Strukturwandel in der Schweinemast
Mehr Tierwohl und faire Preise für Lebensmittel forderte kürzlich Agrarminister Özdemir. Dauerniedrigpreise gefährden immer öfter die Existenzen von Schweinehaltern
Vor einigen Monaten standen im Stall der Familie Weber in Lissendorf in Rheinland-Pfalz noch 250 Zuchtsauen und 700 Mastschweine. Pro Jahr mästete die Familie 250 Ferkel. Im Dezember 2021 ferkelten die letzten 20 Sauen ab. Im März will die Familie ihren Betrieb aufgeben. Zuletzt habe er 4000 Euro pro Woche verloren, klagt Marco Weber. Für ein ausgewachsenes Mastschwein bekäme er nur noch 114 Euro - ein Verlust von 60 Euro pro Tier.
Ein Ferkel, für das er früher 70 Euro bekam, wird er nur noch für 22 Euro los. Gerne hätte der Schweinehalter in eine tiergerechtere Haltung investiert, um die Einstufung seines Fleisches in eine bessere Haltungsform zu erreichen. Doch dafür hätten sie erneut etwa 2,2 Millionen Euro investieren müssen. Dies jedoch gehe nur mit deutlich höheren Preisen.
Mit ihrem Problem steht Familie Weber nicht alleine da. Laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft lag der Preis pro Kilo Schweinefleisch im November bei knapp 1,20 Euro. Bei einem Schwein mit 120 Kilo Lebendgewicht werden für 95 Kilo Schlachtgewicht demnach 114 Euro gezahlt.
Davon abgezogen werden die Kosten für das Futter, das mit rund 80 Euro zu Buche schlägt sowie der Ferkeleinkauf mit 30 Euro, inklusive zehn Euro für die Impfung und diverse Zuschläge. Weitere fünf Euro gehen an Tierarzt, Strom, Wasser und Versicherungen. Unter dem Strich bleibt eine schwarze Null - wenn der Mäster Glück hat.
Doch die meisten Betriebe haben darüber hinaus Kredite für den Stallbau zurückzuzahlen, Mitarbeiter zu entlohnen, Reparaturen und Steuern zu zahlen. Zudem sind die Ställe nicht bei jedem Mastdurchgang optimal ausgelastet , die Tiere nehmen unterschiedlich schnell zu. Manchmal sind auch Tierverluste zu beklagen.
Hinzu kommen enorme Preisschwankungen für Ferkel, Futtermittel und Verkaufspreise. 2020 zum Beispiel lag der Auszahlungspreis für schlachtreife Schweine zwischen 1,27 und 2,0 Euro pro Kilo Schlachtgewicht. Ein Jahr später fielen die Preise auf einen Tiefststand von 1,20 Euro pro Kilo. Der Ferkelpreis schwankte zwischen 18 bis 80 Euro.
Das Risiko bleibt am Mäster hängen. Kann der Betrieb seine Ferkel zum günstigen Preis einkaufen und fällt der Verkauf in eine Hochpreisphase, erzielt er unter Umständen Überschüsse. Im ungünstigsten Fall ist der Ferkelpreis sehr hoch und der Auszahlungspreis für das schlachtreife Schwein niedrig. Das zuletzt genannte Szenario war in den letzten Monaten eher Normalzustand.
Die Hälfte der deutschen Schweinehalter will aufgeben
Laut Statista nahm die Zahl der Betriebe mit Schweinehaltung in Deutschland seit 1950 stetig ab. Gab es im Jahr 2000 noch rund 123.500 Betriebe, so war deren Zahl im Jahr 2021 auf 19.800 gesunken. Insgesamt sank die Zahl der Schweine um vier Millionen während der letzten zehn Jahre. 2020 wurden hierzulande rund 25,4 Millionen Schweine in landwirtschaftlichen Betrieben gehalten.
Auf den verbliebenen Mastbetrieben hingegen nahm die Tierzahl kontinuierlich zu. Nach dem Prinzip "Wachse oder weiche" stocken die übrig gebliebenen Betriebe die Bestände auf. So hat sich die durchschnittliche Anzahl der Schweine pro Betrieb von 300 im Jahr 2005 auf 1.247 Tiere im Jahr 2020 vervierfacht. Dabei gab es erhebliche regionale Unterschiede: In Westdeutschland hielt jeder Betrieb im Schnitt 562 Mastschweine, auf ostdeutschen Betrieben waren es mit rund 2000 Schweinen fast viermal so viele.
Die Hälfte der deutschen Schweinehalter will den Betrieb aufgeben. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Interessengemeinschaft deutscher Schweinezüchter (ISN). Bei den Sauenhaltern wollen 60 Prozent aussteigen, bei den Schweinmästern 40 Prozent. Nur sechs Prozent der Sauenhalter sowie acht Prozent aller Mäster können sich vorstellen, ihre Produktion auszuweiten. Jeder sechste Betriebsleiter gab an, der Ausstieg sei sehr konkret und bereits eingeleitet. In Süddeutschland wollen besonders viele Schweinehalter aufgeben. Besonders deutlich reduziert sich die Zahl der Zuchtsauenhalter.
Starke Preisschwankungen, fehlende Planungssicherheit und wenig politischer Rückhalt - diese drei Hauptgründe zwingen immer mehr Schweinemäster in die Knie. Aus diesem Grund verlangt Torsten Staack, Geschäftsführer der ISN, mehr Planungssicherheit und neue Perspektiven für die Schweinehalter.
Ende Dezember forderte er Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) dazu auf, seinen Äußerungen zum geplanten Umbau der Tierhaltung schnell Taten folgen zu lassen. Denn je länger sich die Umsetzung hinziehe, umso mehr Betriebe steigen aus, so seine Befürchtung. Immer weniger Landwirte seien überhaupt in der Lage, die Anforderungen für einen Umbau zu erfüllen.
Özdemir stehe nun vor der Aufgabe, verschiedene Interessen zu einem tragfähigen Konzept zusammenzufügen, erklärt Staack und meint die unterschiedlichen Interessen der Bundesministerien für Landwirtschaft, für Umwelt sowie das Ministerium für Wohnen und Bauen.
Zwar sei viel über die Umgestaltung der Schweinehaltung diskutiert worden. Doch die verschiedenen Parteien und Ministerien hätten sich nur gegenseitig Sand ins Getriebe gestreut, klagt auch Heinrich Dierkes. Der ISN-Vorsitzende fordert ein schlüssiges, umsetzbares Gesamtkonzept mit entsprechender Finanzierung und transparenter Kennzeichnung der Haltungsform und Herkunft auf allen Produkten. Ansonsten drohe der Exodus der bäuerlichen Betriebe. Dierkes befürchtet starke Strukturbrüche mit bis zu 30 Prozent weniger Sauen und Mastschweinen.
Dauerniedrigpreise treiben Bauernhöfe in den Ruin
Ramschpreise verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima, klagte kürzlich Cem Özdemir. Der Agrarminister verlangt bestimmte Vorgaben für die Produktion, die zu mehr Tier- und Klimaschutz und zu steigenden Preisen führen. Mit entsprechender Investitionsförderung sollen gute Haltungsbedingungen belohnt werden.
Laut Koalitionsvertrag soll ein durch Marktteilnehmer getragenes System entwickelt werden. Mit den Einnahmen sollen laufende Kosten und Investitionen gefördert werden. Geplant ist zudem eine verbindliche Tierwohlkennzeichnung, die es Konsumenten ermöglicht, selbst zu entscheiden, wieviel sie für Tierwohl ausgeben wollen - verbunden mit einer Abgabe für die Verbraucher, mit der die höheren Kosten für eine artgerechtere Haltung finanziert werden können.
Die bisherige freiwillige Tierwohlkennzeichnung war von Verbraucherschützern zuletzt als zu lasch und als zu wenig transparent kritisiert worden. Dadurch habe sich die Transparenz im Fleischmarkt in den letzten Jahrzehnten keineswegs verbessert, lautet die Kritik. Im Gegenteil: Trotz oder vielleicht auch wegen der zahlreichen, immer neuen Labels haben Verbraucher kaum Möglichkeiten, Fleisch von tatsächlich höherer Produktqualität zu erkennen.
Eine wachsende Zahl von Labeln sorge eher für Verwirrung als für Durchblick. Zudem werden Fleisch und Wurst ständig in Sonderpreisaktionen angeboten. Werbebotschaften suggerieren den Verbrauchern, dass selbst billige Discounterprodukte "beste Qualität", "maximalen Fleischgenuss" und "tiergerechte Haltung" bieten. Immer wieder zeigten Skandale, dass auch teure Marken und Prüfsiegelprogramme Missstände in der Tierhaltung nicht ausschließen können.
Wie wirken sich Importe und Exporte auf die deutsche Tierhaltung aus?
Der europäische Fleischmarkt ist reichlich mit Schweinefleisch versorgt. Einerseits ist die Nachfrage innerhalb von Europa eher verhalten, andererseits sind die Schlachtkapazitäten wegen fehlender Arbeitskräfte begrenzt. Deshalb lassen sich schlachtreife Schweine nur mit leichten zeitlichen Verzögerungen vermarkten. Vor kurzem war der Export nach China wegen der abgestürzten chinesischen Preise ins Stocken geraten.
In Folge dessen gingen in Spanien die Fleischpreise in den Keller. Gleichzeitig drückte die sinkende Nachfrage im Inland den Schweinepreis auf einem extrem niedriges Niveau. Werde das für den Export bestimmte Fleisch zurück auf den deutschen Markt gedrängt, könne dies die Preisspirale nach unten erneut in Gang setzen, befürchten Agrarexperten.
Aufgrund der höheren Produktionskosten werde man ein Stück weit vom internationalen Markt abgehängt, räumt Udo Hemmerling vom Deutschen Bauernverband ein. Allerdings werden bestimmte Teilstücke von Tieren, die in Deutschland wenig gefragt seien, wohl auch künftig ins Ausland exportiert, auch wenn keine höheren Preise gezahlt werden. Die zusätzlichen Kosten für das Tierwohl müssten daher von heimischen Verbrauchern finanziert werden.
Und was Fleischimporte betrifft: Wenn sich Lebensmittelkonzerne und Gastronomie freiwillig darauf verständigen würden, nur noch Fleisch einer bestimmten Haltungsstufe zu kaufen, könnte man die Preiskonkurrenz von Billigimporten vermeiden, glaubt Agrarwissenschaftler Peter Feindt. Allerdings seien Lebensmittel in Deutschland bereits heute billiger als in anderen europäischen Ländern, erklärt der Professor für Agrar- und Ernährungspolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Aus diesen Ländern könne gar nicht mehr billiger importiert werden.
Neue Vermarktungswege für Bioprodukte
Viele Bauern würden gerne auf Bio umstellen, wenn sichergestellt wäre, dass sie dann ihre Produkte loswerden. Eine Möglichkeit wäre, öffentliche Einrichtungen wie Kantinen mit Lebensmitteln aus biologischem bzw. regionalem Anbau zu beliefern. Zwar steigt die Nachfrage nach Bioprodukten, leider aber noch nicht in dem erforderlichen Tempo, bedauert Udo Hemmerling.
So beherrschen Lidl, Aldi, Rewe und Edeka derzeit 70 Prozent des Lebensmittelmarktes. Die Discounter üben Druck auf die Landwirte aus, damit sie immer billiger produzieren. So kostet ein Kilo konventionelles Hackfleisch etwa fünf Euro, in Bioqualität kostet es doppelt so viel. Allerdings spielt auch der Weltmarkt eine korrigierende Rolle.
Dass die Preise für Milch, Getreide und Raps zuletzt global gestiegen sind, mache sich auch in Deutschland bemerkbar. Zudem soll die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette, die im Mai in deutsches Recht überführt wurde, unlautere Praktiken verhindern, wie etwa den Zwang, dass Erzeuger verderbliche Produkte zurücknehmen, die im Handel nicht verkauft werden konnten.
Wie weit die Preise steigen, hängt auch davon ab, welche Mindeststandards etwa für Tierwohl vorgeschrieben würden. Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, fordert Preisaufschläge zwischen zehn Cent und einem Euro pro Kilo Fleisch. Zudem käme es darauf an, wie der Umbau der Ställe über höhere Preise oder über Steuern bezahlt werden soll.
Der Wandel in Landwirtschaft und Tierhaltung gehe nur ökosozial, sonst verliere man die Unterstützung der Bevölkerung, mahnt Ulrich Schneider. Es reiche nicht aus, das Fleisch einfach nur zu verteuern, ohne die sozialen Unterschiede im Blick zu haben, erklärt der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
Zögen die Preise bei den Lebensmitteln an, müsse dies mit einer deutlichen Erhöhung der Regelsätze einhergehen. Preissteigerungen bei Lebensmitteln fließen zwar in die Neuberechnung von Grundsicherung und Hartz IV – beziehungsweise "Bürgergeld" – mit ein. Doch für Menschen mit niedrigem Einkommen, die keine staatliche Leistungen beziehen, werden die Verteuerungen nicht kompensiert, sodass diese einen größeren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen.
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