GEZ-Gebühren: Tagesschau wirbt für mehr Geld – auch für sich selbst
2025 dürfte Rundfunkbeitrag steigen. Sender melden erhöhten Bedarf. Berichterstattung dazu bei tagesschau.de zur Werbeveranstaltung.
Medienjournalismus ist ein heikles Feld: Weil dort Journalisten über Journalisten schreiben (und über deren Wirtschaftsbetriebe). Die Objektivität der Berichterstattung, welche die Kunden erwarten dürfen, um sich ein eigenes Bild machen zu können, läuft stets Gefahr, von Eigeninteressen des Reporters oder seines Mediums tangiert zu werden.
Mit dem derzeitigem Interesse an Reformdiskussionen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk stellt sich dort die Herausforderung verstärkt: Wie berichtet man beispielsweise ausgewogen und vielseitig über Vorwürfe der Einseitigkeit und Parteinahme, die just den eigenen Sender betreffen? Und wie berichtet man objektiv über den Finanzbedarf des eigenen Hauses und des gesamten öffentlich-rechtlichen Programms?
Die Tagesschau zeigt in einem Online-Beitrag, wie es nicht geht.
Nach dem Duktus der Überschrift ist ein nachrichtlicher Text zu erwarten: "ARD und ZDF melden Finanzbedarf bei KEF an" lautet sie. Allerdings darf sich jeder an dieser Stelle auch schon fragen, welche Informationen nachfolgend zu erwarten sind.
Denn dass die Sender dieser Tage der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) mitteilen, welches Budget sie für die Jahre 2025 bis 2028 einplanen wollen, war ein gesetzlich festgelegter Termin.
Vom Prüfergebnis der Anmeldung hängt ab, welchen Rundfunkbeitrag die KEF für die Zeit ab 2025 empfehlen wird (der dann nach Einigung der Ministerpräsidenten von den Bundesländern zu beschließen ist). Und in diesem Betrag steckt viel Potential für politische Positionierungen, für Forderungen aller Art, gar für Grundsatzreden zur Zukunft von Demokratie und Rechtsstaat.
Wie fasst man ein heißes Eisen an?
Der Rundfunkbeitrag (von Kritikern immer noch "GEZ-Gebühr" genannt) ist also ein heißes Eisen. Als unmittelbar betroffener Sender bieten sich zwei Möglichkeiten, es anzupacken.
Entweder beschränkt man sich auf die unstreitigen Fakten und lässt alle Kommentierungen außen vor. Oder man lässt den angemeldeten Finanzbedarf diskutieren – dann muss allerdings eine Vielzahl von Positionen zu Wort kommen (vgl. "Meinungsvielfalt ist unabdingbar").
Der Tagesschau-Beitrag kommt zwar wie eine Nachricht daher (er enthält nicht einmal ein Autorenkürzel). Doch schon im zweiten Satz wird eine Richtung vorgegeben. Denn nach der Feststellung, die Anstalten hätten "fristgerecht ihren Finanzbedarf" angemeldet, heißt es: "Die Planungen liegen dabei jeweils deutlich unter der aktuellen Inflationsrate."
Etwas später wird der Text dann noch deutlicher: "Die ARD setzt mit der Anmeldung ihres Finanzbedarfs die laufenden Sparanstrengungen fort." Für diese Aussage gibt es keinen Sprecher, die Tagesschau behandelt sie als allgemein bekannte Tatsache.
Dabei ist die Bezeichnung einer Geldforderung als (fortgesetzte) "Sparanstrengung" selbstverständlich eine Meinung, eine Wertung - für die man gerne die Grundlage kennen würde, um sie nachzuvollziehen.
Danach wird es allerdings geradezu irreführend:
Für Programm-, Personal- und Sachaufwendungen sind demnach jährliche Steigerungsraten zwischen 2,16 und 2,71 Prozent vorgesehen. Zum Vergleich: 2022 lag die vom Statistischen Bundesamt errechnete Inflationsrate in Deutschland durchschnittlich bei 7,9 Prozent. Im April 2023 waren es nach vorläufigen Schätzungen der Statistiker 7,2 Prozent.
Tagesschau.de, Sender melden Finanzbedarf bei KEF an
Inflation
Die erste Steigerung, um die es hier gehen kann, betrifft das Haushaltsjahr 2025. Deren maximal 2,71 Prozent werden nun 7,9 Prozent Teuerung im Jahr 2022 gegenübergestellt - ohne zu erwähnen, dass die Wirtschaftsprognosen von einem Sinken der erst seit Kurzem so hohen Inflationsrate ausgehen.
Das Ziel der EU liegt bei 2 Prozent, die Bundesbank erwartete im Dezember 2022 für das Jahr 2025 eine "am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) gemessene Inflation" von 2,8 Prozent.
Dass die KEF die Preissteigerungen für den Rundfunk modifiziert prognostiziert, nämlich mit dem sog. "Indexgestützten Integrierten Prüf- und Berechnungsverfahrens (IIVF)", muss hier nicht weiter interessieren (zu Details siehe die umfangreichen Berichte der KEF auf ihrer Website). Denn es ist eine ARD-Nachrichtenredaktion, die den wachsenden Finanzbedarf der Sender mit einer Inflationsrate aus einem ganz anderen Jahr in Bezug setzt.
Kai Gniffke: Anmeldung "sehr maßvoll".
Als Nächstes folgen Angaben, die ohne jeden Sprecher "der ARD" zugeordnet werden, wie es sonst nur von PR-Seite üblich ist (während zu den vom Journalismus zu beantwortenden W-Fragen die nach dem "wer" gehört):
Die ARD teilte mit, dass sie Preissteigerungen seit Jahren größtenteils durch Einsparungen selbst ausgleiche. Für den Zeitraum 2009 bis 2022 seien die Erträge der ARD im Schnitt um lediglich 0,8 Prozent pro Jahr gestiegen. Die von der KEF festgelegte Quote zum Personalabbau erfülle die ARD und wird den Angaben zufolge ihren Personalbestand weiter reduzieren. Seit 1992 haben die ARD-Landesrundfunkanstalten demnach mehr als 5000 Stellen abgebaut.
Tagesschau.de, Stand vom 28. April 2023, 14:55 Uhr
Danach kommt noch der ehemalige Tagesschau-Chefredakteur zu Wort:
Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke sagte, die Anmeldung sei "sehr maßvoll". Die ARD wolle "in einer digitalisierten Welt nah bei den Menschen in den Regionen sein", so Gniffke. "Dafür müssen wir in exzellenten Journalismus und hervorragende Technologie investieren." Die ARD schichtet dafür Mittel vom Linearen ins Digitale um, spart durch Synergien in Technik, Verwaltung und Programm ein und meldete ein bis 2028 befristetes digitales Entwicklungsprojekt an.
Und damit ist der Finanzbedarf der ARD berichtet, es folgen noch kurz ZDF (mit anonymer Quelle) und Deutschlandradio (mit Statement des Intendanten). Das Schlusswort erhält eine Medienpolitikerin:
Die Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), sagte, die Länder erwarteten, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten "die Möglichkeiten der Flexibilisierung nutzen, um die Angebote digitaler zu machen und gleichzeitig auch wirtschaftlich effizienter zu arbeiten.
Tagesschau.de
Ob die ARD tatsächlich "Sparanstrengungen" macht und die Bedarfserhöhung "sehr maßvoll" sind, können die Leser (und Beitragszahler) nicht beurteilen, weil der Artikel auf jeden sachlichen Hinweis verzichtet. Er benennt nicht einmal den angemeldeten Finanzbedarf in Summe, obwohl genau das doch Thema der Meldung sein sollte.
Doch selbst der Branchendienst Meedia gibt sich mit den nebulösen Senderangaben zufrieden und kolportiert sie. Dabei steht spätestens im nächsten KEF-Bericht exakt, welche Beträge die Anstalten gefordert hatten - und wie viel sie tatsächlich bekommen sollen.
Denn die Kommission reduziert regelmäßig gegenüber der Bedarfsanmeldung, sieht also, da sie nicht ins Programm eingreifen darf, durchaus noch Sparpotentiale.
Und selbstverständlich kann man jedenfalls als zahlungspflichtige Öffentlichkeit über die künftige Beitragshöhe nicht sprechen, ohne über das Programm zu reden. Denn ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk künftig statt der derzeitigen 18,36 Euro pro Monat etwas höher oder niedriger ausfällt, dürfte die Gemüter letztlich weit weniger beschäftigen als das, was da ausgestrahlt und ins Netz gestellt wird - oder eben fehlt.
Wie Möglichkeiten ausgeblendet werden
Wenn etwa der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, Frank Überall, eine Beitragserhöhung fordert, weil andernfalls die Preissteigerungen nur mit Programm- und Personalkürzungen aufgefangen werden könnten, blendet er die vielfältigen Möglichkeiten aus, Programm teuer oder preiswert zu gestalten.
Schließlich ist nur ein Teil der Sendezeit überhaupt im weitesten Sinne journalistischer Art, nämlich 41 Prozent, während 46,7 Prozent auf Unterhaltung und acht Prozent auf Sport entfallen.
Doch an der Programmplanung sind die Bürger bisher gar nicht beteiligt (siehe Reformvorschlag: "Bürger in die Räte").
Stattdessen absorbieren die Beitragsdiskussionen kontinuierlich viel Aufmerksamkeit - wohingegen sich die tatsächlichen Beitragsveränderungen dann eher marginal ausnehmen. Diese reinen Finanzdiskussionen könnte man vermutlich auch deutlich reduzieren, würde der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus der Steuer bezahlt, wie es gerade wieder eine juristische Dissertation aus verfassungsrechtlicher Sicht verlangt.
All das jedenfalls muss zur Sprache kommen, wenn über den von den Sendern selbst proklamierten Finanzbedarf diskutiert werden soll.
Die Tagesschau hat stattdessen völlig einseitig die Sichtweise der Intendanten übernommen und dabei auch noch in weiten Teilen aus einer Pressemitteilung des eigenen Hauses abgeschrieben, ohne dies kenntlich zu machen.
Ein Beispiel für die Notwendigkeit von beitragsfinanziertem Journalismus war das Stück somit ganz sicher nicht.