Steigende Gaspreise: Warum nicht mal wieder der Russe schuld ist
Die EU sollte sich eingestehen: Ohne Russland gibt es vorerst keine Lösung des Energieproblems. Denn die weltweite Nachfrage nach Erdgas steigt
Die Energiepreise in Europa steigen und für viele Menschen könnte das Heizen im Winter zum teuren Luxus werden. Einige Länder der Europäischen Union haben damit begonnen, die Preise zu deckeln; Deutschland hat angekündigt, die Entwicklung weiterhin zu beobachten.
Dass die Energiepreise international steigen, liegt laut dem Institut Bruegel vor allem am Gaspreis. Demnach ist der Großhandelspreis von Erdgas zwischen Januar und Oktober um rund 440 Prozent gestiegen. Weil das Gas auch zur Erzeugung von Strom genutzt wird, hat es auch Einfluss auf dessen Preis. In Deutschland ist Strom an der Börse seit Januar um rund 140 Prozent teurer geworden, in Italien 340 Prozent und in Spanien sogar um 425 Prozent.
An diesem Montagnachmittag treffen sich die Finanz- und Wirtschaftsminister der 19 Euro-Länder und beraten über die deutlich gestiegenen Verbraucherpreise - vor allem für Energie. Vor allem sie sind es, die die Inflation treiben. Weil der Anstieg der Strom- und Heizkosten in Ländern wie Spanien, Frankreich und Italien zu spüren ist, liegen erste Vorschläge auf dem Tisch, wie dem Problem begegnet werde könnte. Verhandelt werden diese wohl aber erst beim nächsten EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 21. und 22. Oktober.
Der spanische Regierungschef Pedro Sánchez hat der Europäischen Union am Freitag vorgeschlagen, den Einkauf des Gases zu bündeln. Die Länder sollen gemeinsam als Block mit den Lieferanten verhandeln, um so die Verhandlungsmacht aller EU-Staaten zu verbessern. Luxemburg macht dagegen Spekulationen am Gasmarkt mitverantwortlich für den Preisanstieg und schlägt deshalb vor, die entsprechende EU-Richtlinie zu überarbeiten. Polen wittert in der Entwicklung eine Chance, den Klimaschutz madig zu machen; das Land fordert nun ein Umdenken im EU-Emissionshandel - wohl auch, um die Lebensdauer seiner Kohlekraftwerke zu verlängern.
Frankreich und Italien greifen dagegen ihren Bürgern unter die Arme. Frankreich hat eine Tarifbremse für Strom und Gas angekündigt und will ärmeren Haushalten ja 100 Euro zahlen. Das gilt für die rund 5,8 Millionen Haushalte, die bereits Energiegutscheine zugeteilt bekommen. Italien will rund drei Milliarden Euro ausgeben, um Haushalten einen Teil ihrer Strom- und Gasrechnungen zu erlassen. Über das Absenken von Steuern soll das umgesetzt werden. Auch die Regierung in Athen hat angekündigt, die Kosten für Energie subventionieren zu wollen. Spanien hat eine Regelung eingeführt, nach der Energiefirmen "außerordentliche" Gewinne zurücküberweisen müssen. Mit dieser Vorschrift soll der Anstieg der Energiekosten gedeckelt werden.
Angesichts des Preisanstiegs neigen manche dazu, Russland die Verantwortung zuzuweisen. So hat Polen die EU-Kommission aufgefordert, die mutmaßliche Marktmanipulation durch den russischen Konzern Gazprom genauer unter die Lupe zu nehmen. Außerdem solle die EU ihre Verordnung zur Überprüfung ausländischer Investitionen anwenden. Geprüft werden solle, ob die Pipeline Nord Stream 2 mit EU-Regeln konform gehe.
In dieses Horn stießen in Deutschland zuletzt auch die Grünen. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland hatte Annalena Baerbock gesagt, das "putinsche Spiel" sei es, Druck aufzubauen, um auf diesem Wege die Zulassung der Ostsee-Pipeline zu beschleunigen. "Die Leidtragenden sind die Kunden in Deutschland, deren Gaspreise steigen werden oder im Extremfall sogar im Kalten sitzen müssen", behauptete sie.
Mathias Brüggemann, Auslandschef des Handelsblatts, gab Ende September auch wilden Spekulationen Raum. Er zitierte Manuel Sarrazin, Osteuropa-Experten der Grünen, der meinte, Gazprom spiele nun seine Marktmacht voll aus. Er könne auch verstehen, "dass Gazprom das ausnutzt, wenn andere so dumm waren, dem russischen Monopolisten solch eine Macht in Europas Energieversorgung zukommen zu lassen".
Eine andere Expertin, die Brüggemann zu Wort kommen ließ, behauptete: Putin gehe es im aktuellen "Gaskrieg" nicht darum, mit Nord Stream 2 noch mehr Druck auf die Ukraine auszuüben. Putin wolle "Proteste gegen demokratische Regierungen in der EU" entfachen, behauptete Debra Cagan, Energie-Expertin beim Transatlantic Leadership Network und Beraterin des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush. Unter anderem sollen auf so die Gelbwesten-Proteste gegen den französischen Präsidenten Emmanuel Macron wieder angefacht werden.
Was Dürren in Brasilien und China mit dem Preisanstieg zu tun haben
So einfach ist es allerdings nicht: Gazprom hat seine langfristigen Verpflichtungen gegenüber den EU-Ländern erfüllt. Aber dem Konzern wird es auch zum Vorwurf gemacht, den zusätzlichen Bedarf nicht bedient zu haben, obwohl die Preise attraktiv seien.
Ein anderer Grund liegt im Klimawandel. In Brasilien und in China kam es zu Dürren, wodurch weniger Energie durch die Wasserkraftwerke erzeugt werden konnte. Einspringen mussten dafür Gaskraftwerke, die den Bedarf an verflüssigtem Erdgas (LNG) in die Höhe schnellen ließen. Allein in China stieg dadurch die LNG-Nachfrage laut dem Brokerhaus Alliance Bernstein um 25 Prozent.
Das Problem in Europa ist ein Stück weit hausgemacht. Die Europäische Union verfolgt das Ziel, LNG trotz umweltschädlicher Fördermethoden wie "Fracking" als Alternative zu russischem Pipeline-Gas zu etablieren. Doch dabei hat die EU offenbar die langfristige Entwicklung des LNG-Marktes nur unzureichend berücksichtigt. Denn vor allem in Asien lassen sich besonders hohe Preise für LNG erzielen, weshalb die Tanker aus Russland, den USA oder Katar auch bevorzugt dahin unterwegs sind.
"Brücke" und Alternative zur Kohleverstromung
So war es durchaus abzusehen, dass der weltweite Bedarf an LNG steigen würde, denn weltweit gilt Erdgas bei der Energiewende als "Brücke" und Alternative zur Kohleverstromung während des Ausbaus der Erneuerbaren Energien, der in den letzten Jahren in Deutschland nur schleppend voranging. In China dürfte der Bedarf weiter steigen, da die Regierung nicht nur zunehmend der Kohle den Rücken kehrt, sondern auch LNG auch im Transportsektor verstärkt einsetzt. Im vergangenen Jahr verbrauchte China rund 13 Millionen Tonnen LNG, um rund 500.000 LKW und Busse damit anzutreiben. Im Vergleich zum Jahr 2018 hatte sich hier der Bedarf fast verdoppelt.
Laut Handelsblatt rechnen Marktbeobachter inzwischen damit, dass China bis Jahresende Japan als weltgrößten LNG-Importeur ablösen wird. Gleichzeitig wächst auch in anderen asiatischen Ländern der Energiehunger. So gingen Experten zum Beispiel davon aus, dass sich der LNG-Bedarf in Bangladesch von derzeit vier Millionen Tonnen bis zum Jahr 2023 verdoppeln wird.
Während die Nachfrage wächst, stagniert momentan das Angebot. Die Corona-Pandemie hat beim Bau von LNG-Kapazitäten zu Verzögerungen geführt. So wurden 2020 lediglich Verflüssigungskapazitäten im Umfang von drei Millionen Tonnen in Betrieb genommen. Erwartet worden aber 60 Millionen Tonnen.
Beim LNG-Export sind die USA weltweit die Nummer eins. Ein besonders großer Teil des Exports geht nach Asien. Inzwischen werden aber Stimmen lauter, die den Export wegen steigenden Bedarfs im eigenen Land einschränken wollen. Die Energieministerin Jennifer Granholm wolle den Export zwar nicht einschränken, aber nicht alle Mitglieder der Regierung seien ihrer Meinung, hieß es kürzlich im Handelsblatt. Weil bei der Förderung von Erdgas klimaschädliches Methan freigesetzt wird, zeigte sich der US-Klimabeauftragte John Kerry pessimistisch bezüglich der Exporte.
Es deutet viel darauf, dass sich die EU-Länder nicht darauf verlassen können, ihren Bedarf an Erdgas über LNG zu decken. Auch wenn es den Grünen und den Falken in Washington nicht gefallen sollte: Die EU ist bei der Energieversorgung auf eine Kooperation mit Russland angewiesen.
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