Streit um Gaspreisdeckel: Polen kritisiert deutschen Egoismus

EU-Staaten können sich nicht auf gemeinsamen Preisdeckel für Erdgas einigen. Kritik an Deutschlands Alleingang von mehreren Seiten. Bundesregierung nicht bereit, Kosten anderer Länder zu tragen.

Die Heizsaison hat begonnen und in manchen Ländern der Europäischen Union nimmt die Nervosität zu. In Prag gingen am Samstag mehrere Tausend Menschen auf die Straße, und sie forderten staatliche Hilfen gegen Inflation und hohe Energiepreise.

Organisiert wurden die Proteste in der tschechischen Hauptstadt von den Gewerkschaften. "Wir sind nicht gekommen, weil wir nichts zu tun haben, sondern weil wir Angst um unsere Zukunft haben", sagte der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes CMKOS, Josef Stredula, laut Deutscher Presse-Agentur (dpa).

Eine ähnliche Stimmung besteht in Ostdeutschland. In mehreren Städten gingen hier zuletzt etwa 100.000 Menschen auf die Straßen. Auch sie demonstrierten, damit die Bundesregierung die Bürger bei den Energiepreisen entlastet. Die Anmelder der Proteste kamen aus verschiedenen politischen Spektren.

Die liberalkonservative Regierung in Prag hat Notfallmaßnahmen beschlossen, die ab November greifen sollen. Für Haushalte und Kleinabnehmer gibt es dann einen Strom- und Gaspreisdeckel.

Auch in Deutschland soll es den Preisdeckel für Erdgas geben. Einen "Doppelwumms" hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das Entlastungspaket genannt: 200 Milliarden Euro soll es umfassen und auch die Industrie soll mit ihm entlastet werden.

Kritik am deutschen "Doppelwumms"

Innerhalb der Europäischen Union sorgt dieses Paket allerdings für schlechte Stimmung. Viele EU-Länder werfen Deutschland einen Alleingang vor. Sie verweisen darauf, dass nicht alle die finanziellen Mittel für ein solches Paket hätten.

"Die deutsche Wirtschaft ist so groß, dass die Unterstützung, die die deutsche Regierung ihren Unternehmen gibt, den EU-Binnenmarkt verzerren könnte", sagte etwa der lettische Premierminister Krišjānis Kariņš.

Polen warf der Bundesrepublik Egoismus vor, der den EU-Binnenmarkt zerstöre. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki sagte am Freitag beim informellen EU-Gipfel in Prag:

Das reichste Land, das mächtigste Land der EU, versucht, diese Krise zu nutzen, um sich einen Wettbewerbsvorteil für seine Unternehmen auf dem Binnenmarkt zu verschaffen. Das ist nicht fair, so sollte der Binnenmarkt nicht funktionieren.

Morawiecki verwies ebenfalls darauf, dass es sich nicht alle EU-Länder leisten könnten, viel Geld für inländische Subventionen auszugeben. Außerdem könne Deutschland mehr Geld für derzeit knappes Gas ausgeben, andere Länder überbieten und die Preise hochtreiben.

"Es darf nicht sein, dass die Interessen eines Landes, die Interessen Deutschlands, die Preisentwicklung für alle Mitgliedsstaaten bestimmen", schimpfte Morawiecki.

Einheitlicher EU-Preisdeckel für Erdgas

Die Hoffnung der meisten EU-Staaten liegt aufgrund dieser Kontroverse auf der EU-Kommission. In Prag forderte eine Mehrheit der Länder Brüssel auf, eine Obergrenze für den Gaspreis im Großhandel vorzuschlagen.

Doch auch bei der Frage, wie diese Obergrenze umgesetzt werden könnte, sind sich die Länder uneins: Manche lehnen sie komplett ab, einige zögern und andere haben verschiedene Vorstellungen.

Deutschland, Dänemark und die Niederlande lehnen sie ab. Sie befürchten, dass es schwieriger werden wird, Erdgas auf den Märkten kaufen zu können. Zudem, so die Befürchtung, könnte durch sie der Anreiz verringert werden, den Verbrauch zu drosseln.

Mit dem ersten Punkt könnten sie recht behalten. Norwegen etwa dürfte ein solches Einkaufskartell nicht unterstützen, denn das Land hat seine Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, nur zu Preisen zu verkaufen, die am Markt üblich sind.

Es ist auch wahrscheinlich, dass die USA einen Preisdeckel auf Erdgas in der EU nicht unterstützen werden. US-Konzerne berechnen inzwischen für die Lieferungen von Flüssigerdgas (LNG) das Doppelte von dem, was sie noch vor Monaten haben wollten.

Der Vorstandsvorsitzende des Energiekonzerns Tellurian, Charif Souki, berief sich laut Business Insider auf die Inflation, die die Kosten in die Höhe getrieben hätte. "Aus diesem Grund gehören die Tage, in denen Gas für 4 bis 5 Dollar auf dem Wasser bekommen konnte, der Vergangenheit an", sagte er. "Wir müssen in Dimensionen von zehn bis zwölf Dollar denken."

"Mondpreise" nannte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diese Preise und forderte Solidarität von den befreundeten Staaten ein. Es bleibt abzuwarten, was im Kapitalismus obsiegen wird: Geschäft oder Solidarität.

Teure Subventionen

Eine andere Möglichkeit, den Preis auf EU-Ebene zu deckeln, wäre, das am Markt gekaufte Erdgas zu subventionierten Preisen an die Verbraucher weiterzugeben. Diese Variante ist bei einigen EU-Ländern populär, weil ihre Haushalte dadurch entlastet würden.

Starke Schultern könnten dann eine größere Last tragen, was allerdings die Bundesrepublik bislang ablehnt. Die Bundesregierung befürchtet, heißt es im Handelsblatt, dann einen besonders großen Anteil in den EU-Subventionstopf einzahlen zu müssen.

Diese Variante ist keine billige, wie eine aktuelle Studie der Denkfabrik Bruegel zeigt. Die Regierungen Europas haben demnach bislang fast 500 Milliarden Euro bereitgestellt, um Bürger und Unternehmen vor steigenden Energiepreisen zu schützen.

Demnach haben die 27 EU-Staaten zusammen 314 Milliarden Euro dafür ausgegeben, Großbritannien 178 Milliarden Euro. Zählt man noch die Summen dazu, die für Verstaatlichung, Rettung und Kreditvergabe an Not leidende Energieversorger bereitgestellt wurden, dann kommen die EU-Regierungen auf fast 450 Milliarden Euro.

Deutschland hat demnach mit 100 Milliarden Euro den größten Teil dieser Summe beigesteuert; Italien kam auf 59 Milliarden Euro und Estland etwa auf 200 Millionen Euro.

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