Streben nach Unabhängigkeit von russischem Erdgas

Angriffskrieg auf Ukraine führt zu Neuausrichtung der Energiepolitik. Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen angestrebt. Energiepreise steigen, Energiewende wird neu ausgerichtet

Russland kann viel Erdgas nach Europa liefern. Doch der Angriffskrieg in der Ukraine hat zu einer Neuausrichtung der Energiepolitik geführt: Sie strebt nun eine möglichst große Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen an. Die Energiepreise steigen weiter, und auch bei der Energiewende zeichnen sich größere Auswirkungen ab.

Russisches Erdgas hatte bisher eine besondere Stellung auf dem deutschen Energiemarkt. Es wurde jahrzehntelang zuverlässig durch lange Leitungen aus den weit entfernten Lagerstätten Sibiriens geliefert. Es war eigentlich immer in ausreichend großen Mengen und zu relativ gut kalkulierbaren Preisen verfügbar. Seine Bedeutung wuchs in den letzten Jahren, weil europäische Lagerstätten zunehmend ausgeschöpft waren. Zuletzt deckte es daher mehr als die Hälfte des deutschen Erdgas-Verbrauchs.

Lange Zeit galt Erdgas als umweltfreundlicher Energieträger, weil es bei der Verbrennung weniger Kohlendioxid freisetzt als Braun- und Steinkohle. Diese Einschätzung hat sich in den vergangenen Jahren etwas geändert: Schließlich kann es aus undichten Förderanlagen, Leitungen und Speichern in die Atmosphäre entweichen. Dann hat Erdgas als Methan eine vielfach größere klimaschädliche Wirkung als Kohlendioxid – egal ob das Erdgas nun aus Russland, Mittelasien, Norwegen oder Nordafrika kommt.

Auch wenn alle Anlagen sehr dicht sind und nur noch sehr wenig Gas in die Atmosphäre entweichen sollte: Auch dann bleibt bei der Verbrennung immer noch ein Kohlendioxid-Ausstoß, der langfristig vermieden werden muss.

Bisher war auch die Vorstellung weit verbreitet, dass Erdgas für eine Übergangszeit ein idealer Partner der erneuerbaren Energien sein könnte: Wenn die großen Solar- und Windparks bei Dunkelflauten nicht mehr ausreichend Strom liefern können, sollten schnell reagierende Gaskraftwerke einspringen. Dann würden die riskanten Atomkraftwerke und die klimaschädlichen Kohlekraftwerke nicht mehr für eine stabile Stromversorgung gebraucht und könnten schrittweise abgeschaltet werden.

Einseitiger Ausbau der Transportwege

Entsprechend dieser Logik wurden die Transportwege für russisches Erdgas ausgebaut, die bis dahin noch durch mehrere Transitländer führten: Mit der Ostseeleitung Nord Stream 1 gab es seit dem Jahr 2011 eine zusätzliche und direkte Verbindung von Russland nach Europa. Nord Stream 2 sollte diesen Transportweg noch erweitern und schon im Jahr 2019 in Betrieb gehen.

Dabei stieß schon die erste Ostseeleitung auf politische Widerstände. Osteuropäische Transitländer befürchteten Nachteile bei Durchleitung und Versorgung. In Deutschland wuchs die Sorge, dass sich die deutsche Energiewirtschaft in eine zu große Abhängigkeit vom russischen Erdgas begeben könnte.

LNG-Terminals und -Tanker (11 Bilder)

LNG-Terminal Ras Laffan in Katar. Bild: Matthew Smith / CC-BY-2.0

Dabei hätte es durchaus eine Möglichkeit gegeben, eine solche Abhängigkeit zu vermeiden: Die deutsche Erdgaswirtschaft dachte schon seit Jahrzehnten darüber nach, eigene Importmöglichkeiten für tiefgekühltes Flüssigerdgas (Englisch: Liquefied Natural Gas, LNG) aufzubauen. Damit wäre es möglich gewesen, Erdgas aus weit entfernten Weltregionen auf dem Seeweg über die Ozeane heranzuschaffen. Allerdings sind diese Überlegungen für den Bau von deutschen LNG-Terminals nie umgesetzt worden.

Für gelegentliche Importe in Zeiten günstiger LNG-Preise reichten die Terminals aus, die es in anderen westeuropäischen Ländern schon gab. Dort konnte das Flüssigerdgas aus den Tankern entladen, regasifiziert und ins gut ausgebaute europäische Leitungsnetz eingespeist werden. Damit wurde es auch in Deutschland verfügbar und ermöglichte zeitweise günstige Gaspreise.

Die schon bestehende Sorge um eine Abhängigkeit von russischem Erdgas verstärkte sich nach der Ukraine-Krise des Jahres 2014. Russland hatte die ukrainische Halbinsel Krim besetzt und unterstützte die sogenannten Volksrepubliken in der Ostukraine dabei, ihre militärischen Auseinandersetzungen mit der ukrainischen Regierung zu führen.

Der Bau von Nord Stream 2 stieß nun auf größere Widerstände, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Osteuropa und den USA. Die Amerikaner verhängten schließlich in der Amtszeit von Präsident Donald Trump sogar Sanktionen gegen den Leitungsbau, der sich dadurch beträchtlich verzögerte. Letzten Endes wurde die Leitung zwar doch noch fertig.

Um in Betrieb gehen zu können, musste sie noch von der Bundesnetzagentur zertifiziert werden. Diese Zertifizierung ist nun gestoppt worden. Inzwischen ist unklar, wie es mit der Leitung weitergeht: Die internationalen Sanktionen gegen Russland haben die Schweizer Betreibergesellschaft dazu veranlasst, ihren 106 Angestellten zu kündigen.

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