Steht Indien ein religiöser Konflikt bevor?

Seite 2: Unabsehbare Risiken von erheblicher Gewaltanwendung

Derartige religiös-historischen Dispute bergen unabsehbare Risiken von erheblicher Gewaltanwendung. Schlüsselereignis der jüngsten indischen Geschichte ist die teilweise äußerst blutig verlaufene Auseinandersetzung um die Babri-Moschee in Ayodhya, die angeblich auf einem ehemaligen Hindutempel stand. 1992 starben in ganz Indien mindestens 2.000 Menschen.

150.000 Hindunationalisten hatten das Gelände gestürmt und damit begonnen, die Moschee abzureißen. Trotz der Toten gilt diese Auseinandersetzung als bedeutender Faktor beim Aufstieg der BJP zur führenden politischen Kraft in Indien.

Schaffen wir ein, zwei, viele Ayodhyas scheinen sich die Hindu-Nationalisten in Indien heute zu denken und erstellen immer länger werdende Listen von Moscheen, die – angeblich oder tatsächlich – an Orten gebaut wurden, an denen davor einmal Hindutempel gestanden haben (könnten). Dabei wird die Besiedelung und Eroberung des Subkontinents durch Muslime in entsprechenden ideologisch-religiösen Narrativen genutzt.

Premierminister Modi hat es sich trotz Covid 2020 denn auch nicht nehmen lassen, persönlich den Grundstein für einen Hindutempel auf dem umstrittenen Gelände in Ayodhya zu legen.

36.000 Moscheen, die – oft schon vor vielen hundert Jahren – erbaut wurden, sollen nun nach Meinung von K.S. Eshwarappa, einem hohen BJP-Funktionär und ehemaligen Minister für ländliche Entwicklung im Bundesstaat Karnataka, abgerissen werden. Der Mann stellt das als eine Art Auge-um-Auge-Politik dar: Seiner – durchaus maßgeblichen – Meinung nach sind während der Mogulreiche im 16. bis zum 18. Jahrhundert 36.000 Hindutempel zerstört worden.

ReclaimTemples.com z.B. listet – auf Distriktebene – detailliert muslimische Bauwerke auf, die "entweder auf Grundstücken erbaut wurden, auf denen früher Hindutempel standen oder die aus dem Baumaterial von Hindutempeln erbaut wurden". Der Hinweis, dass die Liste nur vorläufig sei und dass "noch viele weitere muslimische Monumente einer Überprüfung harren", klingt dabei durchaus wie eine Drohung.

Unfrieden verschreckt Investoren

Angesichts solcher inneren Spannungen scheint es – je nach Lesart – entweder leichtfertig oder irreführend, wenn Annalena Baerbock, die deutsche Außenministerin, in Delhi barfüßig Gandhi ehrt. Statt öffentlich zu versuchen, die indische Regierung in Bezug auf Russland und China mehr oder weniger auf Nato-Linie zu bringen, wären vielleicht eher kritische Töne zum Investitionsklima in Indien angebracht.

Denn Unfrieden behindert florierende Geschäfte, die man guten Gewissens abschließen kann (ebenso wie Umweltverschmutzung und grassierendes Elend).

Dabei ist es kontraproduktiv, Kritik pressewirksam zu verkünden. Angemessener ist es in derartigen Situationen, diskret und höflich, aber bestimmt gegenüber den Gesprächspartnern aufzutreten, anstatt darauf zu schielen, wie Punkte beim heimischen Wahlvolk gesammelt werden könnten. Das wäre dann tatsächlich ein "Dialog auf Augenhöhe".

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