Streben nach Unabhängigkeit von russischem Erdgas
Seite 2: Neuausrichtung des Energiebezugs
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Seit Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, arbeitet die deutsche Energiewirtschaft und -politik an einer Neuausrichtung des Energiebezugs. Russische Lieferungen von Erdgas, Erdöl und Steinkohle sollen so weit wie möglich abgelöst werden.
Das ist bei Erdgas besonders schwierig, bei dem Russland zuletzt mehr als die Hälfte des deutschen Verbrauchs gedeckt hatte. Dazu kommt, dass Erdgas schon seit dem vergangenen Jahr weltweit knapp und teuer geworden ist. In den vergangenen Wochen hatte sich die Situation zwar etwas entspannt. Doch seit dem Kriegsausbruch haben die Erdgaspreise an den europäischen Energiebörsen wieder angezogen.
Nach den bisher vorliegenden Informationen laufen die Erdgaslieferungen aus Russland auf allen vorhandenen Transportwegen nicht nur stabil, sondern sogar in einem steigenden Umfang. Das scheint auch für das ukrainische Transitsystem zu gelten. Wie lange es bei zunehmenden Sanktionen und weiterem Kriegsverlauf dabei bleiben kann, wird sich allerdings zeigen müssen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat nun den schnellen Bau von zwei LNG-Terminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven angekündigt. Außerdem soll eine Kohle- und Gasreserve aufgebaut werden, die es bisher noch nicht gibt. Die LNG-Terminals sollen so ausgelegt werden, dass sie künftig auch für den Import von "grünem Wasserstoff" nutzbar sind, der in anderen Teilen der Welt mit Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt werden kann.
Inzwischen ist mit Stade auch ein dritter LNG-Standort im Gespräch. Die Gaswirtschaft hält drei bis sechs solcher Anlagen für notwendig, um das russische Pipelinegas ablösen zu können. Allerdings wird es wohl noch einige Jahre dauern, bis das erste Terminal fertig sein kann.
Als LNG-Lieferanten kommen Staaten wie die USA, Katar und Australien in Betracht. Die Bedenken über die umweltschädlichen Fracking-Fördermethoden in den USA, über die Lage der Menschenrechte in Katar und über die australische LNG-Produktion aus Kohleflözen treten dabei sicher zunächst in den Hintergrund.
Braunkohle-Kraftwerke und Emissionshandel
Bei hohen Gaspreisen wird die Strom- und Wärmeerzeugung in Gaskraft- und Heizwerken teurer, die Strom- und Wärmeerzeugung in Braunkohle-Kraftwerken vergleichsweise günstiger. Wenn dann auch noch wetterbedingt weniger Strom als sonst aus Solar- und Windparks kommt, laufen die Braunkohle-Anlagen wieder länger. Das gilt besonders für trübe Herbst- und Wintertage, an denen wenig oder kein Wind weht.
Dass die Braunkohle-Kraftwerke bei wenig Sonne und Wind wieder verstärkt eingesetzt werden, war schon im vergangenen Jahr 2021 zu beobachten. Eigentlich sieht der bisher beschlossene Kohleausstieg vor, dass die Braunkohle-Kraftwerke bis zum Jahr 2038 schrittweise stillgelegt werden sollen. Die aktuelle Bundesregierung will diesen Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen.
Der BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hält diesen vorgezogenen Kohleausstieg weiterhin für möglich, wenn ausreichend erneuerbare Energien mit der erforderlichen gesicherten Leistung verfügbar sind.
Allerdings will er auch für den Fall vorbereitet sein, dass zusätzliche Kohlekraftwerke nötig sein könnten, um die Versorgungssicherheit zu sichern. Für diesen Fall denkt er daran, dass vorläufig stillgelegte Braunkohle-Kraftwerke aus der Sicherheitsbereitschaft eingesetzt werden können. Auch Kraftwerke, die schon endgültig stillgelegt wurden, könnten dann zeitweise wieder ans Netz gebracht werden.
Dafür setzt sich sogar der Klima-Ökonom Ottmar Edenhofer ein. Dabei erinnert er daran, dass im europäischen Emissions-Handelssystem für den Strom- und Industriesektor eine Obergrenze für den Ausstoß von Treibhausgasen gilt. Sie dürfe auch auf keinen Fall aufgeweicht werden.
Er hält es vielmehr für notwendig, dass die Europäische Kommission möglichst rasch klarstellt, dass sie weiter zu den klimapolitischen Zielen des "Green Deals" steht, immer weniger Treibhausgase auszustoßen.
Sogar der schon weitgehend vollzogene Atomausstieg wird wieder diskutiert. Derzeit laufen noch drei Atomkraftwerke der Energiekonzerne RWE, Eon und EnBW. Sie sollten eigentlich zum Jahresende 2022 endgültig abgeschaltet werden. Doch Bundes-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Grüne) lässt derzeit prüfen, ob ihre Laufzeiten verlängert werden können. Damit stößt er in seiner eigenen Partei auf Widerspruch.
Auch die Betreiber sehen das bisher skeptisch und ließen durchblicken, dass der Weiterbetrieb aus technischen Gründen nur nach einer längeren Unterbrechung möglich wäre. Zumindest Eon und EnBW scheinen aber grundsätzlich gesprächsbereit zu sein.
Erneuerbare Energien und Wasserstoff
In Energiewirtschaft und -politik gibt es insgesamt eine große Einigkeit darüber, dass der Ausbau erneuerbarer Energien und der Wasserstoff-Wirtschaft nun beschleunigt werden soll. Das Bundeswirtschafts- und Klimaministerium bereitet derzeit eine Reform des Erneuerbaren Energien Gesetzes vor.
Einem Entwurf zufolge soll die inländische Stromerzeugung bereits im Jahr 2035 nahezu vollständig durch erneuerbare Energien erfolgen. Als Etappenziel für 2030 werden demnach 80 Prozent des mit 715 Terawattstunden angenommenen Brutto-Stromverbrauchs angestrebt.
Beim Ausbau von Wind- und Solarparks wird es sicher auch darauf ankommen, wie die bisher schon bekannten Ausbaubremsen gelöst werden können: Knappe Vorrangs- und Eignungsflächen in den Regionalplänen, restriktive Abstandsregeln und die Akzeptanz der örtlichen Bevölkerung.
Auch die Biogas-Erzeugung aus Abfall- und Reststoffen erscheint noch ausbaufähig. Biogas kann in einem begrenzten Umfang dazu beitragen, Erdgas in der Wärme- und Stromversorgung zu ersetzen: In Biogas-Kraftwerken, die bisher vor allem Strom erzeugen, kann die dabei entstehende Abwärme besser genutzt werden.
Diese Kraftwerke können auch so ausgebaut werden, dass sie sich besser für die Produktion von knappem Spitzenlast-Strom eignen. Außerdem ließe sich aus Biogas auch noch mehr Methan erzeugen, das in die öffentlichen Gasnetze eingespeist werden kann.
Für den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft gibt es schon zahlreiche erfolgversprechende Initiativen, Pilotprojekte und größere Vorhaben. Sie werden von Wasserstoff-Strategien des Bundes und der Bundesländer begleitet.
Es erscheint möglich, dass die Gaswirtschaft schrittweise von Erdgas auf Wasserstoff umgestellt werden kann. Wie lange dieser Prozess dauern wird, und wie die dabei auftretenden technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen bewältigt werden können, lässt sich derzeit allerdings noch nicht absehen.
Preisexplosion im Energie-Großhandel
Eine besonders schwierige Frage ist derzeit, wie es mit den Energiepreisen weitergeht. In den vergangenen zwei Jahren war zu beobachten, wie grundlegend sich die Situation ändern kann. Im Sommer 2020, als die Coronapandemie zu einer Wirtschaftsflaute und niedrigem Energiebedarf geführt hatte, waren die Erdgaspreise nicht nur im Großhandel sehr niedrig. Auch gut informierte Privatkunden konnten da noch Lieferungen zu bemerkenswert günstigen Tarifen vereinbaren.
Inzwischen haben sich die Gaspreise im Großhandel vervielfacht. Das gilt auch für Endkunden, die neue Verträge abschließen müssen. Ähnlich sieht es bei den Strompreisen aus. Für Wirtschaftsunternehmen, die sich nicht rechtzeitig gegen steigende Energiepreise abgesichert haben, wird die Situation ebenso zunehmend schwierig.
Zu anderen Zeiten wäre jetzt eigentlich zu erwarten gewesen, dass sich die Versorgungssituation und damit auch die Preise bei Erdgas und Strom im Frühjahr und Sommer entspannen würden. Dann wird weniger Erdgas zum Heizen gebraucht, und viel Solarstrom drückt die Strompreise.
Doch in diesen Zeiten ist es so, dass auch in der Energieversorgung viel davon abhängt, wann Putins Russland endlich Frieden in der Ukraine geben will.
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