Syrien im Visier

Manche fürchten einen Angriff, aber auch Sanktionen würden die Wirtschaft schwer treffen, die sowieso durch den Irak-Krieg angeschlagen ist

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An diesem Donnerstag haben sich in der syrischen Hauptstadt Damaskus weit mehr Demonstranten versammelt als noch vor einer Woche. Es ist ja auch der 17. April, Tag der Unabhängigkeit, der an den Abzug der französischen Mandatsmacht vor 57 Jahren erinnert, und die syrische Unabhängigkeit ist dieser Tage mehr bedroht als je zuvor. So jedenfalls kann man die Warnungen aus den USA interpretieren, die Syrien unterstellen, es besitze Massenvernichtungswaffen und beherberge die geflohene irakische Führung. Wer allerdings erwartet hat, dass an diesem Tag Zehntausende auf die Straßen gehen, um gegen die US-Politik zu protestieren, der irrt: Es sind höchstens 500 - und damit doppelt so viele wie vor einer Woche.

Seit Beginn der Angriffe gegen den Irak hat die syrische Opposition in Damaskus ständig Demonstrationen organisiert, zunächst täglich, dann zweimal die Woche, jetzt nur noch wöchentlich. An den ersten Tagen konnten immerhin noch bis zu 4000 Demonstranten mobilisiert werden, doch die Teilnehmerzahl sinkt von Mal zu Mal. Ein Oppositioneller, der ungenannt bleiben will, nennt dafür zwei Gründe: Zum einen habe sich nach der schnellen Eroberung des Irak Ernüchterung und Enttäuschung breitgemacht. Zum anderen würden sich viele Syrer aus Angst vor der eigenen Regierung nicht auf die Straße trauen. "Die Menschen hier sind es nicht gewöhnt, sich politisch zu äußern." In den anderen Städten des Landes, Aleppo, Raqqa, Homs oder Lattakia, gebe es überhaupt keine Demonstrationen.

Abschreckend wirkte auch das Vorgehen der Polizei, die am ersten Kriegstag die Protestler mit Gewalt daran hinderte, bis zur amerikanischen Botschaft vorzudringen. Ergebnis: Über hundert verletzte Demonstranten. Zu weiteren Ausschreitungen ist es seitdem nicht mehr gekommen. Vorfälle wie 1991, als Randalierer das British Council in Damaskus verwüsteten, sind derzeit in Syrien undenkbar.

Das ändert aber nichts daran, dass viele Syrer ihr Land in akuter Gefahr sehen. "Ein Angriff steht bevor", betont der erwähnte Oppositionelle. Nach seinen Worten befindet sich Syrien in derselben Lage wie der Irak vor anderthalb Jahren. "Wir haben Öl und Amerika will es haben." Die Tageszeitung "Tischrien", Sprachrohr der Regierung, spricht angesichts der Besetzung des Iraks und der Drohungen gegen Syrien sogar von einer Rückkehr des Kolonialismus, eine Ansicht, die auch in der Bevölkerung weit verbreitet ist.

Nicht alle Syrer sehen die Lage aber so dramatisch. Der Autor und Journalist Yassin Alhaj Saleh sieht Syrien in einer besseren Ausgangslage als den Irak vor Jahresfrist. Die Ölvorkommen des Landes seien unbedeutend, Syrien stelle keine militärische Bedrohung dar und im Gegensatz zum Irak verfüge Syrien über gute internationale Beziehungen. Einen amerikanischen Angriff erwarte er deshalb nicht, betont Saleh. Allerdings rechne er damit, dass Sanktionen gegen das Land verhängt werden, wenn auch nicht so strenge wie gegen den Irak.

Doch auch ohne Sanktionen ist die syrische Wirtschaft bereits angeschlagen, da mit dem Fall des Irak einer der wichtigsten Handelspartner verloren ging. Saleh schätzt das bisherige Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern auf zwei Milliarden US-Dollar. Ein dicker Brocken für die syrische Wirtschaft, die von Exporten in den Irak, vor allem im Rahmen des Öl-für-Nahrungsmittel-Programmes der UN profitierte - und vom illegalen Ölhandel. Dazu kommen Einbußen durch den Rückgang des Fremdenverkehrs. Zwar ist Syrien kein klassisches Reiseland, in den vergangen Jahren begann sich das Land jedoch immer mehr für den Tourismus zu öffnen. Doch nun bleiben nicht nur die Touristen aus, sondern viele westliche Ausländer, wie Botschaftsangehörige oder Studenten, verlassen das Land vorzeitig. Diejenigen, die geblieben sind, erzählen, dass ihnen nun gelegentlich eine feindliche Stimmung entgegenschlägt, jedenfalls so lange sie für Amerikaner oder Briten gehalten werden. Für die meisten von ihnen ist das eine vollkommen neue Erfahrung, behandelt die syrische Bevölkerung Ausländer doch im Allgemeinen ausgesprochen freundlich und zuvorkommend.

Stephan Lanzinger, Damaskus