Tabakindustrie verhindert Tabakkontrolle - neuer Index für Deutschland

Neuer Bericht zur Einflussnahme der Tabakindustrie in Deutschland zeigt: Tabakunternehmen verhindern wichtige Maßnahmen zur Tabakkontrolle

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Über das Gefährdungspotential des Tabakrauchens, den Gebrauch von E-Inhalationsprodukten und Tabakerhitzern, die Taktik der Verschleierung und Vernebelung dieser Tatsachen durch die Tabakindustrie und über die desolate Politik der Tabakkontrolle in Deutschland habe ich kürzlich in zwei Beiträgen in Telepolis informiert (Hauptsache nikotinabhängig - ein notwendiger Nachtrag zum diesjährigen Nichtrauchertag, Gedanken über die Zigarettenkatastrophe in Zeiten der Coronavirus-Pandemie).

Vor einigen Wochen ist nun ein Bericht mit dem Titel "Deutschland - Index zur Einflussnahme der Tabakindustrie 2020" veröffentlicht worden. Er zeigt im Detail auf, wie groß der Einfluss der Tabakindustrie derzeit in Deutschland tatsächlich ist.

So erhalten zum Beispiel deutsche Landesregierungen wie Niedersachsen und Hamburg regelmäßig Sponsoring-Gelder von der Tabakindustrie. In den letzten Jahren waren es mindestens 570.000 Euro. Deutsche Politikerinnen und Politiker besuchen glanzvolle Veranstaltungen wie zum Beispiel die "Publishers Night", die Nacht der Zeitschriftenverleger, die auch von Tabakunternehmen gesponsert werden.

Der neue Bericht umfasst Informationen über solche und viele andere vergleichbare Tatsachen über die Einflussnahme der Tabakindustrie in den Jahren 2018 und 2019, die bis Ende Juli 2020 aus öffentlichen Quellen bekannt geworden sind. Darüber hinaus enthält er einige Hinweise auf Vorfälle in den Jahren 2017 und 2020.

Den verdienstvollen Bericht hat Laura Graen, eine freiberufliche Expertin für Tabakkontrolle, recherchiert und verfasst. Er wurde in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (dkfz) und einer Reihe weiterer Organisationen herausgegeben.

Im globalen Index steht Deutschland an der 23. Stelle von 57 untersuchten Ländern, gleichauf mit Kasachstan und Malaysia

Der Bericht basiert auf einem Fragebogen, der von der Südostasiatischen Allianz zur Eindämmung des Tabakkonsums (SEATCA) entwickelt wurde. Er enthält 20 Fragen, deren Beantwortung mit einer Punktzahl von 0 bis 5 bewertet wird, wobei 5 den höchsten Grad an Einmischung durch die Industrie anzeigt und 1 für geringe oder keine Einmischung steht. Die Punktzahl 0 bedeutet, dass keine Belege vorliegen oder diese Frage nicht zutreffend ist. Wenn mehrere Vorfälle gefunden wurden, spiegelt die angewandte Punktzahl einen Durchschnittswert wider. Die Gesamt-Punktzahl für jedes untersuchte Land ergibt sich durch Addition der Einzel-Punktzahlen, wobei die maximale Punktzahl 100 ist.

Der Bericht zeigt, dass die Einflussnahme der Tabakindustrie auf die Gesundheitspolitik in Deutschland weiterhin sehr stark ist. Die Bundesregierung kommt damit ihren Verpflichtungen nicht nach, die sie mit der Ratifizierung des Rahmenübereinkommens der WHO zur Eindämmung des Tabakkonsums (WHO FCTC) eingegangen ist.

Im globalen Index steht Deutschland mit 63 Gesamt-Punkten an der 23. Stelle von 57 untersuchten Ländern und damit gleichauf mit Kasachstan und Malaysia. Daraus lässt sich schließen, dass dringend benötigte Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums in Deutschland aufgrund der Einmischung der Industrie nicht existieren. Die Tabakindustrie pflegt eine unangemessene Nähe zu politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern und nutzt diese, um gesundheitspolitische Regulierungen auszubremsen.

Weiterhin sind in Deutschland die vielseitigen Verbindungen zwischen Industrie und Politik, auch aufgrund des Fehlens eines öffentlichen Lobbyregisters, nicht ausreichend transparent. Deshalb kann die Bewertung mit 63 Gesamtpunkten im Index als Mindestwert aufgefasst werden, der auch höher hätte ausfallen können.

Der Index enthält zahlreiche weitere Beispiele der Einflussnahme der Tabakindustrie auf die Politik. So wurde das jetzt beschlossene Außenwerbeverbot für Tabakprodukte um mehrere Jahre verzögert, E-Zigaretten und Tabakerhitzer wurden bei der Besteuerung gegenüber Zigaretten bevorzugt und die Unternehmen wurden zweckbestimmt von Tabaksteuern in Höhe von 5 bis 6 Millionen Euro jährlich befreit.

Außerdem präsentieren sich Tabakunternehmen gerne als sozialverantwortliche Unternehmen, die politische Aktivitäten und soziale Initiativen und Veranstaltungen sponsern. Dies soll ihr gesellschaftliches Ansehen und Einflussmöglichkeiten auf die Politik sichern und verbessern. Sie spenden an politische Parteien oder Landesregierungen (siehe oben), sponsern Parteitage und politische Veranstaltungen (zum Beispiel) und engagieren sich umfassend in Bildung, Wissenschaft und Kultur.

Folgen des Tabakkonsums verursachen jedes Jahr in Deutschland direkte und indirekte Kosten in Höhe von 97 Milliarden Euro

Wichtige Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums wurden in der Folge dieser Aktivitäten verhindert. Dazu gehören notwendige und regelmäßige signifikante Erhöhungen der Tabaksteuer, eine umfassende Gesetzgebung für den Nichtraucherschutz, eine gute Unterstützung bei der Raucherentwöhnung, ein umfassendes Verbot von Tabakwerbung, -promotion und -sponsoring sowie wirksame Maßnahmen gegen die Einmischung der Tabakindustrie in die Politik. Insgesamt kommt die Autorin zu dem Schluss, dass die deutsche Regierung neue Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums nur dann umsetzt, wenn diese durch eine EU-Verordnung vorgeschrieben sind.

Laura Graen empfiehlt deshalb eine Reihe von Maßnahmen, um den Einfluss der Tabakindustrie zurückzudrängen. Neben der Verabschiedung einer umfassenden nationalen Strategie zur Eindämmung des Tabakkonsums auf Grundlage der WHO FCTC mit konkreten Fristen für Maßnahmen fordert sie weitere Regulierungen und eine erhöhte Transparenz bei Sponsoring-Aktivitäten und Spenden durch die Industrie sowie die Einführung eines Lobbyregisters.

Denn die Folgen des Tabakkonsums verursachen jedes Jahr in Deutschland direkte und indirekte Kosten in Höhe von 97 Milliarden Euro mit hohen Belastungen für das Gesundheitssystem. Deshalb dürfen Tabakunternehmen nicht weiter notwendige Maßnahmen der Tabakkontrolle in Deutschland verhindern. "Mit ihrem Unwillen, die Einflussnahme der Tabakindustrie zu stoppen, macht sich die Bundesregierung zur Verbündeten einer Industrie, die allein in Deutschland jährlich 125.000 Menschenleben auf dem Gewissen hat", lautet das Resümee der Autorin.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin- Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin- Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Er ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Nikotin-Tabakforschung e.V. (DGNTF) und arbeitet in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. Email: klaus-dieter.kolenda@gmx.de