Stringtheorie und inflationäres Universum: Da geht noch nichts zusammen
Wie berechnet man Voraussagen für gängige kosmologische Parameter, wenn man von einer 10-dimensionalen Stringtheorie ausgeht? Bisher noch gar nicht
Ein Team von Physikern unter Leitung von Mark P. Hertzberg vom Massachusetts Institute of Technology veröffentlichte eine Studie über ihren Versuch, die Inflationstheorie mit Hilfe der Stringtheorie nachzuvollziehen. Die Inflationstheorie ist das gängige Paradigma der theoretischen Physik; sie nimmt an, dass sich das Universum in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall mit einer ungeheuren Geschwindigkeit ausgedehnt hat, ehe es sich zu einer moderaten Expansionsrate verlangsamte, wie wir sie heute beobachten können.
Die Forscher analysierten drei zeitgenössische Versionen der Stringtheorie und kamen zu dem Schluss, dass die weithin angenommene Inflation mit ihrer Hilfe nicht zu finden ist. Mehr noch: Selbst wenn man stringtheoretisch eine unendliche Menge an möglichen Vacua annimmt, um die Ausgangssituation zu beschreiben, kann die Stringtheorie nicht garantieren, dass es eine Teilmenge gibt, die sich inflationär verhält.
"Die Tatsache, dass es so schwierig ist, Inflations- und Stringtheorie zu kombinieren, halte ich für hochinteressant", kommentiert Paul Steinhardt von der Princeton University in New Jersey, US, den Sachverhalt in der Zeitschrift New Scientist. Steinhard, ein Pionier der Inflationstheorie, sieht die neue Studie in Übereinstimmung mit Resultaten, zu denen sowohl er als auch andere Forscher gekommen sind. "Das könnte bedeuten, dass die beiden Theorien vollkommen inkompatibel sind, was uns zwingen würde, ein von ihnen aufzugeben." Doch welche sollte das sein?
Das Problem der Stringtheorie: Niemand ist in der Lage, die Größenordnungen von Energie, bei denen die Theorie relevant wird, überhaupt zu messen, geschweige denn, sie zu erzeugen, um damit experimentieren zu können. Die Energie, die ein Teilchenbeschleuniger brauchen würde, mit dem theoretisch Experimente zur integrierten Messung aller theoriegebräuchlicher Typen von Fundamentalteilchen - Gluonen, Photonen, W- und Z-Bosonen und Gravitonen - möglich wären, stünde bestenfalls zur Verfügung, wenn man die Sonne direkt anzapfen könnte. Dafür bedürfte es einer Zivilisation vom Typ 2 auf der Kardaschow-Skala: Eines Zivilisationstypus, dem die Energie eines ganzen Sonnensystems zur Verfügung steht. Da die Menschheit bisher selbst die auf dem Planeten Erde vorhandene Energie nur teilweise ausnutzen kann, ist sie momentan noch damit beschäftigt, zum offiziellen Zivilisationstypus 1 aufzusteigen.
Geforscht wird trotzdem. Immer empfindlichere Instrumente zur Messung von großräumigen kosmologischen Phänomenen und immer stärkere Teilchenbeschleuniger könnten durchaus zu handfesten empirischen Informationen bezüglich bestimmter der ungezählten Versionen der Stringtheorie führen. Als Filter funktionieren die Experimente jetzt schon: Reihenweise werden Theorievarianten aussortiert, weil ihre Voraussetzungen nicht zu den gemessenen Daten passen. Auf der Basis von Versuchen werden die Grenzen von Theorien ermittelt - und solange das so läuft, ist die moderne Physik eben noch eine Wissenschaft und keine Religion, wie Stringtheorie-Gegner meinen. So zumindest ist die Ansicht einer aktiven und lautstarken Gruppe von theoretischen Physikern, die darauf bestehen, dass die Stringtheorie irgendwann einmal zu einer experimentell verifizierbaren Großtheorie des Universums entwickelt werden kann.
Dem gegenüber steht allerdings eine wachsende Zahl von Forschern, die die Stringtheorie für eine evolutionäre Sackgasse der theoretischen Physik halten. Die Kritiker werfen den Stringtheoretikern vor, seit mehr als drei Jahrzehnten die Masse der Forschungsgelder auf dem Gebiet der theoretischen Physik zu kassieren, ohne auch nur eine experimentell verifizierbare Voraussage getroffen zu haben. Schlimmer noch: Statt die eigenen Kern-Konzepte zu beweisen, würden sie ihre unausgegorenen Theorien auch noch auf andere Felder der physikalischen Forschung auszudehen versuchen, um dort weitere Mittel abzuräumen.
Die Zahl der Physiker, die derzeit bereit wären, zugunsten der Stringtheorie auf die Annahme eines inflationären Universums zu verzichten, dürfte jedenfalls überschaubar sein: Bei den seit bisher drei Jahren laufenden Temperaturmessungen der kosmischen Hintergrund-Strahlung durch die WMAP-Raumsonde decken sich die bisher erfassten Daten mit den grundsätzlichen Voraussagen der Inflationstheorie, was deren Ansehen in letzter Zeit deutlich gestärkt hat.
Die Autoren der kontroversen neuen Studie legen allerdings Wert auf die Feststellung, dass die Möglichkeit der Produktion von inflationären Ergebnissen mit Hilfe der Stringtheorie durch ihre Arbeit noch nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist: Sie haben sich vorerst nur mit den einfachsten Versionen der Stringtheorie befasst, die eine Kompaktifizierung der "überzähligen" Dimensionen in Donut- beziehungsweise Torus-Form postulieren.
Andere Spezialisten für Inflation, wie Andrei Linde von der Stanford University in Kalifornien, äußerten sich kritisch, weil die getesteten Theorien alle zur Stringtheorie-Klasse 2a gehörten, die das Phänomen der "dunklen Energie" nicht berücksichtigt: "Warum sollte man sich überhaupt bemühen, die Inflation in einer Theorie zu beschreiben, die das Universum gar nicht darstellen kann?" Doch Max Tegmark, Coautor der Studie, widerspricht: Verbesserte Modelle der 2a-Theorien könnten durchaus auch die Dunkle-Energie-These unterstützen.
Das Ziel der Stringtheorie ist nicht nur eine Vereinbarung der Quantenmechanik mit der allgemeinen Relativitätstheorie, sondern darüber hinaus die Erklärung des gesamten Spektrums von Partikeln und Kräften, die in der Natur zu beobachten sind.