Strahlende Zukunft
Seite 2: Radioaktivität zu einem besseren Ruf verhelfen
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Ein Musterbeispiel dafür, wie man die anscheinend als Belege für Strahlenhormesis verwertbaren Untersuchungen grotesk überbewerten und die berechtigten Zweifel ganz nonchalant unter den Teppich kehren kann, hat die Basler Zeitung Anfang des Jahres geliefert.
Würde man diesem Artikel glauben, müssten die Grenzwerte für erlaubte radioaktive Strahlung sofort drastisch angehoben werden, weil sich die wissenschaftliche Gemeinde durch übertriebenen Strahlenschutz an der Gesundheit der Bevölkerung geradezu versündigt hat.
Zwar weist der Artikel noch verschämt auf geringfügige methodische Schwierigkeiten bei den Studien hin, die er zitiert, aber ansonsten preist und lobt er die seiner Ansicht nach erwiesene gesundheitsfördernde Wirkung niedrigdosierter radioaktiver Strahlung (was immer darunter genau zu verstehen ist) in den wärmsten, glühendsten Farben. Rosinenpickerei wie aus dem Gesangbuch.
Immerhin hat die Sache Tradition, und das ist doch auch schon mal was:
In den 1920er- und 1930er-Jahren hatte Radioaktivität einen sehr guten Ruf. Es wurde sogar offensiv damit geworben. Viele Kurorte wie St. Blasien im Schwarzwald, Brambach in Sachsen oder Bad Gastein in Österreich strichen hervor, dass das Wasser in ihren Bädern mit radioaktivem Radon versetzt ist und betonten die Heilkraft, die daraus resultiere.
Basler Zeitung
Dann wird es wohl wahr sein. Wirklich? Das skeptische Psiram-Wiki, das schon seit 2007 pseudowissenschaftlichen Unfug aufs Korn nimmt, hat zur Strahlenhormesis Folgendes zu sagen:
Auch zur schädigenden Wirkung ionisierender Strahlung liegen Hypothesen zu einer möglichen Strahlenhormesis oder Radiohormesis bei geringen Strahlendosen vor. Demnach hätten geringe Dosen ionisierender Strahlung nicht nur keinen schädigenden Effekt, sondern "stärkten" sogar den Organismus. Auch über diese Hypothesen wird in Fachkreisen sehr kontrovers diskutiert. Auf eine mögliche Strahlenhormesis berufen sich mitunter Befürworter der Kernenergie.
Psiram
"Deponien zu Kurorten"
Und damit ist einer der besten Gründe benannt, der Strahlenhormesis mit Skepsis zu begegnen. Neben den stutzig machenden Aussagen zur "Ähnlichkeit" des Konzepts mit dem Impfen und der Homöopathie, und neben der, gelinde gesagt, widersprüchlichen Datenlage, ist die Idee von der Strahlenhormesis ein gar zu gefälliger Türöffner für die Nuklearindustrie, die in den letzten Jahren unter ihrer eigenen Obsoletheit schwer zu leiden hatte.
Wie wunderbar wäre es doch, die Probleme mit der Entsorgung von radioaktiven Abfällen über eine massive Erhöhung der Grenzwerte zu lösen. Ständig neue "Erkenntnisse" zur gesundheitsfördernden Wirkung von Radioaktivität würden Endlager sogar überflüssig machen: "Deponien zu Kurorten", könnte es dann heißen, und in der Drogerie gäb’s wieder Doramad.
Bis eindeutige Belege für die Strahlenhormesis vorliegen, darf man hoffen, dass es so weit nicht kommt.