Streit um die Nordwestpassage
Kanada fordert Anerkennung des Seewegs als nationales Gewässer und will die Arktis militarisieren, USA bestehen jedoch auf freie Durchfahrt
Obwohl die neue kanadische Regierung unter Premierminister Stephen Harper (Konservative siegen in Kanada) das Verhältnis zu den USA verbessern wollte, wird der Ton zwischen den Nachbarn nun schärfer. Bis jetzt konnten sich die USA und Kanada nicht über den Status der Nordwestpassage einigen.
Es war ein friedlicher, wenn auch eiskalter Tag im vergangenen November. Keine Unwetterwarnungen, keine Aufsehen erregende Robbenjagd, keine ungewöhnlichen Vorkommnisse an Kanadas Nordküste. Bis es dann passiert sein muss: Ein über hundert Meter langer, 300 Tonnen schwerer Koloss taucht aus dem Meer auf, vermutlich nur für kurze Zeit, um dann seine Fahrt unter Wasser fortzusetzen.
Ein unbekannt gebliebener Fischer wird dann schnell den Weg in die nächste Stadt angetreten haben, um die Behörden anzurufen und seine Beobachtung zu schildern. Anders hätte die kanadische Regierung in Ottawa vermutlich nie erfahren, dass die USS Charlotte, ein Atom-U-Boot der US-Marine, direkt an der kanadischen Küste patrouillierte. Denn seit Jahren heißt es, die kanadische Auslandsaufklärung sei praktisch nicht vorhanden und Kanada auf die Informationen befreundeter Geheimdienste angewiesen. Bisher waren dass vor allem die Nachrichtendienste des Nachbarn und Handelspartners Nummer 1 - den USA.
Doch Washington nimmt derzeit wenig Rücksicht auf kanadische Befindlichkeiten. Der von der US-Marine ungefragt genutzte Seeweg ist die Nordwestpassage. Die Schifffahrtsroute zwischen nordkanadischen Inseln hindurch verbindet den Atlantik mit dem Pazifik. Kanada fordert seit Jahren die Anerkennung der Meeresstraße als nationales Gewässer und stößt auf stärker werdenden Widerstand. Die Strecke durch das Nordpolarmeer ist 5.800 Kilometer lang und verkürzt den Weg von Europa nach Ostasien gegenüber der traditionellen Route durch den zentralamerikanischen Panamakanal um 4.000 Kilometer. Als internationale Gewässer gelten völkerrechtlich nur Meeresteile, die außerhalb der 12-Seemeilen-Zone zum Festland liegen und keinem Staatsgebiet zugeordnet werden. Das ist im Falle der Nordwestpassage umstritten.
„Wir erkennen Kanadas Anspruch auf diese Gewässer nicht an, die meisten anderen Länder tun das ebenfalls nicht“, erklärte David Wilkins, der US-Botschafter in Ottawa. Damit hat er Recht, denn den Weg durch die kanadisch-arktische Inselgruppe nutzen nicht nur US-amerikanische, sondern auch dänische, russische und britische Schiffe seit Jahrzehnten. Dem unkontrollierten internationalen Verkehr an seiner Nordküste will Kanada nun ein Ende setzen. Schon im Sommer letzten Jahres hissten kanadische Soldaten die Nationalfahne mit dem Ahornblatt auf der Insel Hans. Das Eiland ist ein unbewohntes und völlig vegetationsloses Atoll von etwa 1,3 Quadratkilometer Größe. Die Insel wird sowohl von Dänemark, zudem das nahe Grönland gehört, als auch von Kanada beansprucht. Als 1973 die Grenzen zwischen Grönland und Kanada vereinbart wurden, hatte man die Insel aus guten Gründen ausgenommen. Die strategischen Interessen beider Länder begründen sich im globalen Klimawandel. Derzeit ist die Insel den größten Teil des Jahres von Eis eingeschlossen, aber auf Grund der Erderwärmung ist wahrscheinlich, dass um die Insel herum zukünftig Fischfang und die Suche nach Erdöl möglich ist (Verteidigung des Reiches). Nachdem beide Staaten schon Kriegsschiffe losgeschickt hatten, einigten sich Kanada und Dänemark letzten September dann doch auf eine gemeinsame Verwaltung der Insel.
Aufgrund der klimatischen Bedingungen ist auch die Nordwestpassage derzeit nur schwer befahrbar. Experten rechnen wegen der globalen Erderwärmung aber damit, dass sie in den nächsten Jahren länger eisfrei bleiben wird. Damit wächst die strategische Bedeutung der Route für Öltanker und Industriegütertransporte. Das rief die Erdölnation Kanada auf den Plan. „Es ist die kanadische Bevölkerung, von der wir unser Mandat bekommen, nicht der US-Botschafter“, erklärte Kanadas Premier Harper in Richtung Washington ungewöhnlich direkt. Die Nordwestpassage sei kanadisches Gebiet, befreundete Staaten dürften sie aber gerne benutzen, hieß es angesichts der isolierten Position Kanadas später etwas kompromissbereiter.
Nun kündigte die kanadische Regierung an, fast vier Milliarden Euro für die Militarisierung der Arktis auszugeben. Einer eigenständigen militärischen Sicherung des hohen Nordens durch Kanada stehen die USA skeptisch gegenüber. Bürgerrechtsgruppen befürchten außerdem, dass sich dadurch die Lebensbedingungen der mehr als eine Millionen nordkanadischen Ureinwohner weiter verschlechtern würden. Noch im Wahlkampf im vergangenen Januar wurde Harper vorgeworfen, er treibe die „Amerikanisierung“ Kanadas voran. Tatsächlich fing Harpers Amtszeit aus Sicht der US-Regierung unter Präsident George W. Bush recht viel versprechend an: Einen Beitritt zum US-Raketenabwehrsystem schloss Harper nicht mehr aus. Zuvor hat sich Kanada dem Rüstungsprojekt verweigert. Seit sich Ottawa gegen einen Angriff auf den Irak ausgesprochen hatte, waren die Beziehungen zu Washington gespannt.