Stehende Wellen und Extremwetter
Die Energie- und Klimawochenschau: Von Braunkohlekraftwerken und Menschenketten, von Quecksilber-Schleudern sowie von Tagen, an denen der Ökostrom zeitweise drei Viertel des Bedarfs deckt
Die Emissionen des wichtigsten Treibhausgases, des Kohlendioxids (CO2), steigen weiter an. Der Fachinformationsdienst IWR aus Münster hat errechnet, dass im letzten Jahr mehr als 35 Milliarden Tonnen CO2 durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und die Zementproduktion emittiert wurden. Eine umfangreiche Studie über den globalen Kohlenstoffhaushalt geht davon aus, dass der CO2-Ausstoß sogar schon bei 36,3 Milliarden Tonnen gelegen habe. Kleiner Trost: Zumindest scheint sich das Wachstumstempo in den letzten Jahren wieder verlangsamt zu haben.
Doch das reicht natürlich nicht aus. Die Klimawissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass der weitere Anstieg der Emissionen noch in diesem Jahrzehnt aufgehalten werden muss und diese in den darauf folgenden Jahrzehnten zügig zurückgehen müssen, wenn das sogenannte 2-Grad-Ziel noch eingehalten werden soll. Mit letzterem ist der von den Staaten vereinbarte Anspruch gemeint, die globale Erwärmung nicht um mehr als zwei Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau steigen zu lassen.
So ziemlich das Schlimmste, was aus der Sicht des Klimas gemacht werden kann, ist die hierzulande besonders weit verbreitete Stromgewinnung aus Braunkohle. Deutschland ist mit Abstand der weltweit größte Produzent und Nutzer dieser minderwertigen Kohle. In den älteren Braunkohlekraftwerken in Ost und West werden im Schnitt pro erzeugter Kilowattstunde 1,22 Kilogramm CO2 emittiert und auch in den modernsten Anlagen ist es immer noch ein knappes Kilogramm. In einem alten Gaskraftwerk sind es hingegen 0,56 Kg CO2 pro KWh und in einem modernen Gas-und Dampfturbinenkraftwerk kann dieser Wert sogar auf 0,365 Kg CO2 pro KWh gedrückt werden.
Quecksilber
Weshalb all diese technischen Details? Um darauf zu verweisen, dass die Protestierer, die am kommenden Wochenende zur internationalen Menschenkette zwischen den brandenburgischen und polnischen Braunkohlegebieten beiderseits der Oder erwartet werden, auch etwas für den Schutz des Klimas auf der Straße sein werden. Aber es geht natürlich auch um den Erhalt der Dörfer, gegen die Zerstörung alter Kulturlandschaft, gegen die Zerstörung des Zusammenhalts der sorbischen Gemeinschaft und gegen die enormen Belastungen, die die Tagebaue für die Anwohner bedeuten.
Und dann sind da natürlich noch die diversen anderen Schadstoffe, die bei der Verbrennung der Braunkohle freigesetzt werden. Zum Beispiel Arsen, Feinstaub und Schwefeldioxid. Oder auch diverse giftige Schwermetalle wie das Quecksilber. Vom Vattenfall-Kraftwerk Boxberg, nach Besitzer-Angaben mit modernster Umwelttechnik ausgerüstet, wurde jetzt bekannt, dass es im vergangenen Jahr 0,37 Tonnen Quecksilber in die Luft geblasen hat, mehr als dreimal so viel wie zu Beginn der Messungen 2007. Das berichtet Radio Lausitz unter Berufung auf eine Anfrage des grünen Landtagsabgeordneten Gerd Lippold an die sächsische Staatsregierung. Diese habe sich nicht zu den Auswirkungen der giftigen Emissionen für die Menschen in der Region äußern wollen.
Stehende Wellen
In Vattenfalls schwedischer Heimat toben derweil seit Anfang August schwere Waldbrände. Verantwortlich seien Rekordtemperaturen, berichtet das Fachblatt Nature World Anfang letzter Woche. Bis dahin waren bereits 155 Quadratkilometer (60 Quadratmeilen) Wald zerstört. Ein Waldbrand dieser Ausmaße sei in dem skandinavischen Land extrem selten. Vorausgegangen waren dem die höchsten bisher in Schweden gemessenen Lufttemperaturen.
Gut möglich, dass die von den Meteorologen vermehrt beobachteten Veränderungen in den Luftströmungen in unseren Breiten etwas damit zu tun hatten. In diesem Sommer wandern die Hoch- und Tiefdruckgebiete nur sehr langsam und sorgen somit für lang anhaltende Wetterlagen. Zur Zeit hat sich ein Tiefdruckgebiet nördlich der Nordsee bzw. über Südnorwegen häuslich eingerichtet und sorgt damit für unterdurchschnittliche Temperaturen und häufige Niederschläge in West-, Mittel- und Nordeuropa. Zuvor hatte die Großwetterlage wochenlang dafür gesorgt, dass Frankreich, Süddeutschland und teilweise auch Italien eher ungemütliches als Strandwetter hatten, während Ostdeutschland, Skandinavien und Osteuropa mit reichlich Sonnenschein verwöhnt wurden.
Ein Team am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat bei der Analyse alter Wetterdaten festgestellt, dass in den letzten Jahren in den gemäßigten Breiten der Nordhemisphäre tatsächlich Hitzewellen gehäuft aufgetreten sind. Eine entsprechende Studie ist kürzlich in Proceedings of the National Academy of Science, einem renommiertes US-amerikanisches Fachblatt, erschienen.
Vor allem haben sie herausgefunden, dass diese Extremereignisse eng mit dem Verhalten der großräumigen Luftströmungen verbunden sind. In den gemäßigten Breiten gibt es in der Atmosphäre ab einer Höhe von 1000 oder mehr Metern, in der die Rauigkeit der Erdoberfläche die Strömungen nicht mehr beeinflusst, einen regelrechten Strom von Luft, der im Wesentlichen von West nach Ost fließt. Oft verdichtet er sich zu starken Winden, dem sogenannten Jetstream, der in Wellen um die Erde mäandert, in Wellen, die sich ebenfalls von West nach Ost bewegen. An ihrer Vorderseite pumpen sie warme Luft in die Arktis, an ihrer Rückseite kalte Luft aus dem Norden in die mittleren Breiten. Ganz so, wie wir es Anfang dieser Woche in Deutschland erleben.
Doch manchmal bleiben diese sogenannten Rossby-Wellen stehen. Das Ergebnis sind dann im Sommer ausgedehnte Hitzeperioden in der einen Region und kühles nasses Wetter in einer anderen. Das Problem insbesondere für die Landwirtschaft ist die Ausdehnung dieser Ereignisse. Nicht, dass die Temperatur an ein oder zwei Tagen über 30 Grad steigt, sondern dass sie es in extremen Fällen wochenlang macht und dazu keiner oder kaum Niederschlag fällt. Das hat dann insbesondere in den Wachstumsperioden besonders verheerende Folgen für die Getreideernte oder auch die Viehwirtschaft, wenn die Weiden verdorren.
Die Potsdamer Forscher konnten nun anhand der Wetterdaten der letzten Jahrzehnte zeigen, dass diese Ereignisse, bei denen die Rossby-Wellen zum Stillstand kommen, seit etwa 2004 gehäuft auftreten - und zwar mit zunehmender Tendenz. Verantwortlich dafür sei ein Resonanzeffekt, der unter anderem durch die abnehmende Temperaturdifferenz zwischen der Arktis und den gemäßigten Breiten ausgelöst wird. Die Arktis hat sich nämlich in den letzten drei Jahrzehnten rund doppelt so schnell wie der sonstige Globus erwärmt. Ein Effekt, der besonders im Sommer zum Tragen kommt.
Nordost-Passage offen
Die arktische Erwärmung führt auf dem Polarmeer inzwischen dazu, dass sich das Eis im Sommer früher und weiter zurückzieht, wobei dieses wiederum zu einer weiteren Erwärmung der Region führt. Ist die Meeresoberfläche nämlich nicht mehr mit Eis bedeckt, dann wird wesentlich weniger Sonnenstrahlung in den Weltraum reflektiert. Stattdessen dringt diese ins Meer ein und erwärmt es. Verschwindet die Sonne im Herbst wieder hinter den Horizont, dann gibt das offene Wasser zunächst viel Wärme an die Atmosphäre ab, bevor es schließlich wieder zufriert. Letzteres wird in der kalten Jahreszeit auch noch geschehen, wenn die globale Mitteltemperatur um einige Grad steigt.
Der Wendepunkt, an dem das Meereis wieder zu wachsen beginnt, wird meist irgendwann kurz nach dem 15. September erreicht. Derzeit schrumpft die Eisfläche noch und seit einigen Tagen ist die Nordost-Passage so gut wie offen. Entlang der Küsten Sibiriens findet sich kaum noch irgendwo eine geschlossene Eisdecke. Die Nordwest-Passage durch die nordkanadische Inselwelt scheint hingegen in diesem Jahr verschlossen zu bleiben. Insgesamt ist die Eisfläche wesentlich kleiner, als sie im Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010 zu dieser Zeit sein sollte, aber wird wohl in diesem Jahr nicht so dramatisch schrumpfen wie im bisherigen Rekordjahr 2012.
Viel Wind und Sonne
Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche. Am vergangenen Sonntag gab es in weiten Teilen des Bundesgebietes reichlich Wind bei nicht allzu wolkigem Himmel. Das Ergebnis: Die Stromerzeugung der erneuerbaren Energieträger lief auf Hochtouren und verfehlte den Rekord vom 11. Mai nur knapp (Neuer Rekord: Ökostrom deckt 74% des Bedarfs). Mehrere Stunden um die Mittagszeit lieferten Wind, Sonne, Biomasse und Wasser zusammen etwas über 40 Gigawatt (GW). In der zwölften Stunde wurde der Bedarf von ihnen zu 75,6 Prozent in der 13. Stunde zu 73,5 Prozent und in der 14. Stunde gar zu 76,6 Prozent gedeckt.
Die konventionellen Kraftwerke bekamen hingegen Probleme. Trotz massiven Stromexports sank ihre Erzeugung zeitweise auf nur noch etwas über 20 GW ab. Das heißt, auch viele schwerfällige Braunkohlekraftwerke, die eigentlich für den Dauerbetrieb konzipiert sind, mussten runter geregelt werden. Das ist natürlich weder für die Anlagen noch für den Gewinn der Betreiber Vattenfall und RWE gut, aber fürs Klima auf jeden Fall eine gute Nachricht.