Gaspipeline Yamal Europa 2, hatte Wladimir Putin im April 2013 in St Petersburg vorgeschlagen. Vertreter des PGNiG, des staatlich kontrollierten polnischen Handelsunternehmen für Gas und Öl, hatten angeblich ohne Tusks Wissen mit Gazprom dazu ein Memorandum unterschrieben, was im letzten Jahr für einen Skandal sorgte. Der Premier zwang daraufhin den verantwortlichen Schatzminister und die Vorsitzende des Unternehmens Grazyna Piotrowska Oliwa zum Rücktritt.
Piotrowska Oliwa wechselte daraufin in den Aufsichtsrat der Telekommuniksationsfirma Hawe, dessen Vorsitzender der Kohle-Multimillionär Marek Falenta ist. Dieser steht unter dringendem Verdacht, die Belauschung beauftragt zu haben, sein Haus wird seit vier Tagen von der Polizei untersucht.
Falenta, Hauptaktionär des Kohlehandelsunternehmen "SkładyWęgla" beschwerte sich noch kürzlich über die Regierung, die den Handel mit dem Energieträger einer strengeren Kontrolle unterwerfen will. Unter anderem um illegale Kohle-Importe aus Russland zu unterbinden, die die polnische Kohle zunehmend verdrängen.
In Polen wird immer noch 90 Prozent des Stroms aus heimischer und importierter Kohle gefördert, nach Angaben von Puls Bisnezu würden mittlerweile 40 Prozent der in Polen zu Heizzwecken verkauften Kohle aus Russland kommen. Sibirische Kohle soll derzeit dreimal billiger zu fördern sein als polnische.
Piotrowska-Oliwa bestritt am Donnerstag gegenüber den polnischen Medien, mit der Abhöraffäre etwas zu tun zu haben. Falenta steht stärker unter Verdacht, er ist auch mit dem Restaurant verbunden, in dem die meisten Lauschangriffe stattfanden. Der Manager von "Die Eule (Sowa) und ihre Freunde" belastet ihn, die Kellner mit der Belauschung beauftragt zu haben.
Die Zeitung "Rzeczpospolita" will zudem einen Hinweis auf russischen Einfluss ausfindig gemacht haben. Den Firmensitz des Restaurants "Die Eule (Sowa) und ihre Freunde", in der die meisten Belauschungen stattgefunden haben, hat der Besitzer Robert Sowa in einem Gebäude angemeldet, das der Russischen Förderation gehört. Es beherbergte früher Diplomatenwohnungen, seine Verwendung ist heute unklar. Polnische Firmen, die hier ihren Sitz haben, können sich dem Zugriff des Finanzamts entziehen, da das Gebäude durch einen diplomatischen Status geschützt ist. Wer dort eine Firma anmeldet, braucht einen besonderen Draht zu den Russen, glaubt die Zeitung zu wissen.
Ein Vergeltungsbündnis von frustrierten polnischen Geschäftsleuten und Agenten russischer Energiekonzerne? Polen ist jedenfalls alarmiert.
Die Regierung in Warschau sieht sich durch die Krise in der Ukraine als nächstes Ziel russischer Destabilisierung und verlangt nach europäischer Solidarität. Darum wird Donald Tusk auf dem EU-Gipfel in Brüssel die Vertrauensfrage stellen. Er verlangt eine "Energieunion", bei der ein Mitglied von anderen mit Energie versorgt werden muss, sollte es einen Engpass geben - verursacht durch einen Lieferstopp eines Drittlandes. Gemeint ist Russland und sein mögliches Abdrehen des Gashahns. Eine Art Energie-NATO mit einem Artikel 5, bei dem der "Bündnisfall" für alle Staaten binden ist.