Stoffwechsel nach Maß

Synthetische Biologen verändern den Stoffwechsel von Zellen, um Substanzen für den alltäglichen Bedarf zu produzieren

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Schon länger versuchen Forscher, durch gezielte Eingriffe in den Stoffwechsel die Produktion von Naturstoffen zu optimieren. Die Methoden der synthetischen Biologie heben diesen Ansatz auf ein neues Niveau: Stoffwechselwege werden vollständig umgebaut, naturfremde Prozesse in lebende Zellen installiert. Ein Medikament brachte den Durchbruch, die Entwicklung von Biokraftstoffen könnte der nächste Erfolg sein. Im Idealfall erlaubt die synthetische Biologie eine umwelt- und ressourcenschonende Herstellung von Substanzen, die mit klassischen chemischen Synthesen schwer zu erzeugen sind.

Die Natur ist als Baumeister unübertroffen: Zellen produzieren ihre Grundbausteine meist effizienter und schonender, als es dem Menschen mit seinen unvollkommenen technischen Mitteln möglich ist. Allerdings deckt die Natur nur ihren eigenen Bedarf, die speziellen Bedürfnisse einer modernen Gesellschaft müssen ineffiziente und umweltschädigende Industrie-Anlagen befriedigen. Mit dieser Beschränkung wollen sich synthetische Biologen nicht mehr abfinden. Warum nicht die Werkzeuge der Natur für die eigenen Zwecke nutzen?

Die Gentechnik bot in den 1970er Jahren erstmals die Möglichkeit, diesen Ansatz zu verwirklichen. Gezielte Eingriffe in den Stoffwechsel - metabolic engineering genannt - sollten natürliche Prozesse optimieren und ihre Nutzung rentabel gestalten. Doch die Mittel der Gentechnik waren anfangs sehr beschränkt, Gene konnten nur einzeln und schrittweise verändert werden. Ein mühsamer Prozess, und oft zu aufwändig, um zeitintensive Projekte vernünftig vorwärts zu treiben. So verliefen auch die ersten Versuche, Kraftstoffe aus Algen zu gewinnen, mit der Zeit im Sande.

Doch in den letzten Jahren hat die Entwicklung der gentechnischen Methoden einen großen Sprung gemacht. Dutzende Gene können jetzt fast gleichzeitig verändert werden, automatisierte Prozesse analysieren parallel Tausende von Mutanten, und die maschinelle Synthese von DNA beschleunigt die Manipulation von Genen um ein Vielfaches. Dies gibt Forschern die Möglichkeit, Stoffwechselwege beliebig zu kombinieren oder komplett umzubauen. Sie können sogar Prozesse erschaffen, die es in der Natur nicht gibt. Da nun neue biologische Systeme erschaffen werden können, gilt das metabolic engineering heute meist als ein Teilbereich der synthetischen Biologie.

Der Markt, an dem sich diese Projekte orientieren, wird immer größer und vielfältiger: Grundstoffe für die chemische Industrie, biologisch erzeugte Kraftstoffe und neuartige Medikamente sind ein wesentlicher Teil davon. Und was anfangs vor allem als Grundlagenforschung an Universitäten betrieben wurde, wird nun von der Industrie mit massiven Investitionen weitergeführt.

Gewinnung von Biokraftstoffen

Ein Beispiel ist die Gewinnung von Biokraftstoffen aus Algen. Mitte der 1990er Jahre schien dieses Vorhaben am Ende zu sein, doch mit dem Aufkommen der synthetischen Biologie ging es wieder steil bergauf. Seit dem Jahr 2000 wurden in den USA mehr als zwei Milliarden US-Dollar in derartige Projekte investiert. Allein der Ölriese ExxonMobil hat 600 Millionen US-Dollar in eine Firma des Genom-Pioniers J. Craig Venter gesteckt, und viele andere Firmen haben ebenfalls ihre Aktivitäten verstärkt. Die Hoffnung steigt, das in absehbarer Zeit ein Durchbruch gelingt.

Denn was eignet sich besser als Sonnenlicht, um Kraftstoffe umweltschonend zu erzeugen? Cyanobakterien (früher oft Blaualgen genannt) sind häufig das Mittel der Wahl: Es sind einfache Organismen, die schneller wachsen und leichter zu manipulieren sind als echte Pflanzen. Und sie erzeugen Biodiesel, ein Kraftstoff mit hoher Energiedichte. Noch ist Biodiesel teurer als die fossilen Brennstoffe, aber synthetische Biologen haben eine Vielzahl von Ideen, wie sie dieses Verhältnis umkehren können.

Wesentliche Ziele sind natürlich, die Effizienz der Photosynthese zu steigern und den Anteil an Biodiesel zu erhöhen. Doch manche Forscher gehen auch überraschende Wege: Sie lassen die Algen nicht mehr, sondern weniger Licht absorbieren. Dies ist sinnvoll, weil Algen oft mehr Licht absorbieren, als sie für die Photosynthese brauchen - um anderen Algen zu schaden und sich selber Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Genetische Manipulationen, die die Aufnahme von Licht verringern, lassen mehr für alle übrig und steigern das Wachstum der Gesamtpopulation. Ein anderer Ansatz nimmt ein menschliches Enzym zur Hilfe. Der Einbau dieser Carboanhydrase in das Erbgut der Algen verbessert die Verfügbarkeit von Kohlendioxid . Das kurbelt die Photosynthese an und steigert die Ausbeute an Biodiesel beträchtlich.

Erst kürzlich haben synthetische Biologen einen Stoffwechselweg erzeugt, den es in der Natur nicht gibt - die nicht-oxidative Glykolyse (Bogorad et al., Nature Oktober 2013: Synthetic non-oxidative glycolysis enables complete carbon conservation). Im Gegensatz zum natürlichen Stoffwechsel geht hierbei kein Kohlendioxid verloren, es bleibt mehr Ausgangsmaterial für die Biosynthese übrig. Die Forscher hoffen, die nicht-oxidative Glykolyse mit anderen Stoffwechsel-Manipulationen zu kombinieren und so die Erzeugung von Biodiesel effizienter zu gestalten. Die Kombination vieler derartiger Schritte könnte letztlich dazu führen, dass Biodiesel auch preislich mit fossilen Brennstoffen konkurrieren kann.

Herstellung von Medikamenten

Neben Kraftstoffen sind Medikamente ein weiterer großer Markt. Die Natur produziert unzählige Stoffe, die für die Behandlung von Krankheiten genutzt werden könnten, wenn sie in ausreichender Menge zugänglich wären. Doch die natürlichen Quellen erlauben oftmals keine hohen Ausbeuten, und eine rein chemische Synthese ist viel zu aufwändig.

Artemisinin ist das beste Beispiel. Es ist ein sehr wirksames Malariamittel, aber die aufwändige Gewinnung aus einer seltenen Pflanze bringt viele Nachteile mit sich - hoher Preis, begrenzte Verfügbarkeit und starke jährliche Schwankungen des Ertrags. Synthetische Biologen entwickelten vor einigen Jahren einen alternativen Weg, der nun zur industriellen Reife gebracht wurde (Paddon et al., Nature 2013: High-level semi-synthetic production of the potent antimalarial artemisinin): Sie manipulierten den Stoffwechsel von Hefezellen und fügten dann mehrere pflanzliche Enzyme hinzu, so dass die Zellen einen Vorprodukt von Artemisinin freisetzen. Dieses kann durch eine einfache chemische Reaktion in das endgültige Medikament umgewandelt werden. Die industrielle Produktion ist bereits angelaufen, und langfristig könnte sie eine verlässliche und kostengünstigere Quelle von Artemisinin darstellen.

Ergiebige Wasserstoffproduktion aus Stärke und Wasser durch einen synthetischen Enzymmechanismus. Bild: PLOS / Zhang et al./CC-BY-SA-2.5

Ein weiteres Beispiel ist der Einbau von Fluor in Medikamente. Fluor verbessert die Wirksamkeit von Medikamenten, indem es sie stabilisiert und deren Aufnahme in die Zellen verbessert. Doch chemische Synthesen sind bei komplizierten Molekülen fast unmöglich, da Fluor sich zufällig und ungerichtet in die Medikamente einbaut. Und da Fluor hochgiftig ist, kennt man nur ein einziges Lebewesen, das dieses Element in einfache Moleküle einbauen kann. Synthetische Biologen schafften es kürzlich, diesen Stoffwechselweg zu erweitern und Fluor in einen Grundbaustein für Medikamente einzubauen - und zwar an einer genau definierten Position (Walker et al., Science 2013: Expanding the Fluorine Chemistry of Living Systems Using Engineered Polyketide Synthase Pathways Mark). Noch hat sich dieser Prozess nicht in der Praxis bewährt, die Auswirkungen auf die Herstellung von Medikamenten könnten aber beträchtlich sein.

Die synthetische Biologie könnte einen schonenden technischen Fortschritt einleiten: Sie nutzt die Werkzeuge der Natur, um Substanzen zu erzeugen, die die Natur uns nicht liefern kann. In einem gewissen Sinne ist sie damit die logische Weiterentwicklung der Tier- und Pflanzenzüchtung, wie sie der Mensch seit Jahrtausenden betreibt. Mit dem Unterschied, dass nun neuartige und naturfremde Stoffwechselwege geschaffen werden, die den Bedürfnisse einer modernen Gesellschaft gerecht werden. Und wie viele Beispiele zeigen, kann die synthetische Biologie dabei gleichzeitig die Umwelt zu schützen und knappe Ressourcen zu schonen.

Teil 4: Die Zelle als Computer. Synthetische Schaltkreise führen logische Operationen in lebenden Zellen durch und erlauben die Entwicklung von Biosensoren.