Stillstand neu?
In Österreich steht die Neuauflage der großen Koalition. Sparen lautet das Motto. Es stellt sich die Frage warum - bei wem und wie?
Am 29. September 2013 wurde in Österreich gewählt. Das Ergebnis: Verluste um jeweils rund zwei Prozent bei den damaligen Regierungsparteien SPÖ) und ÖVP, ein Zugewinn von drei Prozent bei der rechtspopulistischen FPÖ, plus zwei Prozent bei den Grünen und zwei neue Parteien - die wirtschaftsliberalen NEOS und das Team Stronach, die beide auf Anhieb den Einzug in das österreichische Parlament schafften.
Nach anfänglichen "Farbenspielen" wurde schnell klar, dass es eine Neuauflage der Koalition zwischen den Sozialdemokraten und der konservativen ÖVP geben wird. Am Donnerstag verkündeten Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP), man hätte sich auf einen Koalitionspakt geeinigt. Bei der Pressekonferenz wurde aber schnell klar, dass man mit keinen großen Würfen rechnen dürfe. Im Wesentlichen wären nur "Überschriften" bekannt geworden, so der staatliche Rundfunk.
Sparkurs, weitere Privatisierungen und Steuererhöhungen
Angedacht werden weitere Privatisierungen. Das Pensionsalter soll leicht angehoben werden. Man wolle aber unbedingt, die Pensionssicherheit weiter gewährleisten und ebenso die Absicherung der Gesundheitsvorsorge, betonte Kanzler Faymann. Steuererhöhungen werde es in Form von diversen "Indexanpassungen" geben.
Faymann strich hervor, dass man keine Mehrwertsteuer-Erhöhung plane, wie dies in anderen Ländern der Fall gewesen wäre. Und man wolle sparen, betonte Vizekanzler Spindelegger. Bis 2016 wolle man ein "strukturelles Null-Defizit" erreichen, bis 2018 das Land aus der Krise führen.
Die Schuldenquote betrug laut Statistik Austria im zweiten Quartal 2013 sowie im ersten Quartal 75,1% des BIP. Aufgrund neuer EU-Vorgaben für staatsnahe Betriebe dürfte sich dieser Prozentsatz noch etwas erhöhen. Damit bewegt sich Österreich knapp unter der 80-Prozent-Vorgabe der EU.
Unmut bei den sozialdemokratischen Studenten
Angesichts des Schuldenstandes waren keine großen Geschenke an die Bevölkerung zu erwarten. Für viele Österreicher geht es aber um eine "gerechtere" Verteilung. Immerhin ist Österreich eines der reichsten Länder in der EU. Die Verteilung des Reichtums wird aber seit Jahren unausgewogener.
Die Plattform Verteilung.at (das Portal wird von einem Kuratorium renommierter Professoren begleitet) zeigt in einer anschaulichen Grafik, dass die ärmsten fünfzig Prozent der Bevölkerung über 2,18 Prozent des gesamten Vermögens verfügen, während die reichsten fünfzig Prozent über 97 Prozent des Vermögens halten. Der Mittelstand klagt zunehmend über Einbußen.
Die von sozialdemokratischer Seite im Wahlkampf geforderte "Reichensteuer" ist mit dem konservativen Koalitionspartner ÖVP aber nicht zu machen. Der jetzt überraschend schnell angekündigte Koalitionspakt lässt in den Augen der sozialdemokratischen Studenten insgesamt wenig Gutes erwarten. Ihre Forderungen nach Verteilungsgerechtigkeit, mehr Ausgaben für Bildung und die notorisch überlasteten Universitäten werden in der nächsten Legislaturperiode wohl kaum berücksichtigt werden.
Der VSStÖ (Verband sozialdemokratischer Studenten Österreichs) empört sich in einer Pressemitteilung über mangelnde Einbindung durch die eigenen Genossen in der Verhandlungsriege. "Mitbestimmung und Diskussion" würden anders aussehen. Außerdem habe man das ständige "Sparen" satt, so Jessica Müller, Vorsitzende des Verbands sozialistischer StudentInnen in Österreich:
In der Pressekonferenz heute hat Werner Faymann davon gesprochen in den Parteigremien diskutieren zu wollen. Das ist blanker Hohn wenn diesem Prozess nicht einmal 24h Stunden gegeben wird! … In den nächsten Jahren brauchen wir dringend zukunftsorientierte Politik, daher ist es fatal, wenn andauernd nur von Sparen gesprochen wird. Gerade in Zeiten der Krise sind Investitionen wie etwa im Bereich der Bildung und der sozialen Absicherung dringend notwendig.
Aufwind für die FPÖ?
Die Oppositionsparteien reagierten - wie zu erwarten - mit Kritik. Insbesondere die FPÖ könnte von weiteren sozialen Einschnitten beziehungsweise Einsparungen profitieren. Auch die parteipolitische Besetzung von Positionen im öffentlichen und staatsnahen Bereichen spielt rechtspopulistischen Kräften in die Arme. Mit markigen Sprüchen erreicht FPÖ-Bundestparteiobmann HC Strache viele Protestwähler (nicht nur rechtsradikale). In einer ersten Pressemitteilung heißt es zur Neu-Auflage der Koalition:
Die rot-schwarze Koalition erinnere an so manche Hollywood-Filme. Diese würden nämlich auch mit jeder Fortsetzung immer noch schlechter, meinte heute FPÖ-Bundesparteiobmann HC Strache zur Einigung von SPÖ und ÖVP. … Jedweder Reformansatz fehle. Die einzige Bewegung in der ganzen Geschichte sei der Austausch einiger Türschilder.
Grüne, NEOS, Team Stronach
Auch die anderen Oppositionsparteien meldeten sich zu Wort. Die Grünen sprechen wörtlich von einem "Still-Standsabkommen". Sie werden sich sicher weiter in den umweltpolitischen Themen profilieren können. Mit dem Abgang des Wirtschaftswissenschaftlers Professor Alexander Van der Bellen an der Führungsspitze ist allerdings eine über die Parteigrenzen hinweg geachtete Stimme in Wirtschaftsfragen abhanden gekommen. Wählerstrom-Analysen zufolge konnten die Grünen auffallend stark mit Themen wie Korruptionsbekämpfung punkten. Die Glaubwürdigkeit in diesen Fragen könnte der FPÖ auch ein wenig Wind aus den Segeln nehmen.
Die neu ins Parlament eingezogenen NEOS haben einen wirtschaftsliberalen Zugang und sprachen zumindest im Wahlkampf unter anderem eine wachsende Gruppe an Selbständigen und Scheinselbständigen (darunter durchaus gut Ausgebildete) an, die sich mit niedrigen Einkommen, schlechter sozialer Absicherung und hohen behördlichen Auflagen herumschlagen müssen.
Das Team Stronach rund um den Industriellen Frank Stronach hat mit inneren Turbulenzen zu kämpfen und glänzt nicht eben mit ausgefeilten Parteiprogrammen. Ihre Rolle im Parlament ist derzeit kaum einschätzbar.
Die österreichischen Oppositionsparteien sind in den nächsten Jahren auf das Aufzeigen und Anprangern von Missständen angewiesen. Die Neuauflage der Koalition mit wenig ambitionierten Vorhaben wird ihnen dafür die besten Vorlagen liefern. Allerdings wird es sich weisen, welche Partei davon profitiert. - Österreich hat bereits einmal durch die "schwarz-rot-Aufteilung" des Landes - durch starre, einzementierte Machtverhältnisse (Korruption inklusive) - den Aufstieg des Rechtspopulisten Jörg Haider begünstigt und ein bedenklich menschenverachtendes Klima geschaffen. Es bleibt zu hoffen, dass die große Koalition zumindest den Begriff "Gerechtigkeit" im Auge behält, damit sich dies nicht noch einmal wiederholt.