Stimmen gegen die Armut

Live 8 war sicherlich das bislang größte Musik- und Medienspektakel, aber war es eine "politische Veranstaltung"?

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"Das ist kein Konzert. Das ist eine politische Veranstaltung", meinte Campino von den Toten Hosen am Samstagnachmittag kurz nach dem Start des Berliner Live 8-Konzertes. Eine politische Veranstaltung? Wer sich am Samstag in Berlin zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor umsah, konnte einer großen Menge feiernder Menschen begegnen. Das war genau so politisch wie die Love-Parade. Die hatte ja auch jahrelang auf ihren Status als politische Demonstration bestanden. Dort ging es aber um ganz profane Dinge, wie die Frage, wer für den Abfall aufkommen muss. Bei der Love-Parade wusste das jeder.

Doch die Veranstalter von Live 8 meinen es Ernst mit dem politischen Anspruch - und das ist das Schlimme. Man braucht nur den Gestus des Offenen Briefes zu lesen, den der Mentor von Live 8 Bob Geldof vor dem Spektakel verfasste:

Let this be absolutely clear before the first note is played. Everyone taking part in these concerts is there because the many generations watching will not tolerate the further pain of the poor while we have the financial and moral means to prevent it.

Da schreibt einer einen Brief, als wolle er ein Kommandounternehmen starten und dabei beschert er nur ganz vielen Menschen mit mehr oder weniger guter Musik ein Paar schöne Stunden. Dagegen ist ja gar nichts zu sagen und die beckmesserischen Kritiker, denen die afrikanische Musik in dem Spektakel fehlt, überholen Geldof noch an Heuchelei. Erweckt Geldof den Eindruck, dass man mit der Gitarre den Hunger wegspielen kann, so wenden seine Kritiker ein, dazu bräuchte man aber noch den Sound aus Afrika.

Unrecht haben beide. Die Einzigen. die von dem weltweiten Mammutkonzert etwas hatten, sind die Veranstalter, die beteiligten Künstler, die oft genug zur Geldelite des Westens gehören, und die Zuhörer, vorausgesetzt, sie goutieren die Musik. Cui bono außer bono? leitartikelte die taz launisch. Was geschafft wurde, war die Organisation eines globalen und gigantischen Aufmerksamkeitsspektakels mit einem wegweisenden Mix aus verstreuten räumlichen Veranstaltungsorten und einer vielstündigen globalen Medienberichterstattung. Das angebliche Thema ging dabei freilich unter, man erreichte aber, das bislang größte Musikereignis - die "Mutter aller Popkonzerte" - in der Geschichte zustande gebracht zu haben. Möglicherweise haben Milliarden von Menschen, wie behauptet wird, einmal einen mehr oder weniger langen Blick in den Fernseher geworfen, das Radio angeschaltet oder das Konzert im Internet verfolgt. Nun also ist eine neue Marke für den nächsten Aufmerksamkeitsrekord gesetzt, aber auch ein Höhepunkt an simpler Botschaft, als würden die 8 Regierungschefs alleine über Wohl und Wehe der ganzen Welt bestimmen können.

Warum soll man nicht einigen Zehntausend Fans einen schönen Tag gönnen? Dagegen wäre nun wirklich nichts zu sagen Das Problem sind Leute wie Bob Geldof und Campino sowie der Teil der Zuhörer, die auch der festen Überzeugung an einer ganz wichtigen politischen Veranstaltung teilgenommen zu haben. Die werden vielleicht ihre Stimme gegen die Armut abgeben. Schließlich wurde dazu in Berlin ständig aufgerufen. Menschen ohne Internetzugang können zu folgender Botschaft auch per SMS ihre Zustimmung geben:

Herr Bundeskanzler, es liegt in Ihrer Hand, die Welt gerechter und friedlicher zu machen. Ergreifen Sie die Chance, schreiben Sie Geschichte, machen Sie die Millenniumsziele wahr. Erheben Sie Ihre Stimme gegen Armut. Ich schicke Ihnen hiermit meine zur Unterstützung.

Diese Art "politisches Begleitprogramm" zum Mammutkonzert ist das wahre Ärgernis bei Live 8. "Today there will be noise and music and joy, the joy of exuberant possibility. On Friday there will be a great silence as the world awaits your verdict", phantasiert Geldof in Bezug auf den G8-Gipfel, der am kommenden Freitag im schottischen Edinburg über Hilfen für Afrika entscheiden wird. So still, wie Geldof wünscht, wird es dort wohl nicht sein, weil Zigtausende Demonstranten aus verschiedenen Ländern vor Ort sein werden, die nicht der Meinung sind, dass man nur mit der Gitarre oder einer SMS an Schröder die Armut vertreiben kann.