Taktik der verbrannten Erde

Über den Konflikt im Kosovo und die westliche Reaktion

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Ich habe schon vergessen, wann die USA das erste Mal die Anwendung von Gewalt angedroht haben, wenn die Serben nicht ihre Offensive im Kosovo beenden.

Die Ausgangslage

Die harten Tatsachen sind, daß der Kosovo eine serbische Provinz und keine eigene Republik des früheren Jugoslawien. Deswegen hat der Kosovo auch nicht automatisch einen Anspruch auf Souveränität, wie sie von der internationalen Gemeinschaft Slowenien, Kroatien, Bosnien und Mazedonien gewährt wurde, die sich erfolgreich von Jugoslawien gelöst hatten. Historische Ansprüche auf den Kosovo werden gleichermaßen von der serbischen und der albanischen Seite erhoben. Die Albanier lebten hier jahrhundertelang, vielleicht sogar seit Jahrtausenden, wenn sie die Ureinwohner im Balkan sind. Die Serben kamen mit den übrigen Slawen nach dem Untergang des Römischen Reichs (oder vielleicht schon zuvor als Sklaven). Die Serben gründeten ihr erstes Königreich im Kosovo. Heute ist der Kosovo überwiegend, d.h. zu 90 Prozent, von Albaniern bewohnt.

Das kommunistische Jugoslawien berücksichtigte die ethnische Situation im Kosovo und gewährte ihm einen besonderen Status als autonome Provinz: er war Teil Serbiens, aber mit einer großen Selbstverwaltung. Diesen Status bestritt Milosevic kurz nach seiner Machtübernahme in Serbien. Relativ schwache Proteste aus den anderen Republiken wuchsen allmählich zu richtigen und eigenständigen Sezessionsbewegungen heran.

Jetzt kehrt der Konflikt, nach drei Kriegen, Tausenden von Toten und Millionen von Verwundeten, wieder dorthin zurück, wo er begonnen hatte.

Einerseits gibt es das international anerkannte Recht Serbiens, seine Provinz so zu regieren, wie es dies will. Andererseits gibt es das universell anerkannte Recht der Menschen auf Wohnung, Bewegungsfreiheit, Zugang zu Medikamenten, Nahrung und Ausbildung. Für welches Recht werden wir uns einsetzen?

Werden wir, während die Monate vergehen und sich immer mehr Albaner in den Bergen aufhalten, ohne für den kommenden Winter gerüstet zu sein, Milosevic weitere Resolutionen zuschicken, so daß er sich darüber lustig machen kann, wie er dies schon im Fall von Kroatien und Bosnien tat? In Belgrad, sagt er, scheint alles ruhig an der Drenica-Junik-Front zu sein. Dort aber bombardieren und zerstören die Serben weiterhin Dörfer. Dieses Spiel wiederholt sich immer wieder.

USA und Europa

Aus verschiedenen Gründen wurde der Sicherheitsrat zu einem unwirksamen Werkzeug zur Förderung einer universalen Politik. Primär bereitet er Grund für Nationen und deren Politik. Und eine nationale Politik ist für das Blut von Menschen, wie die Geschichte uns lehrt, unempfindlich. Im Sicherheitsrat versuchen die Nationen ihre Interessen und nicht die der Menschheit durchzusetzen. China muß gegen ein Eingreifen gegen die Serben sein, weil es dadurch in der Welt der politischen Arena wichtig wird. Rußland muß dasselbe machen, weil die Serben praktisch die einzigen sind, die sagten: "Wir wollen Russen", als jeder andere in ihrem eigenen Getto des Warschauer Pakts mit höchster Verachtung desertierte. Rußland zeigt der Welt und vor allem den Menschen Zuhause, daß man etwas in der Welt darstellt - auf Kosten von Tausenden von Menschenleben im Balkan.

Die europäischen Nationen sind vorwiegend mit zwei Dingen beschäftigt: sie wollen einen Flüchtlingsstrom vermeiden und dies "nett" gegenüber den beiden bankrotten ehemaligen Supermächten bewirken. Bislang hat die Offensive von Milosevic keinen Flüchtlingsstrom hervorgerufen, weil sich alle in den Bergen verstecken. Deswegen muß Europa keine Gewalt gegen Milosevic einsetzen. Man können die Situation als tragisch und den Verlust an Menschenleben als überwältigend empfinden, und sie können Milosevic einen Lügner nennen, aber sie können diese ziemlich bestimmten Aussagen sehr ruhig vortragen, z.B. daß wir bereit sind, Gewalt anzuwenden, wenn die Zeit gekommen ist (und darauf hoffen, daß die Medien der Sache müde werden, und die Zeit niemals kommt).

Die USA, die in einem verbreiteten Irrglauben den Kalten Krieg gewonnen hat, haben trotz ihrer militärischen Macht und ihres ungebrochenen ökonomischen Optimismus eine schlechte Haushaltslage, die sich teilweise den enormen militärischen Schulden verdankt, die erforderlich waren, um die Sowjetunion zu unterwerfen. Offensichtlich scheuen sie vor jedem Abenteuer zurück, das nach Vietnam schmeckt. Dennoch muß die USA als führende Macht der Welt auftreten. Da die Amerikaner ihren Präsidenten nicht nur als den obersten Repräsentanten, sondern auch als "Gewährsmann für das Gewissen der Nation" (Henry Hyde, Vorsitzender des Rechtsausschußes) ansehen, dessen Rolle in der Alten Welt einer Queen oder der Galionsfigur eines Präsidenten zukommt, neigen sie auch dazu, sich selbst als die Gewährsmänner des Weltgewissen zu verstehen, weswegen sie eine Position zu offensichtlichen menschlichen Tragödien wie im Kosovo einnehmen müssen. Aber sie müssen nicht dementsprechend handeln, da sich sowohl Clinton als auch Hyde gegen Drogen und vorehelichen oder außerehelichen Sex zu wenden haben, ohne dies notwendigerweise auch befolgen zu müssen - natürlich nur, solange sie nicht ertappt werden.

Die moralische Zwickmühle

Sie müssen verlegen sein. Das Publikum wünscht dies sehnlichst von den öffentlichen Personen - bis zu dem Punkt, daß immer weniger Menschen eine öffentliche Rolle spielen wollen und immer weniger Menschen zur Wahl gehen, da sie vorwegnehmen, daß jeder, der gewählt wird, sich letztlich als Peinlichkeit erweisen wird, weil jeder menschlich ist. Und alles Menschliche berührt eine Nation peinlich, die es anstrebt, der Gewährsmann für das Weltgewissen zu sein: eine Hybris, die früher nur den Göttern und den römischen Kaisern zu gestanden wurde. (Die Embleme des fascio schmücken ebenso die Wand des amerikanischen Senats wie dies des ehemaligen römischen Senats und nebenbei auch die faschistischen Uniformen).

Aus diesem Grund wurde Dick Holbroke bei der EMI-Preisverleihung am 9. September peinlich berührt. Er saß unter den mehr als 900 Menschen, die das Publikum bildeten, als Karmen Jelincic, eine Koproduzentin des Dokumentarfilms "Calling the Ghosts" über die Vergewaltigung von Frauen in Bosnien, der zwei Preise gewann, in ihrer Rede sagte: "Wenn das Prijedor 1992 wäre, so würden Sie alle verhaftet und in Konzentrationslager gesperrt, weil die Intellektuellen zuerst gehen müssen." Zeljko Mejakic, der Befehlshaber des Lagers in Omarska und der Anführer der "Vergewaltigungseinheit", der im Dokumentarfilm persönlich zwei Frauen vergewaltigt hat - beide waren Rechtsanwältinnen, die sich an Den Haag wandten und seine Festnahme forderten -, läuft nämlich noch immer weitgehend frei in Prijedor unter Tausenden von Amerikanern und Truppen von anderen Nationen umher, die den Auftrag haben, bekannte Kriegsverbrecher festzunehmen. Karmen stellte fest, daß sich dasselbe im Kosovo wieder ereignet. Und was machen wir wieder? Wir schreiben Resolutionen und äußern eine leere Drohung nach der anderen. Holbroke stand ärgerlich auf (die Kameras der freien elektronischen Medien stoppten die Übertragung und bewahrten die amerikanischen Fernsehzuschauer vor dem Schauspiel der verletzten Eitelkeit) und rief ihr zu, daß sie ihn in Verlegenheit gebracht habe und nicht wisse, wovon sie spricht. Dann verließ er den Saal.

Dick Holbroke wird der US-Abgesandte für die UN. Sein größter Erfolg bestand darin, die kroatischen, bosnischen und serbischen Führer in ihre Quartiere auf einem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt einzuschließen, mit ihnen in den Hangars mit Stealth-Bombern und Cruise Missiles zu speisen und sie erfolgreich einem Abkommen zustimmen zu lassen, daß Amerika (und ihn selbst) gut aussehen ließ, aber das sie sofort nach ihrer Freilassung und Rückkehr zu ihren Positionen ultimativer Macht brachen. Die Leistung, Serben, Kroaten und Bosnier in einem Raum zusammenzubringen, ohne daß sie sich gegenseitig die Kehle aufschlitzen, was eigentlich unerreichbar zu sein scheint, geschah auf informelle Weise auf zahlreichen Parties in meiner Wohnung und förmlicher jede Woche und dann jeden Monat bei den Versammlungen der Balkan Dialogue Group beim American Friends Service Committee. Es gab dabei keinen Zwang und keine Machtdemonstration. Jack Patterson, der Gesprächsleiter, benutzte lediglich eine Stoppuhr, um die Redezeit zu beschränken, so daß jeder Gelegenheit zum Sprechen hatte. Jack war stets der Überzeugung, daß dies ganz normal und keine Folge seiner göttlichen Fähigkeit sei, Menschen zusammenzubringen, die sich unter anderen Umständen töten würden. Zufällig wurde auch Jack ein Abgesandter für die UN. Da er die Quaker repräsentiert, die keine Nation darstellen, ist seine Position die eines Beraters. Doch ich gehe davon aus, daß er und Dick die Gelegenheit finden werden, sich mehrmals zu treffen und ihre Ansichten über die Menschen des Balkan auszutauschen.

Vor dem Sommer hielten die NATO und Großserbien große, miteinander wetteifernde Truppenmanöver ab, die vorwiegend ihre Luftwaffenkapazitäten zur Schau stellten. Die Amerikaner zeigten alle ihre Spielzeuge, aber sie flogen nur bis zur Grenze zwischen Albanien und dem Kosovo und wieder zurück. Milosevic präsentierte alle seine Mig-29er (weniger als 20) und einige andere Flugobjekte, die in den Zeiten einer F-117 nicht mehr als Kampfflugzeuge klassifiziert werden können. Die jugoslawische Luftwaffe führte eine Luftshow vor. Die jugoslawischen Politiker nahmen am Spektakel teil, darunter auch Dr. Seselj, der serbische ultraradikale Nationalist, der sofort von einer Bombardierung New Yorks und Washingtons zu träumen begann. Dem Publikum spendierte man Coca-Cola und Big Macs (es ist nicht klar, ob dies eine Leistung der Unternehmen des freien amerikanischen Marktes war oder sich dem CIA verdankte, um zu zeigen, daß Amerika auf eine Weise bereits Serbien besiegt hat).

Clinton, Lewinsky und die Reaktion auf die Bombenattentate in Afrika

Seitdem geschah nichts mehr. Die Situation im Kosovo verschwand, obgleich sie weiter die Region umpflügte, aus dem Weltgewissen, da dessen Gewährsmann mit anderen Neuigkeiten konfrontiert war: zuerst flogen die beiden Botschaften in Afrika in die Luft, und dann wurde der Lewinsky-Bericht veröffentlicht. Daraus lernten wir, daß die amerikanische Politik in Bosnien manchmal unter unüblichen Bedingungen entschieden wird. Präsident Clinton besprach dies mit Senator Sony Callahan, während er oralen Sex mit Monica Lewinsky hatte. Die meisten Männer würden zugeben, daß während eines solchen Vorgangs sogar noch grausamere menschliche Tragödien wie eine Viertelmillion vertriebener Menschen in einem weit entfernten Teil Südosteuropas ziemlich immateriell wirken würden.

Vor den Medien versteckt, die geschäftig moralisierten, ob der Präsident seine Familie und die Welt über diese Liebesaffäre mit einer halb so alten Angestellten wie er belügen würde oder nicht, suchte der amerikanische Geheimdienst nach Spuren bei den Bombenanschlägen. An einem Tag seiner verzweifelsten Verlegenheit, als er der Welt seine Lüge beichten mußte, sollte Clinton auch seine Zustimmung für den Schlag gegen Afghanistan und dem Sudan mit Tomahawks geben, die man sorgfältig wegen ihrer fehlenden internationalen Unterstützung ausgesucht hatte. Teure Raketen zerstörten einige Zeltlager mitten in der afghanischen Wüste, aber auch eine pharmazeutische Fabrik am Rand der Hauptstadt des Sudan. Der einzige Hinweis, den die USA hatte, daß diese Fabrik etwas mit Terroristen zu tun hat, bestand darin, daß ein CIA-Agent vor einiger Zeit eine Handvoll Dreck aus der Umgebung der Fabrik mitgenommen und - bingo - die CIA darin mehr als gewöhnlich vorhandene Spuren vom Chemikalien gefunden hatte, die man zur Herstellung von Nervengiften benötigt. Das war eine richtige Machtdemonstration.

Wirkliche Spuren führten die USA nach Albanien. Aber das war einfach zu nah am Thema des Films "Wag the Dog", um bombardiert zu werden. Und schließlich ging man davon aus, daß sich Albanien als wertvoller NATO-Partner gegen Großserbien erweisen würde, so daß man die "Dinge" verschiegen erledigte. Am selben Tag, als die Tomahwaks in den Sudan und nach Afghanistan abgeschossen wurden, nahmen amerikanische und albanische Sicherheitskräfte zehn Ausländer in Elsaban (60 Kilometer südlich von Tirana) fest und beschlagnahmten Kommunikationsmittel, kugelsichere Westen, Waffen, Pässe und andere gefälschte Dokumente. Von den Amerikanern dazu genötigt, untersuchten die albanischen Behörden auch die arabisch-albanische Islamic Bank in Tirana - zum größten Vergnügen von Milosevic, da die scharfe Beobachtung des Kosovo plötzlich nachließ und von den Verbindungen mancher albanischer Gruppen mit dem terroristischen Netzwerk von Osama Bin Laden abgelenkt wurde.

Dann gab es noch die Wahlen in der Republik Srpska. In einer Diskussion zwischen Christopher Bennet und Robert Gelbard über den Grund, warum die gemäßigten Serben in den Wahlen gescheitert sind, war am bemerkenswertetesten, wie die beiden lernten, "Republik Srpska" richtig auszusprechen. Was ist mit dieser Frau geschehen, die wie ein Klon von Madeleine Albright aussieht (zumindest scheinen sie dieselbe Haarfarbe zu verwenden)? Warum verlor Biljana Plavsic, der amerikanische Kandidat unter den Serben in Bosnien? Bennet wies darauf hin, daß wir unsere Politik in Bosnien überprüfen sollten. Aber er war vielleicht langweilig, ihm zuzuhören. Gebhard, der in der Sprache einer Talkshow redete, äußerte andererseits vor allem Gemeinplätze wie: "Die Serben sind noch immer nationalistisch." Ja, und die Sonne geht noch immer jeden Morgen auf, oder?

Die amerikanische Präsenz im Wahlkampf von Plavsic war einfach zu offensichtlich für einen vernünftigen Patrioten - ich spreche nicht nur von den nationalistischen Extremen. Die Amerikaner hofften, daß sie die Wähler mit Big Macs und Coca-Cola kaufen könnten, aber sie vergaßen, daß die Ökonomie komplexer ist. Sie versuchten, sich als Freunde von Banja Luka darzustellen, während sie nach Belgrad wegen der Greuel im Kosovo gleichzeitig Drohungen und Sanktionen sandten, und Belgrad ist noch immer der wichtigste Handelspartner von Banja Luka. Die amerikanische Politik im Kosovo prallte gegen die amerikanische Politik in Bosnien. Während der Westen auf den Ausgang der Wahlen wartete und noch auf den Sieg von Plavsic hoffte, brachte Milosevic fast seinen Blitzkrieg im Kosovo zuende.

Nachdem die Bombenanschläge gelöst sind, Verdächtige verhaftet oder anderweitig bestraft wurden und die bosnischen Wahlen vorüber und verloren sind, kann sich die USA jetzt wieder auf ihre harte Position im Fall Kosovo konzentrieren. So plötzlich wie der Kosovo von der Titelseite der New York Times am Tag der Bombenanschläge auf die Botschaften verschwunden ist, so plötzlich tauchte er mit einem bunten Bild eines tot-weißen Gesichts vor einem bukolischen Hintergrund wieder auf: ein Massaker an Zivilisten sollte wegen der Medien in der überaus schönen Landschaftskulisse stattfinden. Drohungen mit einer schrecklichen Macht sind aber noch immer Drohungen (das Pentagon beschloß, B-52-Bomber einzusetzen, was deren erster Kampfeinsatz gewesen wäre, nachdem man die Bombardierung Nord-Koreas aufgegen hatte - zunächst wurden sie nach Guam geflogen wegen des Abschusses der nord-koreansichen Rakete nach Japan). Jeden Tag lesen wir in den Zeitungen von neuen Resolution der UN, der NATO, der OSZE oder von wem auch immer, die die serbischen Aktionen im Kosovo verurteilen und "einen Schritt" der Anwendung von Gewalt näherkommen. Das erinnert mich an den Wettlauf zwischen Achilles und der Schildkröte, bei dem Achilles der Schildkröte stets einen Schritt näher kommt, aber es niemals schafft, sie einzuholen.

Immer dasselbe

Die gegenwärtige Haltung der Welt gegenüber dem Kosovo unterscheidet sich nicht groß von derjenigen, die man vor einigen Jahren Bosnien gegenüber einnahm: China und Rußland würden Milosevic erlauben, was er will, Europa würde Gewalt anwenden, aber nur wenn der Sicherheitsrat dies beschließt, was niemals der Fall sein wird, da sich China und Rußland dem vor allem aus dem Grund widersetzen würden, daß der Kosovo eine Provinz von Serbien ist. Würde man ihm Souveränität gewähren, dann würde dies auch bedeuten, daß Tschetschenien und Tibet unabhängig werden müssen: ein ausgezeichneter Grund für Radio 92 in Belgrad, um sich dem Global Dance For Planetary Peace - Earthdance - in 29 Ländern anzuschließen. Die ganzen Gewinne sollen den tibetanischen Opfern der chinesischen Unterdrückung gespendet werden, nur B92 wird die seinen dem Hohen Flüchtlingskommissar in Montegrino überreichen, der für die aus dem Kosovo vertriebenen Flüchtlinge verantwortlich ist.

Die USA favorisiert die Umgehung der UN und überläßt die Entscheidung der NATO, die dann China und Rußland außer Acht lassen kann. Europa ist darüber gespalten. Großbritannien stellt sich stolz auf die Seite der Amerikaner, aber die Deutschen und Franzosen, die von guten Beziehungen zu Rußland abhängiger sind oder lieber festere und ihrer großen wirtschaftlichen Macht angemessenere außenpolitische Rolle einnehmen wollen, neigen dazu, sich an den Sicherheitsrat zu wenden. Da es sich nicht um Afrika oder den Mittleren Osten handelt, würden es die Amerikaner nicht wagen, ohne zumindest etwa die deutsche Zustimmung zu haben, Raketen abzuschießen. Das amerikanische Beharren darauf, die UN zu umgehen, hat weniger mit der Eile zu tun, den Kosovo-Albanern zu helfen, als mit dem Bedürfnis, die Position der Weltmacht zu erringen. Daher der Widerstand Rußlands und das Zögern Deutschlands. Während man sich langsam aus dieser diplomatischen Einbahnstraße herauswindet, hat Milosevic freie Hand, die albanischen Dörfer im Kosovo zu zerstören. In Wirklichkeit zerstört er einen Großteil vom Kosovo, der mehr und mehr wie ein Hintergrund für einen B Science Fiction Hollywoodfilm über die nahe und schlechte Zukunft aussieht. Man könnte die Hoffnung hegen, daß Jean-Claude Van Damme oder Ralpf Lundgreen von irgendwo hervorspringen und diesen Serben für einen guten Ausgang einen auf den Hintern geben.

Was ist los mit der UCK?

An diesem Punkt frage ich, was eigentlich mit der UCK passiert ist. Einer großen Öffentlichkeit als "Terrororganisation" oder als große Befreiungsbewegung angekündigt, angeblich von den Albanern auf der ganzen Welt finanziert, die 3 Prozent ihres Jahreseinkommens zur Unterstützung abgeben sollen, und gut bewaffnet durch die während der Aufstände geraubten Waffen aus den albanischen Militärlagern, ist sie jetzt fast von der Bildfläche verschwunden. Man weiß, daß die UCK-Führer nicht medienfreundlich sind, aber man weiß nicht, wer sie sind. Es sollen ehemalige kommunistische Offiziere der jugoslawischen Armee von albanischer Herkunft oder bosnische Muslime ("ausgeliehen" von Bosnien) sein, grundsätzlich dieselbe Schicht von Menschen wie ihre serbischen Gegner, so wie dies auch in Kroatien und Bosnien der Fall war.

Die Kriege im Balkan zeigen ein allgemeines Scheitern des Guerillakrieges. In Bosnien und Kroatien konnte eine besser ausgerüstete und organisierte serbische Armee nur mit westlicher Hilfe durch Ausbildung und Waffenlieferungen von den kroatischen und bosnischen Truppen besiegt werden. Die Kosovo-Albaner erhalten keine derartige Unterstützung, und sie verlieren den Krieg. Ihr Problem ist, daß ihre Militärführer keine guten "Terroristen" sind. Es sind keine Guerillakämpfer, sondern eher strenge Militäroffiziere, die in der derselben Doktrin wie ihre serbischen Gegenspieler geschult wurden. Natürlich werden sie verlieren, wenn sie keine andere Taktik anwenden, da sich unter ihrem Kommando weniger gut ausgebildete und bewaffnete Kämpfer befinden und sie nur leichtere Waffen und Fahrzeuge besitzen.

Mein ursprünglicher Glaube, daß sie schließlich Belgrad wie die IRA London zum Einlenken zwingen werden, ist verflogen. Die UCK ist nicht die IRA. UCK-Führern fehlt die Erfahrung der IRA-Komandeuren. Die UCK konzentriert ihre ganze Aktivität auf den Kosovo, was ein Fehler war, wenn man davon ausgeht, daß der Gegner im konventionellen Krieg weit überlegen ist. Welche sich selbst achtende Terroristengruppe würde nicht Ziele in Belgrad in die Luft sprengen? Ein Bombenanschlag beispielsweise auf das Hauptquartier von Seselj in Zemun würde einen größeren Eindruck machen, die öffentliche Meinung eines durchschnittlichen Bürgers von Belgrad mehr in Richtung der Kosovo-Position verändern und die Aufmerksamkeit der internationalen Medien finden. Das wäre natürlich eine negative Werbung, aber in der verzweifelten Situation, in der sich die Kosovo-Albaner jetzt befinden, wäre auch das nicht schlecht. Unter der Voraussetzung des letzten Ultimatums, das Seselj den Intellektuellen Belgrads gestellt hat, indem er ankündigte, daß sie als "ausländische Agenten" als erste exekutiert würden, wenn die NATO ihre Drohungen realisiert, würde vielleicht mancher Bürger eine solche UCK-Aktion willkommen heißen. Auf dem Hintergrund der britischen und israelischen Erfahrung ist es wenig wahrscheinlich, daß die Öffentlichkeit in Belgrad danach die Offensive von Milosevic im Kosovo breit unterstützten würde.

Die Politik der verbrannten Erde

Seselj steht Milosevic nahe. Was Milosevic nicht öffentlich sagen kann, muß Seselj machen. Wenn er etwas sagt, wird Milosevic plötzlich zu einem Demokraten und zu jemandem, der an die freie Meinungsäußerung glaubt. Da Clinton Zuhause mit einem Impeachment-Verfahren konfrontiert wird, braucht er unbedingt einen schnellen Sieg in der Welt. Deswegen wird die Bombardierung von Serbien sehr attraktiv, und seine Gesandten wie Dick Holbroke durchreisen die Welt, um die dazu notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Milosevic weiß dies und teilt über Seselj eine letzte verzweifelte Botschaft mit: Wir werden die Menschen unter uns abschlachten, die der Westen unterstützt. Ihr mögt gewinnen, aber wir hinterlassen verbrannte Erde - so wie die Serben Vukovar den Kroaten und Sarajewo den Bosniern hinterließen.

Das Nazi-Deutschland machte dasselbe. Als die Alliierten nach West-Berlin kamen, waren die meisten Nazi-Führer tot. Auch die meisten politischen Gegner waren tot, eingeäschert in Konzentrationslagern oder bis zum Wahnsinn gefoltert, während die meisten Städte bis zur Unkenntlichkeit zerstört waren. Heute ist Deutschland eine weltweit führende Industrie- und Finanzmacht mit einer festen Demokratie und einer guten sozialen Sicherung. Ein Mitglied der ökologischen und anti-militaristischen Grünen wird zum Außenminister. Dieses Beispiel zeigt, daß es am wichtigsten ist, den Faschismus mit allen Mitteln zu zerstören.

Natürlich ist heute nicht 1945, und wir sind mit anderen technischen Problemen konfrontiert. Auch wenn es ziemlich sicher ist, daß die Amerikaner die Serben in einem Luftkrieg besiegen werden, könnten ein paar amerikanische Flugzeuge abgeschossen, die Piloten gefangen genommen und dann durch die Straßen etwa von Kragujevac oder Pozarevac gezogen werden, bis sie - natürlich vor den Kameras der Medien - sterben. Der Tod von amerikanischen Soldaten kann von einem Präsidenten nicht riskiert werden, dem ein Impeachment-Verfahren droht. Tomahawk-Raketen und hoch fliegende unsichtbare B2-Flugzeuge, die durch Satelliten gelenkte Bomben abschießen, sind folglich die Waffen der Wahl. Das Team Milosevic-Seselj aber begeht den Fehler, daß das Leben von Serben, selbst das derjenigen, von denen die Amerikaner hoffen, daß sie einmal Serbien in eine bessere und amerikanischere Zukunft führen werden, dasselbe Gewicht haben.

Die erste amerikanische Reaktion auf die Ankündigung von Seselj und auf die verzweifelten E-Mails von verschiedenen Organisationen in Belgrad, die vielleicht an der Spitze der Kristallnacht-Liste von Seselj stehen, bestand darin, die Botschaft in Belgrad zu schließen und so den vielleicht vom Ultimatum an den Westen bedrohten Bürgern die Möglichkeit zu nehmen, hier Zuflucht zu finden. Die Ermordung von "pro-westlichen" Serben würde, wenn dies denn geschehen sollte, in aller Öffentlichkeit stattfinden. Man würde versuchen, in den westlichen Medien Mitleid zu erregen und damit die NATO zu paralysieren. Es sieht immer schlimmer aus, wenn das Opfer eine gebildete, englischsprachige, klassische Musik und Bildende Kunst liebende Frau in Stöckelschuhen ist als irgendjemand, der aussieht, als würde er aus einer anderen Welt oder aus einer anderen Zeit kommen ... Aber es wäre ein Fehler zu glauben, daß dies die NATO stoppen würde, sofern sie überhaupt eingreift, da die USA darauf hofft, daß eine solche Aktion von Seselj einen breiten Widerstand gegen das Milosevic-Regimea auslösen wird. Ein schöner Bürgerkrieg zwischen Serben würde der NATO schließlich viele Probleme ersparen.

Wer aber auf eine nicht gewaltsame Lösung der Kosovo-Krise hofft, kann jetzt nicht viel mehr machen, als jeden Mittwoch im Monat zwischen 17 Uhr 30 und 18 Uhr 30 Kerzen zur Mahnung vor der größten öffentlichen Bibliothek New Yorks anzuzünden (vgl. die erste Mahnwache vor der jugoslawischen Vertretung an der UN im März 1998).

Hier ist die Drohung von Seselj, die von den Women in Black als E-Mail geschickt wurde.