Steigende Energiepreise: Mehr Pleiten im Einzelhandel erwartet

Zahl der Insolvenzen steigt, auch weil die Leute weniger Geld ausgeben. Von einer Pleitewelle wollen Ökonomen nicht sprechen. Gefährdet sind primär bestimmte Gruppen von Herstellern und Händlern.

Steuert Deutschland auf eine Pleitewelle zu oder fällt sie aus? Für Ökonomen ist der Ausgang der Energiekrise noch nicht ausgemacht. Noch versuchen sie zu beruhigen nach dem Motto: Wenn die Wolken sich eines Tages verzogen haben, ist auch die Sonne wiederzusehen.

Doch zuerst müssen die Menschen in der Bundesrepublik einen Verlust an Wohlstand verkraften. Das Münchner ifo-Institut geht davon aus, dass die Gas- und Strompreise die Inflation im ersten Vierteljahr 2023 auf etwa elf Prozent klettern lassen werden.

"Damit gingen die realen Haushaltseinkommen kräftig zurück und die Kaufkraft sinke spürbar", teilte Konjunkturforscher Timo Wollmershäuser vom ifo-Institut am Montag mit. Das dritte Entlastungspaket der Regierung dürfte zwar lindern, aber den Wohlstandsverlust nicht ausgleichen.

Der Verlust von Kaufkraft hat für Wollmershäuser eine historische Dimension: Er "ist so hoch wie nie zuvor seit dem Beginn der heutigen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung im Jahre 1970". Wenn die Energiepreise im kommenden Jahr nicht weiter ansteigen, dann verbessere sich die Situation spätestens ab dem nächsten Frühjahr wieder.

In der Zwischenzeit halten die Menschen ihr Geld zusammen und der Konsum geht zurück, erwarten die Ökonomen. Im Handel und im Gastgewerbe wird das deutlich zu spüren sein – und mit weiteren Pleiten ist zu rechnen, wovon Fachleute laut einem Bericht des Handelsblatts ausgehen.

Dass die Zeiten härter werden, ist schon jetzt an der Insolvenzstatistik zu sehen. Nach zwei Monaten Abwärtstrend steigt die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland wieder. Nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im August 6,6 Prozent mehr Regelinsolvenzen beantragt als im Juli.

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) schätzt, dass die Insolvenzen im Vergleich zum letzten Jahr deutlich zunehmen. Im August waren bereits 26 Prozent mehr zu verzeichnen als im Vorjahresmonat. Im Oktober dürften sie schon etwa ein Drittel über denen von Oktober 2021 liegen, so die Prognose.

Die steigenden Insolvenzzahlen zeigen, dass viele Unternehmen mit dauerhaften Kostensteigerungen rechnen, die ihr Geschäftsmodell unrentabel werden lassen. Von einer drohenden Insolvenzwelle kann trotz steigender Zahlen derzeit nicht gesprochen werden.

Steffen Müller, Insolvenzforscher beim IWH

Der Bericht im Handelsblatt legt allerdings nahe, dass es im stationären Einzelhandel anders sein könnte. Standen schon in der Coronapandemie viele Händler unter Druck, so könnte die aktuelle Krise "eine Marktbereinigung beschleunigen, die ohnehin passiert wäre", sagte demnach IWH-Insolvenzforscher Steffen Müller.

Vor allem kleinere und mittlere Firmen hätten in der Pandemie ihre Reserven aufgezehrt und hätten sie bislang nicht wieder aufbauen können.

Für sie geht es nun um die Existenz. Auch, weil sie jetzt wahrscheinlich nicht auf staatliche Hilfen hoffen können. Das unterscheidet die aktuelle Situation von der zu Beginn der Pandemie: Damals wurden auch sie mit großzügigen Staatshilfen und Kurzarbeit unterstützt.

Diesmal können sie nicht unbedingt darauf hoffen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat zwar am Dienstag erklärt, das "Energiekostendämpfungsprogramm" für Handwerk und Dienstleistungen öffnen zu wollen. Doch wurde gleichzeitig betont, dass der Staat nicht jede Kostensteigerung ausgleichen könne.

Der stationäre Einzelhandel dürfte von dem Programm nach wie vor nicht profitieren, denn es richtet sich vorwiegend an Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen und deshalb Kosten nicht an ihre Kunden weitergeben können.

Gefährdet seien hauptsächlich Hersteller und Händler, die sogenannte Mittelmarken anbieten, heißt es im Handelsblatt unter Berufung auf Branchenkenner. Sie seien es vor allem, die den Spardruck der Konsumenten zu spüren bekämen.

Dagegen würden Luxusprodukte auch in Krisenzeiten gekauft, weil deren Klientel zahlungskräftig sei. Auch die Nachfrage nach günstigen Produkten dürfte demnach auch in der Inflation konstant bleiben.

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