Streit um Softwarepatente erreicht die deutsche Politik

Die Einführung eines Patentschutzes für Algorithmen gefährdet Open-Source-Projekte

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Auch in Europa sollen Softwareprogramme bald patentfähig werden, doch gerade der Open-Source-Szene könnte damit das Aus drohen. Das Bundeswirtschaftsministerium sieht seine Ziele zur Förderung der Sicherheit im Internet durch Freie Software dadurch in Gefahr geraten.

Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) hält Open-Source-Software wegen ihrer Überprüfbarkeit auf Hintertüren oder sonstige Bugs für ein "wichtiges Element im Rahmen einer sicheren Informationstechnologie" und fördert seit Herbst die Entwicklung von GnuPG aus der Bundeskasse (Bundesregierung fördert Open Source). Gerade die "Störungen der Datennetze" in den letzten Wochen wie etwa durch die Attacke des Liebesvirus hätten die Bedeutung "sicherer" Softwareprodukte unterstrichen.

Noch bedienen sich Behörden in Bund und Ländern allerdings weiterhin vor allem aus dem "Select-Vertrag" mit Microsoft, der verbilligte Windowslizenzen für deutsche Amtsstuben bereitstellt. Ob die bis Frühjahr 2001 laufende Vereinbarung allerdings auch nach dem Wüten des Love Bugs im Innenministerium verlängert wird, ist fraglich. Selbst Bundesinnenminister Otto Schily kamen nach der Virenattacke schließlich Bedenken, ob die MS-Monostrukturen wirklich das Beste für sein Haus sind.

Die Open-Source-"Bewegung" im Bundeswirtschaftsministerium macht sich seit kurzem aber vor allem Sorgen über eine Unterwanderung ihrer Vorhaben durch die von den Patentämtern und der EU-Kommission vorangetriebene Patentpolitik. Patente sind schließlich ein Killer für die Entstehung von Freier Software, wie zumindest Richard Stallman nicht müde wird zu warnen. In den USA können Firmen jedoch bereits seit Jahren Software und sogar allgemeine Geschäftsmethoden patentrechtlich schützen lassen. Europa soll nach dem Willen zahlreicher Politiker nun nachziehen. Die Pläne werden von vielen Patentanwälten sowie den Chefs der europäischen Patentämter befürwortet. Die EU-Kommission wird den Vorschlag zu einer entsprechenden Richtlinie voraussichtlich im Juli präsentieren.

In Deutschland wird die Kritik an einer Einführung von Softwarepatenten derweil lauter. Die Gegner der Pläne der Kommission befürchten eine Ablösung des eigentlich als Innovationsmotor gedachten Patentrechts von seinen ursprünglichen Zielen und warnen vor einer Behinderung des Wettbewerbs. Die Angst vor einer Zunahme an patentgeschützter Software geht in der Open-Source-Szene um, da die in der Regel in Teamarbeit in ihrer Freizeit an frei verfügbarer Software schreibenden Programmierer Lizenzen für den oftmals unvermeidlichen Einbau fremder Codezeilen nicht bezahlen können. Ist eine Software oder ein Algorithmus daraus nämlich patentgeschützt, können die Inhaber des Schutzrechts Gebühren für die Nutzung des Codes durch Dritte verlangen. Das Bundeswirtschaftsministerium lud nun am Donnerstag rund 150 Experten und Programmautoren zu einer Anhörung nach Berlin.

"Alle Beteiligten sollten uns erst mal sagen, wo der Schuh drückt", erläuterte Swantje Weber-Cludius, Referentin für Patentpolitik im BWMi, die Ziele des Treffens. Noch gebe es auf allen Seiten große Unklarheiten rund um den Sinn und Unsinn von Softwarepatenten. Das Ministerium müsse sich selbst noch eine Meinung zu dem Sachverhalt bilden. In einer Pressemitteilung warf das BMWi aber schon mal die Frage auf, ob "Software als ‚Grundstruktur' der neuen globalen Wissensgesellschaften als Allgemeingut - und damit nicht monopolisierbar - verstanden werden" müsse.

Patentbefreiung für Open Source oder Open Patents License?

Die Entwickler von Open-Source-Software fürchten, dass ihre Arbeit mit der Einführung der Patentfähigkeit von Computer-Applikationen zum Lauf über ein Minenfeld wird. "Es ist für einen unabhängigen Programmierer praktisch unmöglich, alle Patente zu recherchieren, die im Code auftauchen könnten", berichtete Peter Gerwinski. Der Entwickler aus Essen schätzt, dass angesichts der im Programmieralltag gängigen Übernahme von fremden Algorithmen in Applikationen bei 100.000 Zeilen Quelltext bis zu 1000 Patentverletzungen auftreten würden.

Daniel Riek vom Linux-Verband LIVE sieht zudem auch die Verbraucher, die Open-Source-Software einsetzen wollen, vor wachsende Probleme gestellt: das frei verfügbare GnuPG sei beispielsweise inkompatibel zu dem sich als Standard im Bereich Verschlüsselungs-Software etablierten PGP. Das liege daran, dass PGP patentgeschützte Krypto-Algorithmen verwende, während die Entwickler von GnuPG die dafür nötigen Lizenzen nicht zahlen könnten. Die Idee hinter dem Open-Source-Programm sei aber auch gewesen, gerade eine nicht von Patentansprüchen belastete Software zu kreieren.

Riek fordert daher, dass in Open-Source-Software grundsätzlich alle vorhandenen Algorithmen eingebaut werden dürfen, unabhängig von eventuell bestehenden Patentrechten: "Open Source fördert den Fortschritt viel mehr als der Patentschutz, da der gesamte Quellcode offengelegt wird und von jedem weiter verwendet werden kann."

Einen anderen interessanten Weg zur Lösung des Patentdilemmas stellte Robert Gehring, Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Internet Governance an der TU Berlin, auf dem Patenttag im BMWi vor. Der Berliner Ansatz greift letztlich Stallmans Idee vom Copyleft auf, durch die das Copyright letztlich mit den eigenen Waffen ad absurdum geführt und sichergestellt wird, dass in Programme, Texte oder andere kreative Werke gegossenes Wissen für die Allgemeinheit verfügbar bleibt. Gehrings Entwurf einer "Open Patents License" sieht nun vor, dass Patente, die unter dieser Lizenz stehen, für kommerzielle Zwecke gegen eine symbolische Gebühr von einem Dollar für private und öffentliche Zwecke nutzbar sein sollen. Wie bei Stallmans Gnu Public License soll sich ein Lizenznehmer außerdem dazu verpflichten, jedem zu gleichen Bedingungen Zugang zu seinen Patenten zu verschaffen.

Die Realität: Softwarepatente durch die Hintertür

Für Wolfgang Tauchert, Leiter der Abteilung für Datenverarbeitung beim Deutschen Patent- und Markenamt in München, sind solche Vorschläge weit weg von der Realität. Er kann sich zwar vorstellen, dass für den Open-Source-Bereich eventuell andere Anreize und "Prämien" geschaffen werden als Patente. Insgesamt glaubt er aber, dass sich die deutschen Programmierer an "die Spielregeln des internationalen Wirtschaftslebens" und damit an Softwarepatente gewöhnen müssten. Das erfordere schon das Nachkommen von Verpflichtungen aus dem im Rahmen der Welthandelsorganisation abgeschlossenen TRIPS-Abkommen, wo "Patentschutz für alle Gebiete der Technik vorgeschrieben" wird. Im Prinzip seien zudem schon heute "programmbezogene Erfindungen patentfähig, wenn sie einen technischen Beitrag zum Stand der Technik leisten." Nur "Computerprogrammen als solchen" sei bisher der Patentschutz ausdrücklich verwehrt.

Firmen wie Siemens nutzen diese "Gesetzeslücken" bereits seit längerem "Wir haben schon vor 15 Jahren die Funktionsweise einer Telekommunikationslage patentlich schützen lassen", sagt Peter Zedlitz. Der Patentanwalt des Münchner Konzerns sieht in Algorithmen Lösungen für technische Problemstellungen. Würden die Verfahrensschritte in der Anpassung von Software für Anwendungszwecke einzeln aufgeführt, seien diese schon heute durch Patente zu schützen. Siemens Patentabteilung spuckt fast täglich Patentanträge aus und gehört damit ähnlich wie IBM zu den Großen im Geschäft mit dem intellektuellen Eigentum. "90 Prozent unseres Patentschutzes liegen auf der Softwareebene", erläutert Zedlitz. "Wenn wir die aufgeben müssten, könnten wir dicht machen."

Sind Amerikanische Verhältnisse noch zu vermeiden?

In den USA steigt die Zahl der Patentanmeldungen bereits in schwindelerregende Höhen. "1999 wurden 20.000 Patente vergeben", sagt Greg Aharonian, ein Informatiker und Patentprüfer aus San Francisco, der diese Entwicklung sorgenvoll beobachtet. Da die Patentämter jenseits des Atlantiks sich der Flut der Anträge kaum noch erwehren könnten, würden immer mehr Schutzrechte von "zweifelhafter Qualität" ausgegeben. Firmen nutzten die Patente dann zum Kampf gegen Konkurrenten: Für 150 Dollar könnten sie einen Wettbewerber wegen Verstoß gegen das eigene Patent verklagen, auch wenn dieses zu Unrecht gewährt worden sei.

Die vor Gericht Zitierten stünden dann vor der Alternative, "Zehn- oder sogar Hunderttausende von Dollar" zur Widerlegung der Patentansprüche auszugeben oder zähneknirschend Lizenzgebühren zu bezahlen. "Rund um das Patentrecht ist eine ganze Industrie entstanden", empört sich Aharonian. Selbst Versicherungsfirmen würden inzwischen teure Policen gegen Patentklagen anbieten.

Auch die bereits seit etwas länger im Geschäft stehenden Internetfirmen haben inzwischen gelernt, Patente im zeitkritischen E-Commerce-Geschäft einzusetzen, um der ungeliebten Konkurrenz und vor allem "Frischlingen", die weder Zeit, Geld, noch die Ressourcen für den Aufbau einer Patentabteilung haben, Steine in den Weg zu legen. So erhebt Priceline.com beispielsweise einen Patentanspruch auf sein gesamtes Geschäftsmodell und anderen Auktionshäuser damit das Leben schwer macht. Wellen schlug zudem der Streit Amazon.com versus BarnesandNobles.com um das "1-Click-Shopping" (Etwas ist faul mit dem Patentwesen).

Selbst die Befürworter der Einführung von Softwarepatenten in Europa sind daher der Auffassung, dass "amerikanische Verhältnisse" zu vermeiden sind. Soweit werde es auf dem alten Kontinent aber auch nicht kommen, ist sich Markus Hössle sicher. Der Stuttgarter Patentanwalt hält das amerikanische Patentrecht für "veraltet", da ihm das bei europäischen Patentämtern obligatorische Einspruchsverfahren fehle. Zudem müsste in Europa jedes angemeldete Patent auch veröffentlicht werden, um den "Stand der Technik" allen Interessierten zu demonstrieren. Das sei in den USA nicht immer der Fall.