Syrische Wundertüte

Am Freitag beginnen die Genfer Friedensverhandlungen, aber wer darf teilnehmen?

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5 Jahre, 300.000 Tote, über 10 Millionen Vertrieben: Ab Freitag soll in Genf einmal mehr über das Ende des Kriegs in Syrien verhandelt werden. Doch das Gezerre um die Teilnehmerliste erinnert eher an einen Kindergeburtstag als eine Friedenskonferenz (Syrien-Gespräche: Steinmeier plädiert für Teilnahme salafistischer Gruppen).

Ginge es nach Riad Hidschab würden die Teilnehmer der Syrien-Konferenz längst feststehen: "Wir verhandeln nicht, wenn noch eine dritte Partei kommt", sagte der ehemalige und mittlerweile zur Opposition übergelaufene Ministerpräsident des Landes und forderte, dass niemand anderes mit der syrischen Regierung verhandeln dürfe als sein "High Negotiations Committee" (HNC) - ein eigens für diese Konferenz durch Saudi Arabien gestricktes Oppositionsbündnis, das noch vor einem Monat kein Mensch kannte.

Wenn heute in Genf die nächste Runde der Syrien-Gespräche beginnt, dann erinnert nicht nur das Auftreten Hidschabs an die Aufregung vor einem Kindergeburtstag: Wieso darf der kommen, die aber nicht? Wenn der kommt, komme ich aber nicht!

Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura steht vor ein kaum lösbaren Aufgabe. Bild: UN

Wenige Stunden vor Beginn der Konferenz, die einen Krieg beenden soll, der nun schon seit fünf Jahren immer unbarmherziger wütet, ist nicht einmal klar an welche Regierungsgegner Einladungskarten verschickt wurden. Die Liste sei einfach "zu sensibel", um veröffentlicht zu werden, sagte Gastgeber und UN-Syrien-Gesandter Staffan de Mistura am Montag.

Verbindlich zugesagt haben bisher vor allem Nicht-Syrer: Katar, Saudi-Arabien, USA, EU, Russland, Iran… Auf Seiten der syrischen Regierung werden Syriens UN-Botschafter Baschar al-Dschaafari und Außenminister Walid Mouallem erwartet. Nur mit wem sie über die Zukunft des Landes verhandeln werden, ist bisher völlig unklar - sieht man einmal vom Offensichtlichen ab: Der Islamische Staat und der Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front werden es nicht sein. Der Rest ist immer noch Spekulation.

Geht man davon aus, dass Saudi Arabien sich nicht umsonst ein eigenes Verhandlungsbündnis aus insgesamt 33 Oppositionsgruppen und Einzelpersonen zusammengeschustert hat, dürfte der wichtigste Oppositionsvertreter tatsächlich der Eingangs erwähnte HNC sein. Die Delegation ist nicht nur der größte Zusammenschluss von Regierungsgegnern, es ist auch der jüngste. Kaum einen Monat ist es her, als sich die Gruppen in Riad zusammenfanden, um am Freitag zum ersten Mal gemeinsam öffentlich aufzutreten.

Mit dabei sind zum Beispiel Vertreter der "Freien Syrischen Armee" (oder dem was davon noch übrig ist) wie Assad al-Zubi, der mit seiner Miliz im Süden von Syrien kämpft. Vor allem aber islamistische Milizen wie die "Armee des Islam" (Dschaisch al-Islam) haben sich unter ihrem Dach zusammengetan. Deren Anführer Mohammed Alloush wurde deshalb auch gleich zum Chefunterhändler ernannt. Zuletzt erlangt seine Miliz dadurch Aufmerksamkeit, dass sie im Umland von Damaskus Hunderte Alawiten erst entführte und dann als menschliche Schutzschilde in Käfige sperrt.

So mächtig das HNC-Bündnis auch ist, ihre Forderung allein für die Opposition zu sprechen, dürfte sich wohl nicht erfüllen: In arabischen Medien tauchen die Namen einer ganzen Reihe mutmaßlicher Teilnehmer auf, die anders als das saudische Bündnis vor allem die gewaltlose Opposition repräsentieren. Ein Gesicht, das auch im Westen vielen vertraut sein dürfte, ist das von Jihad Makdissi. Der ehemalige Sprecher des syrischen Außenministeriums floh 2012 in die USA. Der Schriftsteller Haitham Manna vom "Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel" solle ebenso dabei sein wie Qadri Jamil von der ebenfalls gemäßigten "Partei des Volkswillens" (Hizb Iradat Al-Sha'ab) und der Chef der syrischen Kommunisten Fateh Jamous.

All jenen Teilnehmern gemein ist allerdings, dass sie außerhalb Syriens aktiv sind und mangels ausländischer Unterstützung kaum Möglichkeiten des Einflusses auf den Krieg im Land haben. Eine Partei, die hingegen sehr großen Einfluss hat, wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht teilnehmen: Die kurdische "Partei der Demokratischen Union" (PYD), deren militärischer Arm YPG im Westen vor allem als IS-Bezwinger bekannt ist. Sie kontrolliert zwar mehrere Städte im Norden des Landes, ihre Teilnahme dürfte aber am Veto der Türkei scheitern.

Die Türkei werde aus den Verhandlungen aussteigen, sollte die PYD eingeladen werden, drohte am Dienstag der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Ein PYD-Sprecher versicherte am selben Tag auf Al-Jazeera, keine Einladung erhalten zu haben. Mark Toner, der Sprecher des US-Außenministers, versicherte, man stehe hinter dem HNC und respektiere, dass die Kurden, die von den USA unterstützt werden, ausgeschlossen bleiben. Russland hingen drängt auf deren Teilnahme.

Aber nicht nur mit wem, sondern auch worüber verhandelt wird, ist wenige Stunden vor Beginn der Konferenz nicht klar. "Ein Waffenstillstand für das ganze Land" gab UN-Syrien-Gesandter Staffan de Mistura als Fernziel für die mit sechs Monaten angesetzten Verhandlungen aus. Weniger optimistisch zeigte sich am Dienstag UN-Nothilfe Koordinator Yacoub El Hillo: "Beendet die Angriffe auf Schulen, beendet die Angriffe auf Krankenhäuser, beendet die Angriffe auf Sanitäter. … Wenn sie sich nicht einmal darauf einigen können, dann weiß ich nicht, worauf sonst."

Verhandelt wird in Genf übrigens in getrennten Räumen, UN-Mediatoren sollen die jeweiligen Vorschläge über die Gänge von Zimmer zu Zimmer tragen. Über den Weg laufen werden sich Opposition und Regierung in Genf deshalb mit Sicherheit nicht. Es geht also doch nicht zu wie beim Kindergeburtstag.