Strafanzeige gegen RWE: Mit der Justiz für den Klimaschutz?
Die gestrige Strafanzeige gegen RWE reiht sich ein in eine Reihe von Bemühungen, über die Justiz Konzerne zur Einhaltung von Umweltregeln zu zwingen. Doch das ersetzt nicht mehr Druck aus der arbeitenden Bevölkerung.
15 Juristinnen und Juristen sowie eine Rechtsprofessorin haben am 29. September bei den Staatsanwaltschaften Köln, Aachen und Mönchengladbach erneut Strafanzeige gegen die RWE Power AG erstattet. Sie machen den Energiekonzern wegen klimaschädlicher Emissionen für hitzebedingte Todesfälle mitverantwortlich und werden von der Initiative RWE-Tribunal unterstützt.
Klimaschäden, Umweltzerstörung, Gesundheitsgefährdung sind drei der Vorwürfe, die sie dem RWE-Konzern machen. "Nach unserer Rechtsauffassung haben leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und aufsichtführende Personen der RWE Power AG bewusst in Kauf genommen, dass durch die klimaverändernde, umweltzerstörende und gesundheitsschädliche Förderung und Verstromung von Kohle im Rheinischen Braunkohlerevier in den letzten zwei Jahrzehnten immer mehr Menschen zu Tode gekommen sind", erklärte der Kölner Rechtsanwalt Dr. Heinrich Comes.
Es ist nicht die erste Klage, die die kritischen Juristinnen und Juristen gegen RWE anstrengen. Eine frühere Strafanzeige 2018 war von der Staatsanwaltschaft Essen und eine weitere von der Generalstaatsanwaltschaft Hamm 2019 zurückgewiesen worden.
Ihre optimistische Einschätzung, dass sie dieses Mal Erfolg haben könnten, schöpfen die Kläger auch aus dem vielzitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021, das Schutzpflichten des Staates in Bezug auf die Folgen Klimawandels auch für die nachfolgenden Generationen festschreibt.
Vorwurf: rund 2.000 vorzeitige Todesfälle jährlich
Als Beweismittel zu den Ursachen der Klimakatastrophe führen die Kläger den letzten Bericht des Weltklimarats IPCC und benennen zudem die Folgen von Extremwetterereignissen wie im Juli 2021 im Ahrtal an. Zudem beziehen sie Feinstaub-Geschädigte ein.
"Wir werden darstellen und mit Beweisangeboten versehen, dass jährlich etwa 2.000 Menschen aufgrund dieser Aktivitäten der RWE vorzeitig versterben und um die 690 Menschen von chronischen Lungen- und Bronchialerkrankungen befallen werden", erklärte ein Sprecher der beteiligten Juristinnen und Juristen.
Justiz statt Arbeiterselbstverwaltung
"Darauf, dass es sich bei den mit der Strafanzeige angesprochenen Fragen um allenfalls politische Konflikte handele, kann die Staatsanwaltschaft sich folglich nicht mehr herausreden. Diesbezügliche Entscheidungen unterliegen nicht der Willkür der Politik, sondern finden ihre rechtlich überprüfbaren Grenzen in den genannten Grundsätzen und an den von dem Gericht auch rechnerisch dargestellten Emissionswerten", heißt es in der Begründung für die erneute Anzeige.
Hier zeigt sich auch eine Problematik der Argumentation. Indem unterstellt wird, das Problem des Klimaschutzes sei keine Frage der Politik, sondern rechnerischer Emissionswerte wird im Grunde einer Technokratie Vorschub geleistet. Hier wird kurzschlüssig unterstellt, aus Zahlen und Expertisen würden sich einfach Handlungsanleitungen ergeben und die politische Ebene wird übersprungen.
Doch tatsächlich ist es die Aufgabe der Politik, mit den Zahlen zur Lage der Umwelt umzugehen und darauf eben unterschiedliche Schlüsse zu ziehen. Es gibt Politiker, die den Schluss ziehen, Wirtschaftswachstums sei wichtiger als Klimaschutz. Wenn sie in einer bürgerlich-demokratischen Wahl Mehrheiten errangen, ist das sicher ein Problem. Aber die Lösung ist dann nicht eine Technokratie, sondern die politische Mobilisierung.
Es rettet uns kein Gericht
Nun ist die Klage gegen RWE nur eine von vielen ähnlichen Anzeigen, die in vielen Ländern gegen internationale Konzerne wegen Beteiligung an Umweltverbrechen und Vertreibung eingegangen sind. Greenpeace propagiert direkt solche Klimaklagen als ein probates Mittel zur Klimarettung.
Ist die Justiz nun auf einmal grün geworden? Sicher nicht. Sie ist Teil der Staatsapparate und korrigiert schon mal politische Entscheidungen, die den auch kapitalistischen Allgemeininteressen widersprechen. Das ist auch ein Grund, warum aktuell überhaupt manche Gerichtsurteile Hoffnung auf Klimaschutz durch die Justiz machen.
Es steht der Übergang vom fossilen Kapitalismus zu neuen kapitalistischen Akkuemulationsmodellen an. Da gibt es schon mal Urteile, die den Machtanspruch des fossilen Kapitalismus Grenzen setzen. Diese Kämpfe im kapitalistischen Apparat kann und soll man ausnutzen. Daher ist es nicht falsch, auch Klimafragen anzustrengen.
Aber man sollte dabei nicht vergessen, dass die größte Macht in den Betrieben "der Wirtschaft" noch immer die Beschäftigten sind. Ein Gang vor Gericht kann eben eine Organisierung der Belegschaften nicht ersetzen, die schließlich auch die Macht haben, ihre Arbeit niederzulegen. Dann ist Schicht im Schacht. Natürlich scheint eine solche Orientierung heute besonders weit weg.
Doch die Justiz als Teil des Staatsapparats ist eben kein Ersatz, wenn die Unterstützung durch die Belegschaft oder die Bevölkerung fehlt. Besonders fatal wäre es, wenn die Beschäftigten mögliche Urteile als gegen ihre Interessen gerichtet verstehen.
Dann hat man sich Teile der arbeitenden Klasse sogar noch zum Gegner gemacht – und das können dann wiederum rechte Parteien ausnutzen, die sich als Verteidiger der fordistischen Arbeitsplätze gerieren. Natürlich sollte man den juristischen Weg auch für den Klimaschutz nicht ausschließen. Aber man sollte sich keine Illusionen über die Rolle der Justiz im bürgerlichen Staatsapparat machen. Nein, auch Klima- und Umweltschutz sind eminent politische Fragen und sie sollten auch schwerpunktmäßig auf dem Feld der Politik gelöst werden.