Südkorea: Rechtsregierung unter Druck

Heftige Kritik an Law & Order-Politik in Südkorea nach sechs Toten bei Häuserräumung. Rücktritt von Innenminister und Polizeichef gefordert

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Der brutale Polizeieinsatz, bei dem am 20.Januar in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul fünf Hausbesetzer und ein Polizist verbrannten, beherrscht bis heute die innenpolitische Debatte und setzt die ohnehin angeschlagene Rechtsregierung von Präsident Lee Myung-bak weiter unter Druck.

Nachdem offizielle Stellen zunächst den 40 Besetzern des fünfstöckigen Bürogebäudes im zentralen Stadtteil Yongsan die Schuld an dem Feuer gaben, das angeblich durch Molotow-Cocktails ausgelöst wurde, stellen Zeugenaussagen, Polizeifunkmitschnitte und Indizien die offizielle Version immer mehr in Frage. Die regierende Grand National Party (GNP) hat inzwischen eine Untersuchung angeordnet und die Ernennung des verantwortlichen Polizeichefs Kim Seok-ki zum Leiter der National Police Agency auf unbestimmte Zeit verschoben. Zugleich steigt der Druck von Bürgerrechtsgruppen und Opposition.

Nach Ansicht des führenden englischsprachigen Tageszeitung "Korea Herald" hätte die Tragödie vermieden werden können, "wenn die Polizei etwas mehr Vorsicht hätte walten lassen". Es stelle sich die Frage, warum die Räumung, ohne den geringsten Versuch von Verhandlungen bereits 25 Stunden nach der Besetzung des ehemaligen Bürogebäudes stattfand und dazu eine Anti-Terror-Einheit eingesetzt wurde, obwohl es sich nur um einen Fall von Hausfriedensbruch handelte. Nach Ansicht des mit "Washington Post" und "New York Times" verbundenen Blattes sei die "undurchdachte Polizeiaktion nur durch Übereifer zu erklären. Es sei durchaus kein Zufall, dass sie einen Tag nach der Nominierung des Seouler Polizeipräsidenten Kim Seok-ki zum nationalen Polizeichef erfolgte, dessen Beförderung allgemein als "Belohnung für die erfolgreiche Niederschlagung massiver Straßenproteste im letzten Jahr" betrachtet werde.

Für weiteres Aufsehen sorgte die Veröffentlichung eines Mitschnittes des Funkverkehrs während der Räumung durch zwei Abgeordnete der oppositionellen Demokratischen Partei am 23.Januar. Daraus geht eindeutig hervor, dass entgegen den Behauptungen von offizieller Seite neben den mehr als 1.000 Polizisten auch ca. 150 Wachleute von Leiharbeitsfirmen eingesetzt wurden, die die Polizei mit Vorschlaghammern und Schilden ausstattete.

Laut Zeugenaussagen zündeten diese alte Autoreifen an, um durch die Rauchentwicklung die kleine Gruppe von Besetzern, die sich in einem selbst gebauten Turm auf dem Dach verschanzt hatte, zur Aufgabe zu zwingen. Die auf dem Dach befindlichen Molotow-Cocktails seien durch die nächtliche Feuchtigkeit ohnehin unbrauchbar gewesen. Beleg für die Brutalität der Anti-Terror-Einheit ist die unstrittige Tatsache, dass diese einen der Stützpfeiler des zehn Meter hohen Turms fällte, um diesen zum Einsturz zu bringen. Allein das hätte zu Todesopfern führen können. Beileibe kein Einzelfall: Bereits im Mai und Oktober letzten Jahres waren solche Spezialeinssatzkommandos mit brutaler Gewalt gegen Gewerkschafter und friedliche Demonstranten vorgegangen.

Die linke Tageszeitung Hankyoreh Sinmun fragte sich denn auch in einem Leitartikel vom 24.Januar mit Blick auf die staatlichen Rechtfertigungen: "Wenn eine Aktion, die fünf Bürgern und einem Polizisten das Leben kostet, ein 'einwandfreier Vollzug öffentlicher Pflichten' ist, stellt sich die Frage, was für diese Administration wohl ein 'nicht einwandfreier Vollzug öffentlicher Pflichten' wäre." Der mit 400.000 verkauften Exemplaren fünftgrößten Zeitung des Landes zufolge habe man es hier mit einer "verzerrten und selbstgerechten Staatsgewalt" zu tun, "bei der man nur erklären muss, dass man 'Recht und Ordnung' durchsetzt, um einem Einsatz von Gewalt zu legitimieren, der Grundrechte und Leben der Bürger verletzt."

Aller öffentlichen Kritik zum Trotz konzentriert sich die Staatsanwaltschaft bislang indes mehr auf die Verfolgung von Besetzern und Demonstranten. Gegen sechs von ihnen wurden Haftbefehle erlassen, wobei es sich je zur Hälfte um Bewohner des Sanierungsgebietes und um Aktivisten der sie unterstützenden Föderation gegen Häuserabriss (Jun Chul Yun) handelt, die nun auch selbst als "terrorverdächtig" ins Visier der Behörden gerät.

Jun Chul Yun wurde im Juni 1994 gegründet und umfasst Gruppen in den Großstädten Seoul, Busan, Ulsan, der Provinz Gyeonggi sowie anderen Teilen des Landes und ist seit langem für ihre engagierte Basisarbeit gegen Immobilienspekulation und neoliberalen Stadtumbau bekannt. Im Stadtteil Yongsan war sie die einzige Organisation, die sich um die Information und Organisation der knapp eintausend Betroffenen bemühte, die sich gegen Willkür, kurze Räumungsfristen und viel zu geringe Entschädigungen wenden. Politische Parteien oder andere Bürgergruppen haben das Thema Stadtentwicklung bislang sträflich vernachlässigt, wie auch der stellvertretende Bezirksvorsitzende der linken Democratic Labour Party (DLP), Nam Gi-mun, zugab.

Nicht nur Vertreter der mitte-linken Demokratischen Partei, sondern selbst ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, der anonym bleiben wollte, bezweifelten derweil gegenüber "Hankyoreh", das es angesichts der aktuellen Regierungspolitik zu rechtlichen Konsequenzen gegen Ordnungshüter komme. Justizminister Kim Kyung-han hatte im März 2008 öffentlich erklärt, dass Polizeibeamte bei Gesetzesverstößen in Ausübung ihres Amtes Immunität genössen. Außerdem sind bei der Restrukturierung erhebliche ökonomische Interessen im Spiel. Mit POSCO und Samsung C&T sind zwei Großkonzerne an den Bauprojekten in Yongsan beteiligt.

Staatspräsident Lee Myung-bak (ein ehemaliger Hyundai-Chefmanager und Ex-Bürgermeister von Seoul) gilt ohnehin als größter Förderer solcher Projekte. Auf einer Pressekonferenz nach dem blutigen Einsatz scheute er nicht einmal vor der Behauptung zurück, Südkoreas Wachstum werde um einen Prozentpunkt höher liegen, wenn Recht und Ordnung durchgesetzt würden. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres war der Ende Dezember 2007 als "Macher" und "Retter" gewählte Lee allerdings mit einer Schrumpfung der Wirtschaft um 3,4% konfrontiert. Der stärkste Rückgang seit der Asienkrise 1997/98.

Auch seine Hoffnung, die Empörung über die sechs Toten könnte durch die Feiertage des Mondfestes abklingen, wird sich wohl nicht erfüllen. Für den 31.Januar hat ein Bündnis von 40 Organisationen, zu einer Protestdemonstration im Zentrum von Seoul aufgerufen. In der südlich gelegenen Hafenstadt Bursan schloss sich eine Allianz von 29 Gruppen und Verbänden den Forderungen nach unabhängigen Ermittlungen sowie einem Rücktritt der Polizeiführung an.