Syrien: Deutschland soll bei "Schutzzone" im Norden mitwirken

Panavia Tornado IDS. Foto: US Air Force/Gemeinfrei

Tornados sollen bei der Aufklärung helfen. Brisant ist, dass die Schutzzone Kurden auch gegen Angriffe türkischer Militärs und ihrer Verbündeten absichern soll

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Im Hintergrund zum syrischen Konflikt und zur Lage im Nahen Osten tut sich einiges. US-Außenminister Pompeo war kürzlich im Irak und danach in Sotschi, um mit Putin und Lwarow über Syrien zu sprechen. Der US-Sonderbeauftragte für Syrien, Ambassador James Jeffrey, war Anfang Mai in Ankara. Allerorten werden "Optionen" erörtert und Schutzzonen ("safe zones") in Syrien sind ein maßgebliches Stichwort.

Im Moment ist Mike Pompeo in Berlin zu Besuch. Im Mittelpunkt der Gespräche stehen die Iran-Politik und die Differenzen, wie etwa die Tagesschau meldet. Das Thema Iran bestimmt auch die Syrien-Politik der USA.

Gestern erstaunte der Spiegel mit einem schier unglaublichen Vorschlag aus den USA zu Syrien, der die Türkei, den Nato-Partner der USA und Deutschlands, betrifft. Ob das Thema bei den Treffen der Kanzlerin und des Außenministers Maas mit Pompeo dann tatsächlich besprochen wurde - und mit welchem Ergebnis - war allerdings bis Freitagmittag kein Thema mehr in der Berichterstattung.

Es geht um eine außergewöhnliche Schutzzone im Norden Syriens. War bislang vor allem von safe zones die Rede, welche die Türkei dort einrichten will, um die Kurden der YPG/PDY/SDF auf Abstand zu halten, so geht es bei dem Vorschlag, über den der Spiegel gestern berichtete um eine etwas anders konzipierte Schutzzone auf syrischem Terrain: Sie soll Kurden "sowohl vor der Türkei als auch vor dem Zugriff des Assad-Regimes" schützen.

Die Türkei vor den Kopf stoßen?

In Ankara wird man das nicht gerne lesen. Immerhin ist die Türkei Partner im nordatlantischen Bündnis und zuletzt war zwischen den USA und der Türkei aus türkischer Sicht von anderen Sicherheitsinteressen die Rede, wenn es um die Einrichtung einer Sicherheits- oder Schutzzone im Norden Syriens ging: "Der Berater des türkischen Präsidenten Ibrahim Kalın, Jeffrey und ihre Delegationen kamen in Ankara zusammen, um über die nationalen Sicherheitsprioritäten der Türkei und den Kampf gegen den Terrorismus in Syrien zu sprechen, besonders was die Einrichtung einer safe zone betrifft und Operationen östlich des Euphrat", berichtete die regierungsnahe türkische Zeitung Daily Sabah Anfang Mai.

Das Stichwort "Kampf gegen Terrorismus" ist hier maßgeblich. Die Türkei will den "Einfluss" der Kurden in den selbstverwalteten Zonen im Norden Syriens so weit wie irgendmöglich und nach bisheriger Erfahrung mit allen Mitteln, eingeschlossen kriegerischen, zurückdrängen oder vernichten. Dazu versuchen die USA seit der Ankündigung des Truppenrückzugs aus Syrien Ende vergangenen Jahres durch Trump einen Spagat.

Erst hatten sie der Türkei in Aussicht gestellt, dass sie eine große Rolle nach dem Abzug der USA aus dem Nordosten Syriens spielen würden, dann erst hatten sie darauf reagiert, dass diese Aussicht für die mit ihnen verbündeten Kurden eine existentielle Gefahr bedeutet. Seither versuchen die USA das "Unmögliche": Verhandlungen mit den Kurden der "Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien" (meist Rojava genannt) darüber, dass sie die Präsenz von türkischem Militär bzw. deren islamistischen Verbündeten auf den von ihnen verwalteten Gebieten zulassen - trotz der schlimmsten Erfahrungen, die die Selbstverwaltung und ihre Verteidigungsmilizen YPG in Afrin gemacht haben.

Anderseits verhandeln US-Vertreter, allen voran der Sonderbotschafter James Jeffrey, mit der Türkei mit der "Bitte um Zurückhaltung" - gegenüber Kurden, die Erdogan zu Terroristen erklärt hat und entsprechend als Feinde behandelt, die keinerlei Zurückhaltung in Anspruch nehmen können. "Die Türkei hat sehr legitime Bedenken", sagte Jeffery kürzlich vor einem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses, wo er sich gegen eine Unterstützung für einen unabhängigen kurdischen Staat in Syrien aussprach. "Wir können ihnen keine politische Zukunft anbieten."

Die Frage ist, was die USA den Kurden in den selbstverwalteten Gebieten im Norden und Osten Syriens auf lange Frist überhaupt anbieten können. Diese Frage bestimmt auch den Hintergrund des Spiegel-Berichtes. Wäre dem so, wie es die Überschrift ankündigt: "Deutsche "Tornados" sollen Schutzzone in Nordsyrien absichern" und der Text es verstehen lässt: den Schutz der Kurden "vor der Türkei", dann befände sich die deutsche Regierung in einer ihr sicher sehr unangenehmen Lage gegenüber Ankara.

Bislang hatte von den deutschen Regierungspolitikern nämlich noch niemand die Traute, sich öffentlich gegen fundamentale Interessen der türkischen Regierung zu stellen. Warum sollte dies jetzt anders sein?

USA: Die Europäer sind in der Pflicht

Liest man den Spiegel-Bericht etwas genauer, dann geht daraus hervor, dass die USA mehr Hilfe von ihren Partnern verlangen, das ist seit der Amtsübernahme Trumps ein Leitmotiv, das oft wiederholt wird.

Auch für Syrien mahnte Patrick Shanahan bei der diesjährigen Münchener Sicherheitskonferenz mehr europäisches Engagement in Syrien an, da sich die US-Regierung dazu entschlossen habe, "ihre Syrien-Aktivitäten so schnell wie möglich zurückfahren". "Für die Absicherung eines Nachkriegsszenarios seien nun die Europäer in der Pflicht", so der Spiegel.

Demnach hat Shanahan "nur grob skizziert", "dass den USA eine Art Pufferzone zwischen Nordsyrien und der Türkei vorschwebe". So wie dies formuliert ist, wäre auch Ankara einverstanden, das entspricht ganz den Interessen Erdogans. Die zentrale Frage ist, wie die "Puffer"- oder "Schutzzone" gestaltet wird.

Von deutscher Seite, so der Spiegel, kam dann das Angebot, das Mandat für die Flugzeuge, die mit Aufklärung und Betankung an der Anti-IS-Mission beteiligt sind, zu verlängern und die Flugzeuge in den Dienst der Überwachung der "Schutz- und Pufferzone" zu stellen.

Speziell ausgestattete "Tornado"-Jets helfen bei der Aufklärung der durch die USA angeführten Anti-IS-Koalition. Zudem tankt die Luftwaffe die Jets der Koalition über Syrien in der Luft auf. Für die Mission hat die Bundeswehr eine kleine Basis in Jordanien mit dem Namen "Camp Sonic" auf einem Luftwaffenstützpunkt der Jordanier aufgebaut.

Der Spiegel

Früher waren die Flugzeuge der deutschen Luftwaffe in Incirlik stationiert, dann gab es Streit mit der Türkei über Besuchsrechte deutscher Parlamentarier. Nach monatelangem Hin- und Her wurde entschieden, die deutsche Flugzeugbasis nach Jordanien zu verlegen. Die Verärgerung gegenüber dem Verhalten der Türkei war deutlich spürbar.

Interessant ist im Zusammenhang mit der Aufklärungsarbeit der deutschen Flugzeuge das häufig angesprochene Problem, wonach die Türkei als Nato-Partner auch Einblick in das Aufklärungsmaterial der Bundeswehrflieger erhalten habe - wobei es dafür nie ganz eindeutige Nachweise gab, sondern meist nur abgeleitete Ansprüche, die diskutiert wurden.

Das Zur-Verfügung-Stellen des Aufklärungsmaterials hätte über die Nato hinaus auch die "nationalen Sicherheitsinteressen" der Türkei bedient, die stark damit verknüpft sind, was kurdischen Selbstverteidigungseinheiten im Norden Syriens machen.

Könnte nun künftig mit einer "Sicherheitszone" im Norden Syriens Aufklärungsmaterial der deutschen Tornados gegen die Türkei verwendet werden?

Das wäre eine ganz neue Dimension. Dem Spiegelbericht ist dazu keine verlässliche Aussage zu entnehmen.

Druck auf die Türkei

Berichtet wird von Geheimgesprächen, die wenig konkret sind: "Ziemlich vage sagte von der Leyen nach dem Gespräch (mit Shanahan, Anm. d. A.) , man wollte in den nächsten Wochen und Monaten entscheiden, wie jeder Partner der internationalen Koalition "seinen fairen Anteil leisten kann". Offen sei auch, wie die Bundeswehr die Etablierung der Schutzzone aus der Luft unterstützen könne.

Militärs gehen aber davon aus, dass die hochauflösenden Aufklärungsbilder der "Tornados" und die Luftbetankung immer wertvoll für eine zukünftige Koalition wären. Politisch wäre der Einsatz zudem ein Symbol, dass Deutschland sich auch bei heikleren internationalen Missionen nicht verweigert.

Spiegel

Das ist viel Symbolik. Geht es nach dem von Skepsis getragenen Bericht, des kurdischen Mediums ANF, so hat Deutschland ein grundsätzliches Problem mit der Anerkennung der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien, wie sich zuletzt auch an der Strafanzeige wegen der Rückführung von IS-Gefangenen gezeigt hat.

Die interessante Frage bleibt, wie sich die Bundeswehr in den Plan der Trump-Administration zur Errichtung einer "sicheren Zone" integrieren lassen wird. Die Bundesregierung hat bisher aufgrund ihrer engen Beziehung zur Türkei immer wieder vermieden, Rojava in irgendeiner Form diplomatisch anzuerkennen oder offene diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Ebenso hat sie es immer vermieden, den Hauptbeitrag der Demokratischen Kräfte Syriens beim Sieg über den IS anzuerkennen.

ANF

Dazu kommt das Verbot der Fahnen von YPG und PYD in Deutschland. So ist kaum vorstellbar, dass sich die deutsche Regierung bei solch heiklen Fragen wie der Verlängerung des Bundeswehrmandats neu orientiert. Gut vorstellbar ist allerdings, dass man u.a. aus Verärgerung über die Türkei bei der Incirlik-Sache nichts gegen öffentlichen Druck hat. Für die USA ist das ohnehin Bestandteil eines politischen Pokerspiels, bei dem auch Russland am Tisch sitzt.