Syrien: Bewaffnete Milizen drohen mit Ausstieg aus Waffenruhe-Abkommen
Sie werfen der syrischen Regierung Verstöße gegen das Abkommen vor. Diese versucht angesichts einer extremen Trinkwasserknappheit, die Wasserversorgung der Hauptstadt, die von Milizen kontrolliert wird, sicherzustellen
Die Hoffnungen auf eine Lösung des komplex verzahnten Kriegs in Syrien richten sich auf die Waffenruhe und den politischen Prozess, der in einer nächsten Stufe bei der Konferenz im kasachischen Astana neu in Gang gesetzt werden soll. Die Konferenz soll Ende Januar stattfinden, das genaue Datum steht noch nicht fest.
Laut der UN-Sicherheitsrats-Resolution 2336, die am letzten Tag des vergangenen Jahres einstimmig angenommen wurde, soll der "Starthilfe" des politischen Prozesses in Astana die Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen am 8. Februar folgen - soweit der Fahrplan für die Reise ans Ende eines albtraumhaften Tunnels, das lange Zeit überhaupt nicht zu sehen war.
Das Interesse der Dschihadisten an der Sabotage der Waffenruhe
Skeptiker warnten, dass es wenig Anlass für verfrühte Hoffnungen gebe, die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, dass es viele Beteiligte gebe, die großes Interesse daran haben, den Fahrplan zu sabotieren. An erster Stelle wurden die dschihadistischen Gruppen genannt, die keinerlei Interesse an einer Waffenruhe haben, von der sie ausgenommen sind.
Gestern haben 10 Milizen in einem Schreiben, das sie als Mitglieder der sogenannten Freien Syrischen Armee ausweist, offiziell erklärt, dass sie alle Gespräche und Beratungen zur Vorbereitung der Konferenz in Astana auf Eis legen.
Die Gruppen, die die Waffenruhe-Vereinbarung von Ankara unterzeichnet haben, werfen der syrischen Armee und ihren Verbündeten vor, dass sie die Waffenruhe an mehreren Orten brechen. Sollten die Vorstöße nicht beendet werden, werde die Vereinbarung von Ankara aus "null und nichtig" erklärt.
Genannt werden an erster Stelle militärische Vorstöße im (Wadi-)Barada-Tal, in Ost-Ghouta und in Vororten von Hama und Daraa. Besondere Bedeutung kommt dem Tal des Barada-Flusses im Nordwesten Damaskus zu, weil sich dort das Quellgebiet Ain al-Fidscheh befindet, das für die Wasserversorgung von Damaskus eine zentrale Rolle spielt. Die Wasserversorgung steht unter der Kontrolle der bewaffneten Milizen…
Extreme Wassernot in Damaskus
An den Weihnachtstagen wurde auch in deutschen Medien von einer extremen Wassernot in Damaskus berichtet und dazu von einer Offensive der syrischen Armee gegen die Milizen, die die Wasserversorgung der Hauptstadt zu einem wesentlichen Teil beeinflussen.
Dem ntv-Bericht ist überdies zu entnehmen, dass die syrischen Regierung terroristischen Gruppen vorwirft, dass sie Quellen und andere Reservoirs in Damaskus und Umgebung unter anderem "mit Diesel vergiftet" hätten.
Verlässlich überprüft werden können diese Vorwürfe an dieser Stelle nicht. Ins Auge sticht aber folgende Gegenüberstellung, die sich in einem aktuellen Bericht der türkischen Hurriyet-Daily-News findet. Dort wird aus der FSA-Erklärung zitiert, dass durch die Fortsetzung der Verstöße der syrischen Armee und ihrer Verbündeten gegen die Waffenruhe "das Leben von Hunderttausenden bedroht sei".
Im direkten Anschluss an das Zitat berichtet das türkische News-Medium davon, dass die syrische Luftwaffe das Barada- Tal, etwa 15(!) Kilometer von Damaskus entfernt, schon vor den russisch-türkischen Abmachungen zur Waffenruhe angegriffen habe - d.h. das Problem besteht schon länger (bei den Verhandlungen zur Waffenruhe drängte die syrische Regierung darauf, dass Zonen bei Damaskus von den Vereinbarungen ausgeschlossen werden).
Im nächsten Satz erfährt der Leser, dass es um die hauptsächliche Wasserversorgung von 4,5 Millionen Einwohnern der Hauptstadt Damaskus und ihrer Umgebung geht und der Staatschef Baschar-al-Assad versucht, die Kontrolle über dieses Gebiet aus den Händen der militärischen Gegner zu erlangen.
Dass Milizen der bewaffnete Opposition die Versorgung der syrischen Hauptstadt bedrohen, fehlt im Bericht der Tagesschau mit der Überschrift "Rebellen stoppen Gespräche über Frieden" gänzlich. Der Leser erfährt im zweiten Satz der Meldung, dass die Rebellen mit ihrer Erklärung auf "anhaltende Verstöße" der Regierungstruppen reagieren.
Die Präsenz der Dschihadisten
Als Unterzeichner der FSA-Erklärung erwähnt ein taz-Bericht: "Dschaich al-Islam, Failak al-Rahman, die von Ankara unterstützten Rebellenorganisation Sultan Murad sowie der Gruppe Dschaich al-Issa". Jaysh al-Islam ist eng mit Ahrar al-Sham verbündet, beide werden von der Türkei unterstützt, beide Milizen sind dschihadistisch-salafistisch, die gegenwärtig mit Abspaltungstendenzen zu kämpfen haben.
Beide Gruppen haben im Raum Damaskus eine dominante Stellung. Die Türkei ist laut dem Ankara-Abkommen zur Waffenruhe die Garantiemacht, die mit ihrem Einfluss dafür sorgen soll, dass die Vereinbarungen eingehalten werden. Die Dschihadisten in den jeweiligen Gruppen werden von al-Nusra aka Jabhat Fath al-Sham in eine andere Richtung gedrängt.
Laut Angaben der syrischen Regierung ist die al-Qaida-Gruppe auch im Wadi Barada präsent. Al Nusra ist bekanntlich von der Waffenruhe ausgenommen. Die Miliz bestreitet laut BBC ihre Präsenz in diesem Gebiet. Propaganda-Fotos vom Juli dieses Jahres dokumentieren auf grausige Weise die Präsenz von al-Nusra im Wadi Barada. Laut einem Bericht von Moon of Alabama steht das Areal seit der Befreiung Ost-Aleppos unter Kontrolle von Dschihadisten.