"Stuck Belt": Brain Drain innerhalb von Ländern
In den USA vertieft sich die Spaltung zwischen Gewinner- und Verlierer-Bundesstaaten, Trump hat vor allem in den Verlierer-Regionen gepunktet
Die Menschen sind in Bewegung, nicht nur zwischen Ländern und Kontinenten, sondern vor allem innerhalb der Landesgrenzen oder im Schengenraum. Massiv war das im Industriezeitalter, als Industriestädte die Landbevölkerung aufsaugten und enorm wuchsen. Nach dem Mauerfall wanderten viele von Ost- nach Westdeutschland, die Menschen zogen auch von Nord- nach Süddeutschland, Städte begannen wieder zu boomen, weil junge Menschen in sie abwanderten, verstärkt durch die Binnenmigration in der EU.
In den USA war und ist weiterhin die Mobilität im Land höher als in Deutschland oder der EU. Auch wenn die Zahl der Amerikaner, die umziehen, von einem Fünftel pro Jahr nach dem Krieg auf ein Zehntel gesunken ist und mehr als die Hälfte nur innerhalb eines County ihren Standort wechselt, ziehen noch fast 35 Millionen in einem Jahr um, mehr als in europäischen Ländern. Das ist in absoluten Zahlen weniger als in den Rekordzeiten Ende der 1980er und der 1990er Jahre, als über 40 Millionen pro Jahr innerhalb des Landes umzogen. 1986 gab es noch einen Peak mit wieder 20 Prozent der Gesamtbevölkerung, seitdem hat die geografische Mobilität kontinuierlich abgenommen, die soziale sowieso (Die Amerikaner werden sesshafter, Armut als Schicksal).
Aber wie die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird, wächst auch diejenigen zwischen den Mobilen und den Sesshaften. Die besser Ausgebildeten sind die meist gut bezahlten Arbeitsnomaden, die auch über die Grenzen der US-Bundesstaaten hinwegziehen, die mit einer geringeren Ausbildung hängen an ihren Orten fest. Das schlägt sich auch geographisch nieder, die Festhängenden finden sich vor allem im Rust Belt und im Südosten von Iowa, Wisconsin, Michigan, Ohio und Pennsylvania über West Virginia nach Alabama, Mississippi und Louisiana. Dort leben noch 60 Prozent der Menschen, wo sie geboren wurden. Und in diesem "stuck belt", wie ihn der Urbanist Richard Florida nennt, hat Donald Trump auch die größten Erfolge eingefahren.
Der Verlust der jungen, gut ausgebildeten Köpfe führt zu einem Teufelskreislauf
Der Bericht "Losing Our Minds: Brain Drain across the United States" des Gemeinsamen Wirtschaftsausschusses des amerikanischen Kongresses hat sich nun dem Brain Drain bzw. Brain Gain in den USA näher angeschaut und sich dabei auf die gut ausgebildeten Amerikaner konzentriert, weil diese mobiler sind und die Mobilität für ihre Karriere wichtig ist, und weil manche Bundesstaaten stärker die gut Ausgebildeten anziehen, während andere diese verlieren. Das verstärkt wie beim Brain Drain von armen nach reichen Staaten die Unterschiede und führt zu Regionen oder Staaten, die stärker von den Abgehängten bewohnt werden. Ein Teufelskreislauf.
Untersucht wurde die Zeit zwischen 1940 und 2000 sowie zwischen 2010 und 2017. Betrachtet wurden Auswanderer (leaver) im Alter zwischen 31 und 40 Jahren mit einer Ausbildung im obersten Drittel der Bevölkerung. Immigranten wurden nicht berücksichtigt.
Die Verliererstaaten sind eben diejenigen, in denen die Menschen insgesamt mehr festkleben, wie oben beschrieben. Nach der Studie haben die Gewinnerstaaten seit 1970 weiter zugelegt und mehr gut Gebildete angezogen bzw. diese behalten, während sich die Lage in den Loser-Staaten im Rustbelt und Südosten verschärft hat. Verliererstaaten sind New Hampshire und Vermont), Pennsylvania, Ohio, Indiana, Michigan, Wisconsin und Missouri, North und South Dakota sowie Iowa und West Virginia, Kentucky, Tennessee, South Carolina, Alabama, Mississippi, Louisiana und Delaware. Die meisten Gewinnerstaaten, die mit einem weit überdurchschnittlichen Anteil an jungen, gut ausgebildeten Menschen bzw. "sozialem Kapital" auch am meisten Kapital und Investitionen anlocken, liegen im Boston-Washington-Korridor und an der Westküste.
Mehrere Bundesstaaten hätten schon Maßnahmen ergriffen, um die Abwanderung zu stoppen. Nach dem Bericht droht wirtschaftliche Stagnation, wenn die gut Ausgebildeten den Bundesstaat verlassen. Bedenklich sei die soziale Segregation zwischen den Bundesstaaten und Regionen, die auch die politische Kluft verstärke. Wenn die Städte und Gemeinden schrumpfen und an Innovationskraft verlieren, können auch die Institutionen der Zivilgesellschaft ins Wanken geraten.
"Die Auswanderung der gut ausgebildeten Erwachsenen", so der Bericht, "hat sicherlich eine Rolle beim Niedergang der Zivilgesellschaft in um ihre Existenz kämpfenden Gemeinden im ganzen Land gespielt. Und in dem Ausmaß, in dem die geografische Mobilität der gut Ausgebildeten die soziale Kluft verstärkt hat, hat sie auch das Misstrauen und die Intoleranz gegenüber Menschen mit unterschiedlichen Überzeugungen vertieft. Man muss heute nur die polarisierte politische Landschaft betrachten, um diese Einstellungen zu sehen."
Nicht berücksichtigt wurde hier der Brain Drain, der auch innerhalb der Bundesstaaten zwischen abgehängten ländlichen und boomenden städtischen Gebieten stattfindet und der sowohl in den USA als auch in Deutschland zur Stärkung der rechten und rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien beigetragen hat. Verstärkt wird der Brain Drain auch durch die Vergreisung der Gesellschaften. In dem gerade erschienenen Bericht "Die demografische Lage der Nation" des Berlin Institut für Demografie heißt es allgemein, dass die urbanen Großräume demografisch und wirtschaftlich wachsen, während das Land weitflächig schrumpft:
Alle fünf ostdeutschen Flächenländer haben zum Teil mit erheblichen Bevölkerungsverlusten zu rechnen. Auch periphere ländliche Räume im Westen sowie strukturschwache ehemalige Industriestandorte im Ruhrgebiet und im Saarland werden Einwohner verlieren. Die heute schon attraktiven Städte in Ost und West hingegen, von Hamburg über Berlin, Leipzig, Frankfurt am Main bis München, können sich auf Zugewinne einstellen, insbesondere von jungen Menschen und Berufseinsteigern. In den ostdeutschen Bundesländern finden sich sowohl die am stärksten schrumpfenden Kreise wie auch die am schnellsten wachsende Stadt.
Berlin Institut für Demografie
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