Studie: "Keine Invasion aus Afrika"
- Studie: "Keine Invasion aus Afrika"
- Im Jahr 2050: In Frankreich werden Einwanderer aus Subsahara-Afrika etwa 3 Prozent der Bevölkerung ausmachen
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Der französische Demograph François Héran widerspricht kursierenden Vorhersagen einer massiven Migration aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara in europäische Länder
Noch ist der Afrikanist und Journalist Stephen Smith hierzulande nur wenigen bekannt. Das dürfte sich bald ändern. Sein Buch "Nach Europa!: Das junge Afrika auf dem Weg zum alten Kontinent" ist ab 1. Oktober auf Deutsch erhältlich. Der Titel sagt schon viel. Sein Thema, die Migration aus Afrika, ist verbunden mit Ängsten, die von Rechtsnationalisten politisch aufgeladen werden. Deren Kampfbegriffe dazu heißen "Großer Austausch" (Renaud Camus) oder "Umvolkung" (Akif Pirincci).
Smith prognostiziert, dass eine massive Migration aus Afrika Richtung Norden "unausweichlich" ist. Europa werde 2050 aus 450 Millionen alternden Bewohnern bestehen, so gibt ihn die Schweizer NZZ wieder, "während Afrika von 2,5 Milliarden mehrheitlich jungen Menschen bewohnt sein wird".
Nach Smiths Schätzungen, die auf einen Vergleich mit der mexikanischen Einwanderung in die USA beruhen, rechnet Smith damit, dass die Zahl der Afrikaner, die in Europa leben, von gegenwärtig etwa 9 Millionen bis zum Jahr 2050 auf 150 oder 200 Millionen im Jahr 2050 steigen könnte.
"Referenzwerk in der französischen Einwanderungsdebatte"
In Frankreich ist Stephen Smith längst als Journalist bekannt, da er bei liberalen Medien mit einem linken Anstrich wie etwa Le Monde oder Libération, gearbeitet hat. In die rechte Ecke kann man ihn nicht stellen, wie seine Aussagen aus den beiden oben verlinkten deutschsprachigen Medien deutlich machen. Sein Buch heißt auf Französisch "La ruée vers l’Europe", wörtlich übersetzt: "Der Ansturm auf Europa" und hatte dort auch Präsident Macron zum prominenten Leser.
Laut FAZ ist es zum "Referenzwerk in der französischen Einwanderungsdebatte avanciert". Angesichts dessen ist es interessant, dass sich nun auch der französische Demograph François Héran dazu positioniert. Héran ist Spezialist für Fragen zu "Migration und Gesellschaften" und als solcher seit April dieses Jahres im prestigeträchtigen Collège de France tätig.
In der aktuell erschienen Septemberausgabe der Fachzeitschrift "Population and Societies" ist nun Hérans Widerlegung der Annahmen von Stephen Smith zu lesen, auf Englisch: "Europe and the spectre of sub-Saharan". Als Ausgangspunkt nimmt er Aussagen aus Smiths Buch, die besonders eingängig sind: Dass das "junge Afrika den Alten Kontinent stürmen" werde und bis zum Jahr 2050 "ein Viertel der Bewohner Europas 'afrikanisch' sein wird" (Smith schreibt von Schätzungen zwischen "ein Fünftel bis ein Viertel") - mit dem Zusatz, dass "mehr als die Hälfte unter 30 Jahre alt" sein würden.
Eine beträchtliche Steigerung des Anteils afrikanischer Einwanderer
Héran selbst kommt zu einem anderen Ergebnis. Nach seinen Ermittlungen wird es zwar eine große Steigerung des Anteils von afrikanischen Einwanderern in Europa aus Ländern südlich der Sahara bis 2050 geben, allerdings beschränke sich dieser auf etwa 3 bis 4 Prozent. Da der Anteil derzeit bei einem Prozent liege, wäre das zwar schon ein beträchtlicher Anstieg, aber doch nicht in der Dimension, die Smith vor Augen hat.
Als Grundlagen für Hérans Berechnung dienen einmal "fundamentale empirische Beobachtungen", zum anderen die Zahlen von Migrationsbewegungen aus der Bilateral Migration Matrix der Weltbank, die seit 15 Jahren gesammelt werden, und dazu zwei jüngere Studien.
Auch Héran geht, gestützt auf Schätzungen der UN (United Nations Population Division), davon aus, dass die Bevölkerung der afrikanischen Länder südlich der Sahara enorm wachsen wird: von gegenwärtig 970 Millionen auf 2,2 Milliarden im Jahr 2050. Der Anteil an der Weltbevölkerung werde von gegenwärtig 14 Prozent auf 22 Prozent anwachsen.
Die Auswanderungsrate
Aber der demografische Forscher widerspricht der Annahme, dass daraus - ähnlich wie beim Prinzip der kommunizierenden Röhren, das er Stephen Smith als Grundmuster unterstellt - unweigerlich eine Bewegung von bevölkerungsreichen Ländern mit hohen Geburtenraten zu Ländern mit geringen Geburtenraten folgt.
Dagegen spreche zum einen die Beobachtung, dass Menschen aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara weniger zur Migration neigen als Bewohner anderer Regionen oder Erdteile. Während die "Auswanderungsrate" z.B. für Länder in Nordafrika laut der Global Bilateral Migration Database von 2017 bei 4,8 liegt, wird sie für Subsahara-Afrika mit 2,8 angegeben.
Für Syrien, Irak und Jemen liegt sie übrigens bei 12,9. Auch Zentralasien hat mit 12,8 eine wesentlich höhere Auswanderungsrate. Die höchste Emigration-rate wird mit 22,2 Prozent für die "Balkans (ex-Communist)" verzeichnet.
Armut
Die andere "fundamentale Beobachtung", die sich im Zahlenmaterial zeigt und die dem kommenden Ansturm auf Europa widerspricht, ist, dass ein großer Anteil der Auswanderer aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara in der Region bleiben, was mit der Armut zu tun habe. "Je ärmer das Land, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass seine Einwohner in entfernte Länder auswandern. Wenn sie auswandern, dann meistens in Nachbarländer."
In den Ländern südlich der Sahara würden 70 Prozent in der Region bleiben; der Anteil der Migranten, die nach Europa gehen, liege bei 15 Prozent.
Ein Mythos
Was die Behauptung einer Wanderungsrichtung von kinderreichen Länder in kinderarme Länder angehe, so sei dies ein "Mythos", wie die Zahlen zeigen würden. Demnach wandern aus Ländern mit mindestens vier Kindern pro Frau lediglich 5 Prozent der Migranten in Länder aus, die eine Geburtenrate von 1,7 Kindern/Frau haben. Die bemerkenswerte Ausnahme seien die beiden Nachbarländer Afghanistan (5,3) und Iran (1,8), wo es allerdings andere Gründe für die Migration aus Afghanistan nach Iran gebe.
Héran widerspricht Stephen Smith auch in dessen Vergleich der künftigen Einwanderungswelle aus Afrika nach Europa mit Mexiko und den USA. Zum einen handelt es sich um Nachbarländer, zum anderen sei die wirtschaftliche Situation zwischen Mexiko und den afrikanischen Ländern im Süden der Sahara nicht zu vergleichen.
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