Syrien-Gespräche: Steinmeier plädiert für Teilnahme salafistischer Gruppen
"Wo sollen denn nach mehr als fünf Jahren Bürgerkrieg, extremer Gewalt und um sich greifender Verrohung die gemäßigten Kreise herkommen?"
Ab Montag sollten laut Fahrplan Vertreter der syrischen Regierung und der Opposition gemeinsam an Genfer Tischen zusammensitzen und verhandeln. Das große Ziel ist die Vereinbarung eines Waffenstillstands in Syrien.
Der politische Prozess, der bei Treffen in Wien mit großen Hoffnungen begonnen wurde und die Unterstützung der UN hat, sieht vor, dass eine neue Verfassung ausgearbeitet wird und Neuwahlen für Sommer nächsten Jahres vorbereitet werden. Allerdings ist umstritten, welche syrischen Oppositionellen nach Genf eingeladen werden sollen.
In der seit Wochen währenden Kontroverse über die Teilnehmer (Syrien-Gespräche: Staaten der Unterstützergruppe uneins über Teilnehmer) hat nun der deutsche Außenminister Steinmeier Position bezogen. Gegenüber der FAZ plädiert er dafür, auch Gruppen einzuladen, die eine islamistische Agenda verfolgen. Steinmeier formuliert das so:
Wo sollen denn nach mehr als fünf Jahren Bürgerkrieg, extremer Gewalt und um sich greifender Verrohung die gemäßigten Kreise herkommen? Ich fürchte, wir sind weit über den Moment hinaus, wo wir uns wirklich alle Gesprächspartner und Verhandlungsteilnehmer aussuchen könnten.
Mit der Nennung konkreter Gruppen, die eingeladen werden sollen, exponiert sich Steinmeier nicht öffentlich. Er skizziert nur den Anforderungsumriss für die Bewerber. Ausgeschlossen sind "Terroristen und islamistische Extremisten". Sie würden nicht an den Tisch gehören, weil sie eine politische Lösung nur sabotieren wollen.
Die Namen dafür muss Steinmeier nicht nennen. Der Konsens darüber, dass die al-Qaida- Gruppierungen "Islamischer Staat" und al-Nusra-Front nicht teilnehmen dürfen, wird von den USA, Russland, Syrien, Saudi-Arabien, Iran und der Türkei geteilt.
Aber es gibt Gruppen, bei denen die Meinungen nicht eindeutig sind. Namentlich werden dabei besonders Ahrar al-Sham und die Dschihadisten von Dschaisch al-Islam ins Spiel gebracht (Syrien: Dschaisch-al-Islam-Anführer getötet). Sie sind relevanter als die FSA-Gruppierungen.
Kompromissbereitschaft gegenüber Kampfgenossen von al-Qaida?
Russland und die syrische Regierung haben ihren Widerstand gegen Einladungen an diese beiden Gruppen unmissverständlich klargemacht. Ahrar al-Sham und Dschaisch al-Islam sind militärische Gegner Russlands.
Auch Iran ist gegen die Gruppen, die eindeutig salafistischen, wenn nicht dschihadistischen Ideen zugewandt sind, ideologisch dem Wahhabismus nahestehen, in Syrien eine Theokratie errichten wollen und konfessionalistisch getrimmt sind. Sowohl Ahrar al-Sham wie Dschaisch al-Islam hetzen gegen Schiiten, die sie als Ungläubige bezeichnen, was mit einer Lizenz zum Töten verbunden ist.
Die beiden Gruppen werden von Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten aus über recht unterschiedliche Kanäle unterstützt. Auch die Türkei unterhielt, zumindest in der Vergangenheit, enge Beziehungen zu Ahrar al Sham. Auch in den USA boten sich Ahrar al-Sham Gelegenheiten zu einer erstaunlichen Lobbyarbeit.
Naheliegend ist, dass die CIA - im Verbund mit Saudi-Arabien - bei der gemeinsamen Förderung von "Rebellengruppen" auch die beiden genannten Gruppen mit Geld und Waffen unterstützt hat. Offiziell zugegeben wird eine solche an den fatalen afghanischen Murks der achtziger Jahre erinnernde Bewaffnung extremistischer Gruppen nicht, da bleibt vieles im Dunklen. In Wirklichkeit verhält es sich dessen ungeachtet so, dass gelieferte Waffen bald an die Stärkeren geraten.
Dass Ahrar al-Sham wie Dschaisch al Islam zu den stärkeren Gruppen gehören, wird nicht bestritten. Unklar sind ihre jeweiligen Allianzen mit der al-Qaida-Gruppe al-Nusra. Dass sie mit al-Nusra an vielen Fronten zusammen kämpfen, ist evident, daraus wird kein Geheimnis gemacht. Lädt man Ahrar al-Sham wie Dschaisch al Islam zu den Gesprächen, heißt das, so holt man indirekt auch al-Qaida an den Tisch. Das einer der großen Elefanten bei den Kontroversen über die Vertretung der syrischen Opposition.
Eine Lösung, der den Elefanten ganz draußen läßt, ist nicht möglich, läßt Steinmeier verstehen: "Jetzt braucht es den ernsthaften Einsatz und die Kompromissbereitschaft aller für die Überwindung der letzten Hürden".
Sein Einwurf argumentiert mit der faktischen Stärke dieser Bündnisse, einmal militärisch. Dahinter steht der Gedanke, dass ein Waffenstillstand ohne Einbindung der kampfstarken salafistischen Allianzen kaum eine reelle Chance hat. Zum anderen spricht er ein Phänomen an, das hierzulande in den Diskussionen selten einbezogen wird. Ahrar al-Sham ist syrisch geprägt, nicht von ausländischen Kämpfern, ihr Widerstand gegen die Regierung wird von Teilen der Bevölkerung unterstützt.
(…)wir brauchen eine Allianz all derjenigen, die ihren Teil der syrischen Gesellschaft vertreten, die de facto Macht ausüben, die Grundsätze des Wiener Prozesses respektieren und dafür bereit sind, ihren Kampf untereinander im Zuge der Genfer Verhandlungen einzustellen.