Syrien und Libanon im Dollar-Schlamassel
Die Bankenkrise im Libanon verschärft die Wirkung der Sanktionen und damit den Wirtschaftskrieg im Nahen Osten
Es geht ans Eingemachte. Der Schwierigkeitsgrad zur Lösung der miteinander verwobenen Krisen in Syrien, Iran, Irak und im Libanon ist beträchtlich. Es gärt in allen vier Ländern, aus ganz verschiedenen Gründen; gemeinsam ist ihnen, dass große Teile der Bevölkerung wirtschaftlichen Härten gegenüberstehen und unsicheren Aussichten, besonders für die Jugend, die in drei der genannten Länder seit Monaten immer wieder auf den Straßen protestieren.
Gemeinsam ist ihnen auch, dass ihre Wirtschaft stark vom Dollar abhängig ist, weswegen die US-Sanktionen, die nun auch für den Irak angekündigt wurden, mit einer großen Wucht treffen.
Im Libanon gibt es nun eine neue Regierung. Während man im "Westen" darauf schaut, wie es um den Einfluss der Hizbollah steht, die auch diesmal Minister stellt, und entsprechend mit der Vergabe von Wirtschaftshilfen politisch gegen die mit Iran verbündete Organisation Druck macht, steht für die Libanesen etwas anderes im Vordergrund: eine gigantische Bankenkrise, die das Land in eine Situation gebracht hat, die mit Zeiten des Bürgerkriegs verglichen wird (prägnante Erklärung der Entwicklung hier).
Das einer bösen Satire gleichkommende Gebaren der unzähligen Banken im Libanon und der dortigen Zentralbank in vergangenen Jahren hat dazu geführt, dass die Einlagen nicht nur von Wohlhabenderen, sondern eben auch wesentlich von "Normalbürgern" gefährdet sind. Das führt einerseits dazu, dass der Libanon Finanzhilfe von außen benötigt, was den Hebel für den politischen Druck abgibt, zum anderen entfacht dies eine Wut innerhalb der Bevölkerung, die sich in den Protesten zeigt.
Noch ist völlig unklar, wie die neue Regierung aus dem tiefen Schlamassel herauskommen kann. Typisch für die Situation ist, dass Kommentare zum gegenwärtigen Stand der Dinge voll bitterem Spott sind, der einem Galgenhumor ähnelt.
Dollarknappheit
Ein großes Problem ist der Dollarkurs, der im Libanon 1997 mit dem libanesischen Pfund fixiert wurde, was dazu führte, dass Importe bezuschusst werden mussten, das Geld holte sich die Zentralbank dafür von den Dollareinzahlungen von libanesischen Expats in libanesische Banken, die diesen Zinsen in Aussicht stellte, die weitaus höher lagen als die sonst gewährten, aber eben dieser Höhe wirtschaftlich nicht gedeckt waren.
Resultat ist grob vereinfacht, dass Libanons Finanzsystem nun eine Dollarknappheit hat - mit einem Schwarzmarkt, der einen sehr viel höheren Dollarkurs hat als offiziell festgelegt, gepaart mit riesigen Problemen, bzw. der Unmöglichkeit, für einzelne Anleger, an ihre Dollareinlagen zu kommen (offiziell durfte man eine Zeitlang noch 300 Dollar die Woche abheben, bei große Einlagen ist das gar nichts; "Kleinanleger" durften zuletzt, wie berichtet wird, meist nur mehr in libanesischer Währung abheben). Dazu kommen, was die größeren Geschäfte angeht, erhebliche Schwierigkeiten, Importe zu bezahlen, die über US-Dollars verrechnet werden.
Auswirkungen auf Syrien
Die Auswirkungen der Bankenkrise im Libanon treffen auch die syrische Bevölkerung, direkt und indirekt. Schon vor dem Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen gab es enge Verflechtungen zwischen syrischen und libanesischen Banken. Der Libanon war seit langem ein finanzieller Umschlagplatz für syrische Geschäftsleute, aber auch für "Normalbürger", die sich dort bessere und sichere Bedingungen versprachen, was auch jahrzehntelang funktionierte.
Als Syrien ab 2011 in immer größeren Teilen zu einem Kriegsschauplatz wurde, verstärkte sich die Tendenz, syrisches Geld in den "sichereren Hafen" Libanon zu bringen, eben auch für kleinere Geschäftsleute, Angestellte und Arbeiter. Mit den US-Sanktionen verstärkte sich der Effekt noch weiter. Wie groß die syrischen Einlagen in libanesische Banken sind, ist unbekannt; es gibt nur Schätzungen, die von "Milliarden" ausgehen, allerdings in wirtschaftlich besseren Zeiten Syriens, wobei die Grundlage der Quellen fraglich sind und es auch unklar ist, wie groß der Anteil größerer Vermögen ist.
Unbestritten ist jedoch der verstärkende Effekt, den das libanesische Dollarproblem auf das syrische Dollarproblem hat. Auch Syrien hat ein wachsendes Problem damit, Importe mit US-Dollars zu bezahlen. Baschar al-Assad hat nun Einfuhrlizenzen begrenzt, draüber hinaus gibt es Strafen für Zahlungen in US-Dollars. Anscheinend erstrecken sich die Importschwierigkeiten infolge der Währungskrise sogar auf Weizenimporte aus Russland, zumindest deutet dies eine Reuters-Meldung an (siehe auch hier).
Propaganda und Wirklichkeit
Nun sind bei Nachrichten aus Ländern des Nahen Ostens oft politische und psychologische Momente mit ihm Spiel, der gängige Vorwurf dazu lautet Propaganda. So ist Vorsicht geboten bei besonders spektakulären Nachrichten, die zeigen, wie schlecht es einem Land geht. Dies wird verbunden mit einer politischen Agenda, die einen Regierungswechsel anstrebt.
Weizenimporte sind für die Ernährungssituation der syrischen Bevölkerung sehr wichtig. Und wenn man sich nun selbst vom Verbündeten keine solche Hilfe mehr leisten kann, dann wäre das eine sehr schlechte Nachricht für die Regierung in Damaskus. Offenbar hat der syrische Präsident Assad nun sogar eine Bestimmung erlassen, die falsche Nachrichten, die die syrische Währung betreffen, mit Gefängnisstrafen ahndet.
Man muss derzeit aber nicht weit suchen, um denkbar schlechteste Nachrichten über die Wirtschaftslage in Syrien zu finden. Es gibt sie in Hülle und Fülle, sie springen einem geradezu in die Augen. Das syrische Pfund ist gegenüber dem Dollar im freien Fall, mittlerweile müssen für 1 US-Dollar über tausend Pfund bezahlt werden, im letzten Jahr reichten noch 500 syrische Pfund. 80 Prozent der Syrer leben unterhalb der Armutsgrenze, berichtet die Financial Times.
Die Lebensmittelpreise sind drastisch gestiegen. Seit Oktober, so die britische Finanzzeitung, seien die Preise für Waren der Grundversorgung um 20 bis 30 Prozent gestiegen. Die Knappheit bei der Versorgung mit Heizöl und Treibstoff war schon im letzten Winter ein Problem, das mit Bildern von langen Warteschlangen dargestellt wurde. In diesem Winter dürfte die Lage nicht besser aussehen, eher im Gegenteil, da die Versorgung mit iranischem Erdöl schwieriger werden dürfte.
Auch ein kürzlich erschienener Bericht der sicher nicht gerade neutralen Publikation Middle East Eye, der sich weitgehend auf Jihad Yazigi (Syria Report) stützt, der nicht gerade ein Freund der Regierung in Damaskus ist, liefert ein schlimmes Lagebild der syrischen Wirtschaft, wie auch mit vielen konkreten Beispielen und Einblicken ein Bericht der deutschsprachigen Januar-Print-Ausgabe der Le Monde diplomatique.
Dessen Titel "Überleben in Syrien" sagt schon beinahe alles. Es geht darin um den ökonomischen Notstand des Landes, der als Überlebenskampf dargestellt wird. Die politische Botschaft steht gleich zu Anfang: "Die Regierung in Damaskus hat zwar militärisch gewonnen, aber an der Wirtschaftsfront steht sie vor enormen Problemen. Der ausgehöhlte Staat muss sich zunehmend über Bestechungsgelder und die Ausplünderung der eigenen Bürger finanzieren."
Abwärtspirale und politische Ziele
Das passt nun im Groben völlig zum Ziel der US-Regierung, der laut deren Syrien-Sondergesandten James Jeffrey daran gelegen ist, dass Baschar al-Assad und dessen Regierung kein Bein auf die Erde kriegen (und ein Syrien unter dieser Herrschaft ein "Kadaverstaat" bleibt), auch wenn man offiziell in Washington bekundet, der Regime Change selbst sei kein Ziel mehr. Doch würde die USA-Administration, so machte Jeffrey mehrmals klipp und klar deutlich, jegliche wirtschaftliche Bemühungen für einen Wiederaufbau des Landes zu verhindern suchen. Die nächsten Sanktionen, die Syrien ins Haus stehen, sehen vor, dass davon alle berührt werden, die sich in irgendeiner Weise an Wirtschaftshilfe für Syrien beteiligen.
Die Verfasser des Le-Monde-diplomatique- Berichts zeichnen ein krasses Bild der Regierung Assad: "Finanziell und personell auf dem Trockenen nimmt die Regierung ihre Aufgaben praktisch nur noch pro forma wahr und ist vor allem darauf aus, an Geld zu kommen. Und das auf eine Art, die das Land nur noch weiter und schneller in eine Abwärtsspirale treibt."
Da das Kollektiv Synaps, das für den Artikel verantwortlich ist, mit Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung arbeitet, verwundert der harte, politisch eindeutig ausgearbeitete Holzschnitt nicht, der auch die mit Syrien verbundenen Länder Russland, Iran und China auf eine Art zeichnet, die deren wirtschaftlichen Eigeninteressen in einer Weise schildert, wie man das Ländern wie Frankreich oder Großbritannien oder Deutschland eher selten oder gar nicht findet: "Assad verpfändet die wirtschaftlichen Zukunft", heißt es. "Am krassesten" zeige sich dies daran, dass "die Russen immer mehr Mitsprache bei der Ausbeutung der syrischen Öl-, Gas und Phosphorvorkommen verlangen".
Kein Wort fällt zur illegalen Besetzung der syrischen Ölfelder durch US-Truppen…
Dennoch: Das wirtschaftliche Elend Syriens wird plausibel mit vielen Beispielen dargelegt und es wird anders als in völlig ideologisch gefärbten Berichten auch herausgestellt, dass die US-Sanktionen entgegen der Behauptungen aus Washington die Bevölkerung hart treffen. Man traut sich sogar die begleitende Rhetorik des Westens als verstörend zu bezeichnen, die glaubt, dass man mit "immer schärferen Sanktionen" absurd klingende politische Ziele erreichen kann.
Die EU glaube immer noch, dass man Damaskus durch fortgesetzten finanziellen Druck zu politischen Lösungen in ihrem Sinne zwingen könne, nennt man als ein Beispiel. Als anderes die USA, wo Politiker glauben würden, dass sie über Sanktionen einen Regimewechsel herbeiführen könnten.
Danach sieht es nicht aus. Eher danach, dass die Glaubwürdigkeit des Westens bei Leidtragenden Unzufriedenen, Protestierern und Regierungsgegnern nicht nur in Syrien, sondern auch in den anderen eingangs genannten Ländern weiter in Sinkflug ist. Auch das politische Kapital des Westens ist in der Krise.