Sudan: Die Geschichte einer gescheiterten State-Building-Mission
Seite 3: Autonomie oder Spaltung?
In den Berichten der Diplomaten klingt jedoch früh eine deutliche Distanz zum historischen SPLA-Führer John Garang an. Besonders vor den Friedensverhandlungen im Jahr 2005 zeichneten sich grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten ab. "Garang verschleppt die Angelegenheit, weil der mit dem Status Quo komfortabler umgehen kann", heißt es etwa in einem Bericht. Aber es sei genug Druck auf ihn ausgeübt worden, dass er die Bedingungen für die Abuja-Konferenz akzeptiert, obwohl "seine Position" damit geschwächt wird.
Der Hintergrund des Konflikts besteht darin, dass John Garang eigentlich eine Autonomie für den Süden innerhalb des sudanesischen Staates anstrebte, so wie sie in den 1970ern bereits bestanden hatte. Die Drohung mit der Abspaltung stellte für ihn nur eine Verhandlungsoption gegenüber der Regierung in Khartum dar. Dem gegenüber verfolgten die US-Diplomaten und ihre Kontakte in der Region implizit das Ziel, eine Spaltung des Sudan zu erreichen und im Süden einen Staat neu zu gründen.
Als es unter erheblichem internationalen Druck schließlich zur Abuja-Konferenz kam, erreichten beide Fraktionen ihre Ziele, diejenigen also, die eine Autonomie innerhalb des Sudan anstrebten, und die Seperatisten. Im Rahmen des Comprehensive Peace Agreement einigte man sich darauf, dass die Rebellen einen Vize-Präsidenten des Sudan stellen. Die Einnahmen aus dem Ölgeschäft sollten zur Hälfte in den Süden fließen. Die Entscheidung über eine Abspaltung wurde aufgeschoben. Das Abkommen sah vor, erst sechs Jahre später ein Referendum über die Frage der Unabhängigkeit durchzuführen.
Mit dieser Entscheidung konnte John Garang sicher gut leben, zumal er davon ausgehen konnte, dass er als Führer der SPLA und zukünftiger sudanesischer Vizepräsident einen wichtigen Einfluss auf die Gestaltung der Volksabstimmung haben werde. Am 9. Juli 2005 trat er sein Amt in Khartum an. Nur 14 Tage später stürzte John Garang mit einem Hubschrauber der ugandischen Regierung ab. Der angekündigte Untersuchungsbericht zu den Todesumständen ist bis heute nicht erschienen.
Einen Failed State gründen
Der plötzliche Tod von John Garang löste sofort hektische Aktivitäten unter den US-Diplomaten aus. Schnell wurden Treffen mit Salvaa Kiir vereinbart und mit den Nachbarstaaten eine Nachfolge diskutiert. Der kenianische General Lazaro Sumbeiywo sprach die wichtigste Konsequenz an:
Das Engagement von Kiir für die Einheit wird möglicherweise weniger stark sein als das von Garang, sein überwiegendes Interesse gilt einer Selbstbestimmung für den Süden.
Ab diesem Zeitpunkt fuhr der Zug unaufhaltsam in Richtung Spaltung. Die USA bereiteten mit ihrer internationalen Medienkampagne und der Rückendeckung ihrer NGOs einer Verurteilung des sudanesischen Präsidenten Umar al-Baschir vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor, einem Gericht, dessen Juristdiktion sie selber nicht anerkennen. Im Juli 2008 verkündete die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes, Luis Moreno-Ocampo, den ersten Haftbefehl gegen einen amtierenden Staatschef. Al-Baschir wurde wegen Völkermordes im anhaltenden Darfur-Konflikt international zur Verhaftung ausgeschrieben.
Unterdessen bereitete die SPLA im Südsudan eine Staatsgründung vor. Das Referendum fand schließlich im Januar 2011 statt. Zuvor forderte das US-Außenministerium jedoch detaillierte Informationen über den geplanten Umgang mit den Öl- und Gasvorkommen an. Der US-Botschafter zeigte sich optimistisch über die Zukunft des demokratischen Staates, auch wenn die Gewalt unter verschiedenen Stämmen nicht abbrach. Alleine in den zwei Wochen vor dem Referendum starben 130 Sudanesen bei Auseinandersetzungen zwischen Dinka und Nuer.
Unter großem Jubel der USA und der "internationalen Gemeinschaft" wurde am 9. Juli 2011 der bisher jüngste Staat der Erde gegründet. Eine staatliche Organisation, die diese Bezeichnung verdient, existiert allerdings bis heute nicht. Den Aufbau von landesweiten Infrastrukturen, einem Bildungs- und einem Gesundheitssystem, überließen die ehemaligen SPLA-Kommandanten, die sich nun Minister nannten, weitgehend den Hilfsorganisationen.
Diese warnten bereits frühzeitig, dass das neue Gebilde deutliche Merkmale eines Ein-Parteien-Regimes aufweist. Anführer oppositioneller südsudanischer Gruppen wie South Sudan Democratic Movement und United Democratic Front wurden ermordet oder ohne Verfahren festgenommen. Die neuen Sicherheitskräfte, die südsudanesische Polizei South Sudan Police Service, sammelten lange Listen von Vorwürfen, darunter "Verschwindenlassen", "Drangsalierung und Inhaftierung von Personen", "Folter" und "andere Misshandlungen".
Die Korruption, das heißt, die illegale Aneignung der Einnahmen aus dem Ölexport, welche der Nordsudan überwies, nahm derartige Ausmaße an, dass Salva Kiir nur ein Jahr nach der Staatsgründung öffentlich an seine Mitstreiter appellierte, die etwa vier Milliarden US-Dollar, die im Verlauf der vergangenen Jahre verschwunden waren, wieder zurückzugeben.
Alte Waffen, neue Feinde
Genau genommen wurde der Binnenkrieg, also die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, zu keinem Zeitpunkt endgültig unterbrochen. Seit Präsident Kiir Machar seinen Vize-Präsidenten Riek Machar im Juli 2013 entließ, schlitterte die Region wieder in einem regulären Krieg. Seitdem kamen zahntausende Menschen ums Leben. Etwa 1,5 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Die UNO warnte Anfang August vor einer Hungernot und sprach von der "gegenwärtig größten humanitären Katastrophe".
Gegenüber der Deutschen Welle erklärte Riek Machar im August, wo die Waffen geblieben sind, welche die USA von der Ukraine an die SPLA hatte liefern lassen: "Im Dezember und Januar haben wir tausende Gewehre und Maschinengewehre erbeutet und sogar sieben Panzer. Und dann, beim Kampf um Malakal, haben wir elf Panzer und etliche tausend Gewehre beschlagnahmt. In Unity war es das gleiche: mehr als 40 Panzer."
Die Destabilisierung der Region ist soweit fortgeschritten, dass selbst die hartgesottensten Ausländer das Land verlassen. Amerikas größtes Erdölunternehmen Exxon beendete das Erschließungsprojekt, das die US-Firma gemeinsam mit der französischen Firma Total in den vergangenen Jahren betrieb. Selbst der ehemalige Chef des Söldner-Unternehmens Blackwater, Erik Prince, suspendierte laut Bloomberg seine Pläne, eine Ölraffinerie für den Südsudan zu bauen.
Wenn es jemals den Plan gegeben haben sollte, durch eine Abtrennung des Südsudan China aus der dortigen Ölförderung herauszudrängen, muss der zumindest vorläufig als gescheitert angesehen werden. "Mit dem Rückzug von Exxon wird sich der Südsudan weiter auf nicht-westliche Ölfirmen stützen", lautet die Einschätzung der International Crisis Group.